Komplexe Geometrien einfach gebaut: Carapacks

Ein DesignBuild-Projekt erprobte, wie mit parametrischen Methoden aus Holzbauteilen einzigartige Konstruktionen generiert und mit verhältnismäßig wenig Aufwand errichtet werden können.

An der Architekturfakultät der Hochschule Biberach experimentierte ein Team aus Studierenden unter der Leitung von Simon Vorhammer, Jonas Schikore, Christina Jeschke und David Ott über mehrere Semester hinweg an einem parametrischen Holzbau-Design-Projekt. Als Ergebnis dieser Arbeit entstand das System „Carapacks“. Damit ist es möglich, beliebig gekrümmte Freiflächen zu generieren und diese in Form eines hexagonalen, doppelschaligen Stecksystems  auszuführen. Der üblichen Problematik von Krümmungen und Torsionsflächen bei Freiformen begegneten die Designer*innen mit einer Geometrie, bei der alle Einzelteile eine lotrechte Schnittkante besitzen und selbst krümmungsfrei sind. Das ermöglicht eine preiswerte Herstellung der einzelnen Elemente durch 2,5 achsige CNC-Laser oder Wasserstrahlschneidemaschinen.

Einzigartige Teile

Am Beginn steht das digitale parametrische Modell einer Freifläche, die dann in trilaterale Zellen unterteilt wird. Darauf baut die Konstruktion der Module auf. Oberhalb und unterhalb der Zelle sind sogenannte Knotenplatten platziert. Dazwischen liegen Elemente, die das Platten-Sandwich verbinden, sodass die Struktur Winkeländerungen senkrecht zur Oberflächenebene auffangen kann. Festgefügt sind die Schichten anschließend mit einer zentralen Schraube und zusätzlichen Holzklammern. Die Knotenplatten sind der Geometrie folgend alle einzigartig und mit einem Kennungssystem versehen, das die Position innerhalb des Gefüges genau definiert. Das gesamte System ist äußerst raumsparend. Der hier gezeigte Studienpavillon beispielsweise passt auseinandergebaut komplett in den Kofferraum von zwei Kombi-PKWs.

Wie ein Puzzlespiel

Der Aufbau der Einzelteile ist einfach und auch Laien können ihn ohne Zuhilfenahme von schweren Maschinen selbst bewerkstelligen. Durch das eingebettete Leitsystem bedarf es nicht einmal komplizierter Baupläne. Der Prozess gleicht damit nahezu einem Puzzlespiel.

Im Sommer 2023 hat das Team mithilfe der Studierenden eine 1:1 Raumkonstruktion aus den Carapacks verwirklichen können. Der Beispielpavillon bestand aus 592 einzigartigen Teilen, der für sechs Wochen auf dem Gelände der Hochschule Biberach zu besichtigen war. Nach dem Bau eines Prototyps aus Pappelholz bestand der ausgeführte Pavillon aus 9 mm dicken Birkensperrholzplatten mit 15 mm starken Auflagern, die ebenfalls aus Birkensperrholz gefertigt sind. Auf insgesamt 20 Platten fanden die 592 Einzelteile Platz – das Herstellen einer solchen im CNC-Laser dauerte in etwa 40 Minuten. Für den Aufbau des Pavillons auf dem Hochschulgelände benötigten acht Beteiligte eineinhalb Tage Zeit. Im kommenden Jahr 2024 soll die Struktur abermals aufgebaut werden.

Möglichkeiten

Durch die Flexibilität des Systems und einfache parametrische Anpassbarkeit ist ein Einsatz auch außerhalb von Holzpavillons vorstellbar, etwa als Fassadenelement oder andere Formen der Überdachung. Die Wetterbeständigkeit der Konstruktion kann durch die Wahl des Holzes oder durch bestimmte Oberflächenbehandlungen beeinflusst werden. Eine zusätzlich außenliegende Umhüllung, etwa aus ETFE, könnte Konstruktionen aus den Carapacks auch wasserundurchlässig machen.

Weitere Projekte

Im DesignBuild-Seminar von Simon Vorhammer und Christina Jeschke im Wintersemester 2022/23 ging es grundsätzlich darum, raumhaltige Systeme mit komplexen Formen, aber einfachen Mitteln zu entwerfen. Auch hier stand der parametrische Designprozess im Mittelpunkt. Als Ergebnis gingen daraus nicht nur die Carapacks hervor, sondern auch zwei weitere Pavillons: der „Plattenbau“ aus orthogonal gesteckten Platten sowie die „Stack-Bar“ aus gestapelten und durch Gurte zusammengehaltenen Holzleisten. Beide waren auf dem Sommerfest der Hochschule neben dem Carapacks-Pavillon zu sehen.