Lasst uns endlich streiten: Architektonische Handlungsräume für soziale Gerechtigkeit

Luisa Kappen setzt sich in ihrer Masterarbeit mit den politischen Rahmenbedingungen für soziale Raumpraxis auseinander. Mit ihrem offenen Brief „call to action“ fordert sie von der Politik einen neuen innen*architektonischen Handlungsspielraum gegen sozialräumliche Ungleichheit ein.

Sie ist Vorständin für Innenarchitektur in der Nachwuchsorganisation nexture plus und seit Juni 2024 Absolventin der Detmolder Schule für Gestaltung, Technische Hochschule OWL. Ihre Masterarbeit „Dissoziales Bauen und Wohnen. Gesellschaftliche Diskursräume eröffnen“, betreut von Prof. Martin Ludwig Hofmann und Cengiz Hartmann im Masterstudiengang Innenarchitektur-Raumkunst, ist kein Entwurf, sondern eine politische Auseinandersetzung, die Luisa in Form einer Kampagne durchführt. Ein offener Brief und eine Kunstinstallation vor dem Schloss Bellevue in Berlin artikulieren ihre Forderung nach architektonischen Handlungsräumen für soziale Gerechtigkeit, die sie in diesem Gastbeitrag erläutert. 

Raumverständnis

Unser Wohnraum ist die Kulisse unserer Selbstwahrnehmung. Wird dieser Schauraum für Individualisierung als resonanzimmuner, sich wiederholender Baukörper geplant, wirkt er jedoch ablehnend auf die in ihm enthaltenen Menschen. Die Aneignung des eigenen Wohnraums ist Voraussetzung für ein Ankommen im und eine Identifikation mit dem Raum. Diese Möglichkeit wird nicht allen Menschen gleichermaßen zuteil und so manifestiert sich Ungleichheit in der Gesellschaft räumlich.

Innen*Architektur muss sich vom, bis heute nachwirkenden Missverständnis der Moderne lösen, dass sie ein von sozialen Prozessen isoliertes Feld ist. Stattdessen gilt es, das Beziehungsverhältnis zwischen gesellschaftlichen Prozessen und gebauter Umwelt kollektiv zu verstehen und in Raumlehre und Praxis zu bearbeiten.

Konkret werden

Für den Entwurf sozialer Räume ist die Innen*Architektur jedoch auf einen neuen baupolitischen Handlungsspielraum angewiesen. Der offene Brief „call to action“ fordert ein Recht auf Wohnen in Deutschland als soziales Grundrecht – ein Defizit, das unlängst auch von der Menschenrechtskommission des Europarats angemahnt wurde. Zudem benötigt es in der Entwurfskultur eine Abkehr von hierarchischen Machtstrukturen. Räume einer diversen Gesellschaft müssen durch eine plurale Aushandlung von Entwurfsentscheidungen gestaltet werden. Ein Hebel ist die Aufnahme von Phase 0 Partizipation und Phase 10 Evaluation in die HOAI, denn eine Bürger*innenbeteiligung in Planungsprozessen ist ein konstitutives Mittel einer repräsentativen Demokratie.

Call to action

Die Kampagne „call to action“ richtet sich an die Bundesbauministerin Klara Geywitz und den Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier, um den produktiven Diskurs zwischen architektonischen Disziplinen und Politik anzuregen. Denn um architektonisches Verständnis und einen möglichen rechtlichen Rahmen zusammenzubringen, braucht es Planer*innen in baupolitischen Positionen, um früh genug und gemeinsam Machbarkeiten und Chancen abzuwägen. Eine kollektive Erinnerung an die eigene Handlungsmacht und in Reaktion an unsere Verantwortung im politischen Diskurs ist ein emanzipierender Prozess für die Innen*Architektur und der entscheidende Schritt für eine neue Ästhetik des sozialen Raums.

Architekturpolitischer Ausdruck

Einen räumlichen Ausdruck fand die Kampagne erstmals durch die Installation „In need of home“ auf der Detmolder Design Woche Anfang Juni 2024. Durch den visuellen Bruch zweier Wohnrealitäten werden die Besuchenden auf die Not des Themas aufmerksam gemacht und eingeladen, den offenen Brief zu unterstützen.

Am 15. Juni entstand schließlich vor dem Schloss Bellevue in Berlin eine Soziale Plastik, welche Bank und Residenzschloss unter dem Titel „Zwei deutsche Wohnzimmer“ gegenüberstellt, um auf das räumlich verfestigte soziale Ungleichgewicht aufmerksam zu machen. Raumschaffende und interdisziplinäre Unterstützende kamen für den Diskurs zusammen und warfen die unterzeichneten Briefe ein.