Mit Architektur zur Emanzipation: Forschendes Lernen am Werk Emilie Winkelmanns

Ein aktuelles Lehr- und Forschungsprojekt beleuchtet das Werk und Wirken der Pionierin Emilie Winkelmann – mit einem besonderen Blick auf das erste Studentinnenwohnheim in Europa.

Wer schreibt Architekturgeschichte – und wer bleibt dabei oft außen vor? Diese Fragestellungen verfolgt ein studentisches Forschungsprojekt, das sich der Architektin Emilie Winkelmann (1875–1951) widmet. Das Projekt, initiiert von Prof. Rainer Schützeichel, begann im Wintersemester 2023/24 an der FH Potsdam und wird im Sommersemester 2025 an der TH Köln fortgesetzt. Ziel ist es, die Bauwerke der Architektin zu dokumentieren, historisch einzuordnen und neu zu bewerten.

Feministische Historie mit neuen Lebensentwürfen

Winkelmann war nicht nur eine Pionierin der Architektur, sondern auch eine Wegbereiterin der gesellschaftlichen Frauenemanzipation. Sie gehörte zu den ersten Frauen in Deutschland, die ein eigenes Architekturbüro gründeten – und das in einer Zeit, in der das Bauwesen fest in Männerhand lag. 1907 eröffnete sie ihr Büro in Berlin und etablierte sich trotz zahlreicher Widerstände. Über ein Jahrhundert später erforschen Studierende ihr Leben und Werk. 

Winkelmann entwarf Villen, Ausstellungsarchitekturen und Wohnprojekte für alleinstehende, berufstätige Frauen. Damit reagierte sie auf gesellschaftliche Veränderungen: Immer mehr Frauen arbeiteten, oft ohne zu heiraten. Doch passende Wohnformen fehlten. Winkelmann erkannte diesen Bedarf und handelte. 1912 kuratierte sie auf der Berliner Ausstellung „Die Frau in Haus und Beruf“ die Abteilung „Die Frau in der Architektur“. Dort präsentierte sie rund 30 eigene Projekte.

Ein Beispiel ist das Haus in der Sonne, ein Wohnheim für Pensionärinnen in Babelsberg (1913–14). Es bot älteren Frauen ein selbstbestimmtes Leben in Gemeinschaft und das lange, bevor der Begriff „Co-Housing“ überhaupt existierte.

Visionäres Wohnen für Studentinnen

Ein weiterer Meilenstein entstand 1914/15 in Berlin-Charlottenburg: das Victoria-Studienhaus, auch bekannt als Haus Ottilie von Hansemann. Finanziert von der gleichnamigen Frauenrechtlerin und der Stiftung Victoria-Lyceum gehörte es zu den ersten Studentinnenwohnheimen Europas. Es bot 96 Zimmer, Lesesäle, Ateliers, eine Bibliothek und sogar Musikzimmer. Junge Frauen konnten hier wohnen und lernen, ohne sich fremdbestimmten Wohnmodellen wie der Untermiete zu unterwerfen. Winkelmanns Architektur war dabei nie rein funktional, denn sie verstand Bauen als politischen Akt. Die klare Fassade, offene Gartenräume und funktionale Innenräume zeugen von ihrem Gespür für moderne, sozial orientierte Architektur. 

Und heute? Das Haus steht unter Denkmalschutz, wurde jedoch inzwischen in Eigentumswohnungen umgebaut. Wer in der Nähe studiert oder sich nach einem langen Tag an der TU Berlin beim Imbiss „Rüya“ einen Snack holt, kann einen Blick auf dieses Stück gebaute Geschichte werfen. 

Studentische Detektivarbeit

Ein zentrales Element der Recherche: Die Studierenden rekonstruierten ausgewählte Bauten Winkelmanns als präzise 1:100-Modelle und katalogisierten ihre Entstehungsgeschichte. Dafür durchforsteten sie unter anderem das Bauaktenarchiv Charlottenburg-Wilmersdorf – eine detektivische Arbeit, die oft vergessene Details wieder ans Licht brachte. Wie die intensive Auseinandersetzung mit Winkelmanns Werk nun auf die eigenen Entwürfe der Studierenden zurückstrahlt, bleibt offen. Geplant sind eine Ausstellung und eine wissenschaftliche Publikation, die ab Herbst 2026 in Köln, Berlin und Potsdam zu sehen sein werden.