Du... Ich? Wir! Für eine Zukunft: Eine auf Fragen basierte Abschlussarbeit
Welche Rolle spielt Architektur in einer Wachstumsgesellschaft? Das ist nur eine der gravierenden Fragen, der Niklas Holzhauer theoretisch und gestalterisch nachging.

Fragen formulieren, neugierig bleiben – mit diesem Ziel vertiefte sich Niklas Holzhauer in eine umfangreiche Thesis. Die Arbeit ist zweiteilig: Die theoretische Abhandlung untersucht auf einer Metaebene systemische Zusammenhänge im Spätkapitalismus. Der zweite Teil umfasst räumliche und soziale Strategien im Umgang mit dem „unfertigen Ganzen“ und skizziert Szenarien im Alltag einer fiktiven Protagonistin.
Wie geht man mit dem unfertigen Ganzen als Reaktion auf eine undurchsichtige Gegenwart und dystopische Zukunftsaussichten um? Niklas Holzhauer beschreibt in seiner Abschlussarbeit den Alltag im Szenario einer Postwachstumsökonomie. Er plädiert für den Genuss der Einfachheit des Lebens und artikuliert einen Mehrwert im Verzicht.
Die westliche Identität hat eine starke Selbsterzählung aufgebaut, die sich nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs tief in das kollektive Bewusstsein eingeschrieben hat: Das wirtschaftliche Wachstum und der stetig zunehmende Wohlstand werden als eine Art Naturgesetz betrachtet. Dies infrage zu stellen und nach einer gesunden, solidarischen und generationengerechten Alternative zu suchen, erscheint kaum denkbar.

Diese Randbedingungen galten allerdings nur temporär und für einen kleinen Teil der westlichen Weltbevölkerung in der Nachkriegszeit. Als der Westen im Kampf mit dem Sozialismus siegte, saß er dem fatalen Irrtum auf, dieses System als unendliche Konstante zu etablieren. Die großartigen Errungenschaften des kapitalistischen Systems wie die hohe Lebenserwartung, die Demokratisierung und wachsende Gleichberechtigung, sind unbestreitbar. Doch die Grundidee von Freiheit durch Eigentum und Selbstverwirklichung führt seit dem Ende des Wirtschaftswunders zu vermehrten Konflikten.
Die Folgen sind wachsende Ungleichgewichte, eine explosive geopolitische Stimmung, der drohende Klimakollaps durch Überschreiten der ökologischen Grenzen und das Wiedererstarken des Faschismus. Vor allem aber überlastet dieses System die menschliche Kapazität.

Architektur hat also heute ein neues, geosoziales Umfeld. Wir Menschen und unsere Lebensweisen haben diesen Status quo, unter dem wir leiden, selbst erzeugt. Ohne eine grundlegende Wirtschaftswende und einen gesellschaftlichen Paradigmenwechsel wird auch eine Bauwende nicht gelingen. Diese rüttelt an den gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Grundprinzipien der westlichen Identität, die durch Gesetzgebung und allgemeines Handeln gefestigt sind und den Rahmen, in dem Veränderung bestimmen.
Ökonom*innen wie Irmi Seidl, Niko Paech, Ulrike Herrmann und Uwe Schneidewind schlagen deshalb eine sozialökologische Transformation hin zu einer gesunden Wirtschaftsweise vor. Dies erfordert auch einen Wandel der Selbsterzählung und führt unweigerlich zu Identitätskrisen. Paechs Theorien zur Postwachstumsökonomie zeigen, dass ein geregeltes Schrumpfen notwendig ist und zu einem lebenswerten Alltag führen würde.

Hier setzt Niklas Holzhauer an und erzählt den Alltag einer fiktiven Protagonistin in einem entsprechenden Zukunftsszenario. Die Architektursprache kann Vorstellungen räumlich darstellen und Lebensentwürfe erzeugen und manifestieren. Die Erzählung nutzt diese Mittel, um ein positives „Was wäre, wenn …?“ Szenario zu schaffen, das neue Energien und gemeinschaftliche Zielsetzungen fördert. Ganz bewusst sind keine Personen dargestellt, da so der*die Leser*in selbst die Geschichte mit Leben füllen kann.

Die in der Arbeit entwickelten gesellschaftlichen Strategien und räumlichen Interventionen finden in der Erzählung Anwendung. Diese bewusst generisch entworfenen Lebensräume sollen eine einfache und gesunde Alltagsgestaltung ermöglichen. Denn Lebensräume sind vor allem dann effizient, wenn sie eine ruhige und gesunde Umgebung schaffen.
Die Erzählung wirbt für einen Systemwandel und lädt zum Nach- und Mitmachen ein. Denn gesamtgesellschaftliches Wirken ist immer die Summe vieler einzelner Alltage.
