Vom traditionellen Lehmbau bis zum baulichen Erbe: Entwürfe mit Blick auf eine kulturelle Identität

Die Materie anhand eines Modells verstehen: Am Fachgebiet EIK der TU Darmstadt fanden in vergangenen Semestern drei Lehrveranstaltungen zum Thema ressourcenorientiertes Bauen statt. Der methodologische Fokus lag dabei auf Modellbau in diversen Maßstäben.

Das Fachgebiet „Entwerfen und industrielle Methoden der Hochbaukonstruktion“ (EIK) an der Technischen Universität Darmstadt wird seit dem Wintersemester 2021/22 von Prof. i. V. Florian Latsch und Prof. i. V. Martin Baur geleitet. Der Lehrstuhl ist fokussiert auf die Entwicklung langlebiger Architektur durch die Anwendung und Hinterfragung von Konzepten der industrialisierten Bauweise. Drei Lehrveranstaltungen aus dem Wintersemester 22/23 sowie dem Sommersemester 23 konzentrierten sich dabei auf die Stärkung der kulturellen Identität durch Materialwahl: Aus dem „Pisé“ Seminar sowie den Entwurfsstudios „Pisé-Haus“ und „Stadtlabor“ gingen eine Reihe eindrücklicher Analysearbeiten und Entwürfen hervor. Ähnlich wie in bereits vorherigen Studios des Lehrstuhls hat die Methodik auch hier die Schwerpunkte Ausarbeitung, Erfahrung und Vermittlung im Modell – darüber durften wir mit den beiden Lehrenden bereits in einer vergangenen Focus-Ausgabe zum Modellbau sprechen.

Analysen zur Revitalisierung einer Lehmbautradition

Als Vorgänger für die Entwürfe, veranstalteten Baur und Latsch das Seminar „Pisé“, das die Teilnehmenden zum Lehmbau führte: Nach dem Besuch historischer Stampflehmgebäude in der sogenannten Pisé-Bauweise in Weilburg, Hessen, wurden die Studierenden aufgefordert, diese auf verschiedene, insbesondere visuell ansprechende Art zu dokumentieren. Durch die Erstellung atmosphärischer Zeichnungen und Modelle sollten die Studierenden schließlich ein ortsspezifisches Zukunftsszenario skizzieren und eine kleine Lehmbauwerkstatt entwerfen. Den Lehm der traditionellen Bauweise sichtbar zu integrieren, war Voraussetzung. In Zusammenarbeit mit der Stadt Weilburg planten sie zudem die Einrichtung einer Dauerausstellung zur Pisé-Bautechnik, um die bedeutende Bautradition aufzuarbeiten.

Entwürfe für ein „Pisé-Haus“

Das Seminar zielte darauf ab, durch die zeitgemäße Anwendung der Pisé-Bauweise den traditionellen Lehmbau in Weilburg zu revitalisieren und damit die lokale Identität stärken. Dies wurde mit dem Entwurfsstudio „Pisé-Haus“ fortgeführt. Das dabei neu geplante Gebäude sollte als Informations- und Weiterbildungszentrum rund um das Thema Lehmbau fungieren und verschiedene Nutzungen wie Schulungsräume, Lehmbauwerkstatt, Herberge und Gastronomie vereinen. Dabei lag der Fokus der Lehrenden auf Lehm als zentralen Baumaterial sowie auf der Betonung von Kreislaufwirtschaft, regionaler und einfacher traditioneller Bauweise. Zudem wurde eine klare konstruktive und städtebauliche Präzisierung der Konzepte angestrebt, die durch verschiedene Modellbauarbeiten vertieft wurde. Unter anderem sollten die Studierenden hierzu detaillierte Ausschnittsmodelle des Innenraumes im Maßstab 1:20 erstellen. Atmosphärische Modellbaufotografien sollten Raumwirkung, Lichtstimmung und Proportionen in Verbindung mit der Materialwahl veranschaulichen.

Bestand als Ressource im „Stadtlabor“

Von der kulturellen Identität einer traditionellen Bauweise führte es die Lehrenden im folgenden Studio zu einer, die aus dem Bestehenden hervorgeht. Im Entwurfsstudio „Stadtlabor“ setzten sich die Studierenden mit der Umwandlung von Bestandsgebäuden als dauerhafte CO₂-Speicher mit sozialer und kultureller Identität auseinander. Sie wurden aufgefordert, Szenarien für den Umbau und die Erweiterung des vom Abriss bedrohten ehemaligen Gesundheitshauses in München zu entwerfen. Ziel war es, aus der temporären Nutzung einen Ort zu schaffen, der Kreativität, Wirtschaft, Wohnen, Ausstellungen, Konsum, Leben und Austausch vereint. Der Kurs legte dabei besonderen Wert auf die Vermittlung von entwurflichen Fähigkeiten und die Bewusstseinsschärfung für den sinnvollen und nachhaltigen Umgang mit dem gebauten Erbe voriger Generationen. Die Studierenden erstellten dabei Umgebungs- und Bestandsmodelle in verschiedenen Maßstäben sowie ebenfalls ein 1:20 Innenraummodell, um sich im Prozess und über die Modellbaufotografie haptisch mit den räumlichen und materiellen Gegebenheiten des Bestands und der neu zu entwerfenden Elemente auseinanderzusetzen.