Care, Community und Construction: Der prozesshafte Zugang von atelier ehrmann:gruber
Ihr Studio? Ein Atelier – noch „under construction“. Christina Ehrmann und Christopher Gruber finden über Film, Kunst, Lehre und Forschung zur konstruktiven Architektursprache.

Man begegnet ihnen auf der Vienna Architecture Summer School, in der Lehre an der Angewandten in Wien oder unter den Gewinner*innen des Europan-Wettbewerbs. Ihre Website verrät kaum etwas über das Portfolio des jungen Duos, ihr Instagram-Kanal hingegen zeigt ein Sammelsurium aus Modellen, Skizzen, gebauten Details, Objekten und städtebaulichen Plänen. atelier ehrmann:gruber pendelt agil zwischen Architektur, Lehre, Design und Kunst.
#StudioUnderConstruction wirft einen Blick auf Entstehungsgeschichten, Projekte und Philosophien von Architekturbüros, die ihre Gründung innerhalb der letzten fünf Jahre vollzogen haben – oder mittendrin stecken. Eine Reihe von und für Newcomer*innen.
Ein Erfahrungs-Boost: das erste Bauprojekt im Studium
Christina Ehrmann und Christopher Gruber lernten sich zu Beginn ihres Studiums an der Akademie der bildenden Künste Wien kennen. Ein Auslandssemester an der Bartlett School in London eröffnete ihnen neue Perspektiven auf Architektur durch das Medium Film. Beide Hochschulen prägten sie laut ihres Rückblicks nachhaltig – der offene Austausch, die Gemeinschaft, die kreative Energie der Kommiliton*innen.
Noch während des Masterstudiums kam es zum ersten Auftrag – nicht durch einen Wettbewerb oder klassische Akquise, sondern über eine Studienkollegin. So führten sie gemeinsam mit Marie Eham als Dreier-Team das Projekt durch. Es gab keine konkrete Aufgabe, nur die Idee, in einer Tischlerei in Hausham bei München „etwas“ zu schaffen. Inhaltsreiche Gespräche und ein Testauftrag überzeugten die Bauherrschaft und markierten den Beginn einer vertrauensvollen Zusammenarbeit, die auch Handwerker*innen und Nachbarschaft mit einbezog. Christina, Christopher und Marie übernahmen Entwurf und Ausführungsplanung, das Genehmigungsverfahren lief über ein lokales Büro.
Vier Jahre später steht nun das hybride Werkstattgebäude kurz vor Fertigstellung. Doch wichtiger als das Ergebnis war der Prozess, geprägt von Umplanungen, Improvisation und glücklichen Zufällen. Ein Intensivkurs im Maßstab 1:1. Der enge Austausch mit Handwerker*innen vor Ort brachte überraschende Aha-Momente, etwa als ein ungeplantes Spenglerdetail zur eleganten Dachlösung wurde.

Architektur als Care-Taking
Das erste Bauprojekt spiegelt die Haltung von atelier ehrmann:gruber wider: Architektur wird verstanden als Prozess, als kollektives Aushandeln und ständiges Lernen. Das Duo will „Dinge ein bisschen anders machen“ und mehr hinterlassen als nur einen Baukörper, nämlich: neue Beziehungen, Netzwerke und Angebote. Sie möchten lokale Communites in den Bauprozess einbinden und mit ihnen jeden Abschnitt eines Projekts feiern. Als Planende sehen sie sich in der Rolle von Care-Takern.
Dieser Anspruch zeigt sich auch in ihrem preisgekrönten Europan-17-Projekt „Lochau Rural (H)arbours“. Um Entwicklungsstrategien für die Ortschaft am Bodensee zu entwerfen, analysierten sie lokale Praktiken, verstanden die Ökologie Lochaus und entwickelten Prozesse für eine langfristige Aneignung und Pflege des Baubestands – in enger Zusammenarbeit mit der ansässigen Gemeinschaft. Dabei wagten sie den Blick auf eine ihnen vertraute, aber doch unbekannte Region. Obwohl beide unweit des Bodensees aufwuchsen, bewahrten sie im Entwurfsprozess eine analytische Distanz.

Zwischen Studio und Seminarraum
Christina und Christopher lehrten bis Sommer 2024 an der Angewandten in Wien. Besonders prägte sie die methodische Stringenz von Prof. Cristina Díaz Moreno und Prof. Efrén García Grinda. Architekturphänomene und historische Präzedenzfälle neu zu entdecken, um daraus zeitgenössische Erkenntnisse zu gewinnen, bot ihnen einen reichen Fundus an Referenzen. Sie lernten, dass selbst die kleinsten Details aufschlussreich sein können.

Under Construction – auch nach der Gründung
Christina und Christopher wollen ihren zukünftigen Weg offen halten. Im Spannungsfeld zwischen Gestaltung, Lehre und Forschung – beide streben eine Promotion an – ist ihr kreativer Spielraum lange nicht ausgeschöpft. Die doppelte Verortung zwischen Atelier und Uni sichert ihnen finanziellen Rückhalt und inhaltliche Rückkopplung. Dafür kehrte Christopher im Herbst 2024 zurück in die Lehre an die Akademie der bildenden Künste, dieses Mal als Senior Lecturer am Institut für Kunst und Architektur. Was als Nächstes kommt? Objekte, Videos, Spenglerdetails oder Trinkwasseranlagen – auch das bleibt offen. Flexibilität beweisen, sagen sie, sei heute wichtiger denn je.
