Neues Leben für alten Beton: Gefährdete Arten

Wie wollen wir mit dem polarisierenden Bestand der Nachkriegsära umgehen? Erhalten oder abreißen? – fragt die Schau „Gefährdete Arten“ im Stuttgarter BDA Wechselraum des BDA Baden-Württemberg. Auch an der AbK Stuttgart setzt sich ein Forschungsprojekt damit auseinander und steuert einen Beitrag bei.

Ein sperriges Erbe: Der deutsche Nachkriegsbaubestand, welcher zwischen 1960 und 1980 häufig im Geiste des Betonbrutalismus zur Ausführung kam. Während der Entstehung verhießen die Bauten eine bessere Zukunft, heute haftet ihnen oft der Ruf als „Bausünde“ an, weswegen sie immer noch allzu schnell dem Abrissbagger anheimgegeben werden. Neben ästhetischen Vorbehalten führen Verantwortliche erneut deren schwere Umnutzbarkeit ins Feld, wenn es darum geht, die „Betonmonster“ loszuwerden. Kann man das so einfach zählen lassen? Immerhin stammen rund 40 Prozent unseres Baubestandes aus dieser Epoche, und Abrisse geraten derzeit als Ressourcenverschwendung mehr denn je in die Kritik. Der BDA Baden-Württemberg veranstaltet daher vom 23. Januar 2023 bis zum 31. März 2023 die Schau „Gefährdete Arten – Erhalt vs. Abriss in Baden-Württemberg“, die in das große Überthema „Sorge um den Bestand“ eingebettet ist.

Artenschutz für Betonkreaturen

In der Ausstellung zeigen die Kurator*innen anhand von acht Beispielen abrissgefährdeter oder leerstehender Gebäude aus Baden-Württemberg auf, wodurch die Vernachlässigung und die akute Bedrohung in den jeweiligen Case-Studies herrührt. Die Schau beleuchtet Hintergründe auf historischer, ökonomischer, denkmalpflegerischer und gesellschaftlicher Ebene und soll zu einer Diskussion über die Zukunft dieser Bauten anregen. Es stellt sich die Frage, ob sich der „Artenschutz“ nicht auch grundsätzlich positiv auf unsere Umwelt auswirkt, wenn wir den Bestand clever weiternutzen und auf Abrisse verzichten. Zur Finissage am 31. März 2023 führt zudem der Initiator des Abrissmoratoriums Alexander Stumm gemeinsam mit den Kurator*innen einen Talk zu diesem Thema.

Sharing Brutalism

Spätestens mit der Initiative „SOS Brutalismus“ und der darauffolgenden Ausstellung im Frankfurter DAM 2017, ist der Umgang mit unserem brutalistischen Erbe im Architekturdiskurs fest verankert. Das gilt natürlich im Besonderen auch für den akademischen Betrieb. An der AbK Stuttgart fand von 2018 bis 2020 im Rahmen des Forschungsprojektes „Reallabor Space Sharing“ das Projekt „Sharing Brutalism“ statt, welches mit Studierenden und Nutzer*innen zusammen die Weiternutzungsmöglichkeiten von brutalistischen Gebäuden erörterte. Über mehrere Jahre hinweg hat die Professur für Entwerfen, Architektur und Gebäudetypologie von Prof. Marianne Mueller zusammen mit dem Wissenschaftlichen Mitarbeiter Constantin Hörburger das Projekt begleitet.

Zusammen erhalten

Forschende und Studierende gingen gemeinsam der Frage nach, ob das sozial-utopische Moment, das die Planer*innen damals intendierten, sich heute in Form von Praktiken des Teilens fortführen ließe. Zunächst haben sie die betrachteten Bauten in Form eines Typologie-Atlasses katalogisiert. Durch Zeichnungen, Modelle und Fotografien haben die Studierenden die Studienobjekte inventarisiert. Parallel dazu ging es vom Studio aus raus ins Feld. Mit Bürger*innen-Dialogen, Architekturspaziergängen, Pop-Up Veranstaltungen und Ausstellungen testeten die Beteiligten Formate gemeinschaftlicher Teilhabe vor Ort in einem Reallabor. Die so gewonnenen Erfahrungen flossen dann in konkrete architektonische Vorschläge für die Um- und Weiternutzung der untersuchten Bauten ein.

Beispiel Verwaltungsschule

Eine beispielhafte Fallstudie aus dem Projekt „Sharing Brutalism“ ist in der BDA-Ausstellung „Gefährdete Arten“ miteinbegriffen: Constantin Hörburgers Beitrag über die Staatliche Verwaltungsschule in Stuttgart ist als Teil seiner aktuellen Forschungsarbeit als Weiterführung aus dem Seminar entstanden. Der vom Architekten Rolf Gutbier 1971 errichtete Terrassenbau befindet sich in solidem Zustand, ist jedoch nicht denkmalgeschützt und sieht nach dem Wegzug des bisherigen Nutzers der Dualen Hochschule Baden-Württemberg leider einer ungewissen Zukunft entgegen.