Grafenbasierte Datensysteme und analoge Umsetzung: Die Masterarbeit „das wilde bauen“

Welche Ästhetik steckt in dem Prozess des Umbauens? Anhand eines 1:1 Projekts hat sich Christian Sternhagen mit dieser Frage auseinandergesetzt. Seine Masterarbeit „das wilde bauen“ untersucht eine Methodik des Vernetzens von vorhandenen Ressourcen, Tools und Orten.

Der Begriff „wildes Denken“, geprägt von Claude Lévi-Strauss, beschreibt ganzheitliche Denkweisen naturnaher Kulturen. Diese Denkweisen verbinden alle Wesen, Dinge und Phänomene durch einen allumfassenden, magischen Zusammenhang, der nicht auf theoretischen oder rationalen Überlegungen basiert. Stattdessen kombinieren sie sinnliche Wahrnehmungen und vergangene Ereignisse durch Einbildungskraft zu konkreten Bildern, Ideen und Geschichten, ein improvisatives Vorgehen, das als „Bricolage“ bezeichnet wird.

Strauss setzt die beschriebenen Denkweisen naturnaher „wilder“ Kulturen der westlich rationalen und abstrahierenden Sichtweise gegenüber. Angelehnt an das Konzept des „wilden Denkens“ habe ich mit meiner Masterarbeit die Übertragbarkeit ähnlicher Strukturen und Überlegungen auf das „wilde Bauen“ untersucht. Mein Fokus – im Kontext der Architektur – lag auf der Untersuchung des potenziellen Zusammenspiels zwischen analogen und digitalen, greifbaren und abstrakten sowie komplexen und simplen architektonischen Ressourcen und Tools. Welche Gestaltungsformen können aus diesem Zusammenspiel hervorgehen, und welchen Einfluss hat es auf die Methoden (Plan, Modell und Bild) der Architektur? 

Versuchszeitraum, Versuchsort, Versuchsaufbau

Die dreimonatige Bearbeitungszeit meiner Masterarbeit nutzte ich als Versuchszeitraum. Um reale Bedingungen für einen Umbauprozess zu schaffen, die spezifische Arbeitsweise zu erproben und die Methode des „wilden Bauens“ zu evaluieren, habe ich das Projekt an einem konkreten Ort verankert: der Kleingartenkolonie Dornröschen in Hannover. Die begrenzte Größe der Lauben (maximal 24 Quadratmeter) und die Gestaltungsfreiheit eigneten sich für den zeitlich begrenzten Versuchsrahmen. Der Pächter, eine Kindertagesstätte aus Hannover, verfügte kaum über Kapazitäten für die Pflege und Gestaltung der Laube.

Sammeln, ordnen, vernetzen

Die Suche nach geeigneten Baumaterialien und Werkzeugen erstreckte sich über verschiedene Quellen, sei es Industrieabfall in Gewerbegebieten, Leihgaben von Freunden, Material aus Restekisten der Baumärkte usw. Die Sammlung erfolgte entweder mit einer wagen Zielsetzung, einem Gedanken für eine bestimmte Nutzung oder mit der Absicht, Materialien für zukünftige Bauphasen bereitzuhalten. Diese zufällig entdeckten Ressourcen erweiterten kontinuierlich das Repertoire der verfügbaren Materialien und die potenziellen Anwendungsmöglichkeiten. So umfasste das Repertoire neben analogen Baumaterialien, Werkzeugen, beteiligten Personen und Orten auch digitale Ressourcen, einschließlich frei zugänglicher Datenbanken mit Modelldateien und die digitalen Tools. 

Die Strukturierung aller Elemente des Repertoires und ihre Integration in eine Datenstruktur erfolgte mithilfe der grafenbasierten Software „obsidian“. Tags und genaue Beschreibungen dienten der Kategorisierung. Sprachliche Codes knüpften neue Verbindungen zwischen den Elementen. Diese Vernetzung spiegelte den Charakter des „wildes Bauens“ wider und zeigte komplexe Beziehungen in dem Gestaltungsprozess des Umbauens auf. 

Wilder Plan, Bild und Modell 

Die wilden Pläne, die wilden Bilder und die wilden Modelle sind gleichwertig im Netzwerk der Ressourcen, Tools, Personen und Orte eingebunden. Mithilfe der Scans der Laube und der Elemente meines Repertoires konnte ich in einem digitalen Arbeitsumfeld Ideen, Konzepte und räumlich Überlegungen testen, bevor sie handwerklich in der Laube umgesetzt wurden. In die wilden Pläne haben alle Beteiligten ihre Ideen mit Markern und Stiften eingezeichnet. Die Modelle, die ich in einem weiteren Schritt ebenfalls scannte, um sie in die wilden Bilder einbinden zu können, dienten als Mock-up für größere Baumaßnahmen.

Auswertung und Zusammenhänge

Die Masterarbeit „das wilde bauen“ reflektiert eine intensive Auseinandersetzung mit der Integration von analogen und digitalen Arbeitsweisen. Durch den Fokus auf die Verbindung von Ressourcen, Tools, Orten und Personen wurde ein experimenteller Gestaltungsprozess angestoßen. Mit grafenbasierten Datensystemen übertrug ich die Idee des magischen, allumfassenden Zusammenhangs, den Claude Lévi-Strauss beschrieb, auf die Vernetzung von Ressourcen, Tools, Orten und Personen in Umbauprozessen. Dies ermöglichte die Aufdeckung komplexer Beziehungen und Verbindungen zwischen den Elementen und förderte eine analytische Sichtweise auf den gesamten Gestaltungsprozess.

Video von Christian Sternhagen