Forschungsfeld Architekturbüro: Das Seminar „Experiment Leistung“

Wie sprechen Architekt*innen über Erfolg und Geld? Lidia Gasperoni hat gemeinsam mit Studierenden das Prinzip „Leistung“ analysiert, hinterfragt und gezielt über Interviews mit Architekturbüros erforscht.

Die Architekturproduktion wird stark von politischen, wirtschaftlichen und rechtlichen Regelungen beeinflusst. Diese Rahmenbedingungen prägen das Arbeitsumfeld der Architekt*innen. Im Wintersemester 2023/24 leitete Lidia Gasperoni das Seminar „Experiment Leistung“ im Fachgebiet Architekturtheorie an der Technischen Universität Berlin, in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Architekturzentrum (DAZ). Das Seminar verfolgte die zentrale Frage, wie die Hochschullehre Architekt*innen ausbilden kann, die nicht nur effizient arbeiten, sondern ihre Kompetenzen auch gezielt einsetzen. Durch theoretische Auseinandersetzung und Interviews mit ausgewählten Architekturbüros beleuchteten die Studierenden die architektonische Praxis aus der Perspektive von „Leistung“.

Leistung als Thema

Das Seminar folgte einer klaren Struktur, die Theorie und Praxis eng verzahnte. Neben der Analyse der HOAI stand in der ersten Seminarphase die theoretische Diskussion des Begriffs „Leistung“ im Vordergrund. Die Teilnehmenden beschäftigten sich mit relevanten Fragestellungen und bereiteten Interviews vor.

Sie untersuchten den Umgang mit Bestand und Nachhaltigkeitsthemen als neue, anzuerkennende Leistungen und deren Beziehung zu der Struktur von Architekturbüros, einschließlich ihrer Rechtsformen. Ebenfalls betrachteten sie den Begriff „Leistung“ und den Kapitalismus in seiner vielschichtigen, spekulativen Dimension, ohne dabei die historische und politische Entwicklung der sozialen Regulierung des freien Marktes außer Acht zu lassen. Ein wichtiger Schwerpunkt lag auf der Enttabuisierung des Themas Geld in der architektonischen Ausbildung, einschließlich der Diskussion über die Bedeutung der HOAI. Dabei reflektierten die Studierenden ihre persönliche Beziehung zu Leistung, Arbeit und Geld und erlernten Methoden der Sozialanalyse und Interviewführung. Für viele war das Seminar der erste Kontakt mit dem Thema Geld im Kontext der Architektur – eine Reflexion, die schließlich Fragen zu Privilegien und sozialer Herkunft aufwarf.

Feldforschung in der Architekturpraxis

Im Rahmen der Feldforschung führten die Studierenden jeweils zwei Interviews mit ausgewählten Berliner Architekturbüros durch. Sie erhielten praxisnahe Einblicke in verschiedene Perspektiven und Erfahrungen im Umgang mit dem Begriff „Leistung“. Die Gespräche beleuchteten die Komplexität der beruflichen Praxis und die Strategien, mit denen Architekturbüros Leistung und Kapitalbildung organisieren. Um den offenen und ehrlichen Austausch zu fördern, wurde die Anonymität der Büros während des gesamten Prozesses gewahrt. 

Die gewonnenen Erkenntnisse und Problemstellungen wurden anschließend im Seminar weiter diskutiert und später in Folge-Veranstaltungen zugänglich gemacht. Lidia Gasperoni hat den gesamten Prozess strukturiert und begleitet und uns im gemeinsamen Austausch von den Erkenntnissen aus dem Seminar, die eine Reihe von Schlussfolgerungen mit sich brachten, berichtet: Architektur scheint ein begehrtes Privileg zu sein, das vor allem große Büros dank der Gewinne aus konventionellen Projekten finanzieren könne. Gemeinnützige Vereine würden hingegen häufig von Architekt*innen getragen, die ihr Einkommen anderweitig sichern. Büros mit stabilem Kapital, die dadurch größere Freiheit genießen, stellen die Leistungsgesellschaft oft besonders kritisch infrage und meiden Gespräche über Geld. Andere Büros setzen auf alternative Modelle wie die gleichmäßige Verteilung von Einnahmen aus Projekten oder Lehrtätigkeiten und experimentieren mit flexiblen, kooperativen Strukturen. Solche Ansätze beeinflussen die Organisation, Größe und Arbeitskultur der Büros erheblich. Die Ergebnisse zeigen, wie unterschiedlich Architekturbüros mit den Themen Leistung, Kapital und Arbeitsorganisation umgehen und wie stark diese Faktoren die Struktur der Büros beeinflussen können. 

Gemeinsame Reflexion über Privileg und Ressource

Die dritte Phase des Projekts widmete sich der Sichtbarmachung und Reflexion der gewonnenen Erkenntnisse. Diese wurden in einer internen Veranstaltung gemeinsam mit den beteiligten Architekturbüros im DAZ im Januar 2024 vorgestellt und diskutiert. Den Abschluss des Seminars bildete eine öffentliche Veranstaltung im Mai 2024 unter dem Titel „Leistung und Berechtigung“. Hier beleuchtete die Diskussion mit Gästen weitere Haltungen und Fragen, etwa wie wir als Planer*innen mit der Berechtigung, sich als Architekt*in bezeichnen zu können, umgehen oder wie eigene Privilegien als gemeinsame Ressource geteilt werden könnten.