Unbequemes Erbe: Kann Architektur einen Ort heilen?
Wie geht man damit um, wenn das eigene Institutsgebäude eine problematische Vergangenheit hat? Mit dieser Frage setzen sich Forschende, Lehrende und Studierende am Institut für Architekturbezogene Kunst der TU Braunschweig auseinander.

Umgeben von Bäumen und Büschen liegt im Querumer Forst nördlich von Braunschweig das Gebäude des Instituts für Architekturbezogene Kunst (IAK) der Technischen Universität Braunschweig. Das in die Jahre gekommene Bauwerk aus den späten 1930er-Jahren blickt auf eine teils unbequeme Geschichte zurück. Institutsleiterin Prof. Folke Köbberling, ihr Team und die Studierenden des Instituts graben buchstäblich in der Vergangenheit des Ortes. Ihre Nachforschungen haben einen interdisziplinären Diskurs über den Umgang mit dieser Geschichte angestoßen.

Erst Bunker, dann Kunst
Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges fing auch die Geschichte des Ortes an. 1939 wurde hier unter der Leitung von Bauingenieur Prof. Theodor Kristen das Institut für baulichen Luftschutz errichtet. Mitten im Wald forschte man an schusssicheren Bunkern und effizienter Bunkerbewehrung. Versatzstücke dieser Modellbunker finden sich noch heute im Unterholz des Geländes. In den frühen 1970er-Jahren baute der kroatische Architekt Zdenko Strižić das Gebäude um und das von Prof. Jürgen Weber geleitete Institut für Elementares Formen zog ein. Nach Webers Emeritierung im Jahr 2000 wurde es unter der Bildhauerin und Malerin Prof. Azade Köker erst zum Institut für Bildende Kunst und schließlich zum Institut für Architekturbezogene Kunst. 2016 übernahm die Künstlerin Prof. Folke Köbberling die Leitung. Gemeinsam mit ihren Mitarbeitenden und Studierenden legt sie in ihren Lehrveranstaltungen mit den Methoden der künstlerischen Forschung die verschiedenen Etappen der Vergangenheit des Ortes frei.

Ausgrabungsstätte IAK
In der von Alice Goudsmit und Gergely László geleiteten, fünfteiligen Seminarreihe „Erbschaften“ beschäftigten sich Studierende von 2019 bis 2022 mit der materiellen und immateriellen Vergangenheit des Instituts. Wortwörtlich fingen sie an, in der Geschichte zu graben und legten im angrenzenden Wald das Fundament des ehemaligen Sprengturms und die Überreste der Bunkeranlage aus der NS-Zeit frei. Diese Funde warfen viele Fragen zur Aufarbeitung der Geschichte auf. Um diese disziplinübergreifend zu bearbeiten, holten sich die Studierenden Unterstützung von anderen Fachbereichen. So beteiligten sich das Institut für Geophysik und Extraterrestrische Forschung und das Institut für Baugeschichte an der Vermessung der Umgebung. Das Institut für Geschichte und Theorie der Architektur und Stadt half bei der multiperspektivischen, architekturhistorischen Betrachtung der Zeit unter Jürgen Weber.

Bei ihren Nachforschungen in Akten und Archiven fand beispielsweise die Studentin Linnea Altrogge unter der Anleitung der Wissenschaftlichen Mitarbeiterin Stella Flatten Hinweise auf den Einsatz von Zwangsarbeiter*innen am Institut für baulichen Luftschutz. Dadurch gelang es ihnen, die Biografie eines polnischen Zwangsarbeiters zu rekonstruieren, der mehrere Jahre unter Prof. Theodor Kristen an der TU Braunschweig arbeitete. Dieser und andere Funde, die in einer Publikation beschrieben werden, zeigen die unaufgearbeitete NS-Geschichte der Universität.

Kann man einen Ort heilen?
Ein möglicher Umgang mit dem unbequemen Erbe ist der künstlerische. In den Seminaren am IAK sind die Studierenden angehalten, sich künstlerisch mit dem Ort und seiner Geschichte auseinanderzusetzen. Ein Material, das dabei oft verwendet wird, ist die Rohwolle. Das wohl bekannteste Beispiel für die Verwendung von Wolle und Filz in der Kunst ist das Werk von Joseph Beuys. Ähnlich wie Beuys, der dem Material eine reparierende, gar heilende Wirkung zuschreibt, verhalten sich auch die Interventionen in Braunschweig. Auch wenn die künstlerischen Eingriffe die Geschichte nicht ungeschehen machen können, so können sie zumindest darauf verweisen. Die Untersuchungen am IAK sind der erste Schritt auf dem Weg zu einer angemessenen und würdigen Aufarbeitung der Vergangenheit.