Über den Dächern Venedigs: Der Pavillon „Re-Altana“
Auf der Dachterrasse des Palazzo Mora bauten Studierende der HS Coburg einen Pavillon aus übrig gebliebenen Materialien, der die Typologie der venezianischen Altana neu interpretiert. Das Projekt entstand im Rahmen der Ausstellung Time Space Existence.
Was können wir von den Altane genannten, hölzernen Pavillonbauten über den Dächern der Lagunenstadt für die urbane Resilienz in Zeiten der Klimakrise lernen? Diese Fragte stellte sich das studentische Kollektiv Atelier35 während der Vorbereitung der vom ECC (European Cultural Centre) organisierten Ausstellung Time Space Existence, die parallel zur Architekturbiennale in Venedig stattfindet. Unter der Leitung von Prof. Markus Schlempp und Dr. Tijana Vojnovic Calic von der HS Coburg entwarfen die Studierenden eine filigrane Konstruktion aus Holzbalken und Stoffresten. Das Projekt ist Teil des Masterstudienschwerpunkts Heritage Design.
Einfaches Bauen
Holz als nachwachsender Rohstoff erfreut sich in der Debatte um nachhaltiges Bauen immer größerer Beliebtheit. Dabei wird oft außer Acht gelassen, dass auch die europäischen Wälder endlich sind und der wachsenden Nachfrage in Zukunft möglicherweise nicht mehr gerecht werden können. Wird Holz aus anderen Ländern importiert, fallen zusätzlich Emissionen durch lange Transportwege an. Re-Altana möchte deswegen den Fokus auf einfaches Bauen in handwerklicher Tradition mit lokal verfügbarem Holz lenken. Die für den Pavillon verwendeten Holzbalken waren beim Ausstellungsaufbau übrig geblieben, die Stoffreste stammen aus der Verpackungsproduktion der Brennholzindustrie. Auf industriell gefertigte Bauteile, die über weite Strecken transportiert werden müssen, konnte das Atelier35 dadurch verzichten. Kleine Querschnitte, die effizient kombiniert wurden, ermöglichten einen reduzierten Holzverbrauch. Durch reversible Stahlverbindungen ohne den Einsatz von Klebstoffen kann der Pavillon leicht auf- und abgebaut werden.
Identität ohne Tourismus
Re-Altana möchte die Identität der Stadt abseits der touristischen Massen wieder stärker ins Bewusstsein rufen. Traditionelle Altane sind private Außenräume, auf denen Venezianer*innen dem Trubel der Straßen entfliehen, warme Sommerabende genießen oder auch nur Wäsche aufhängen können. Sie sind ein integraler Bestandteil des Stadtbildes. Aus der Not der beengten Wohnverhältnisse machten die Bewohner*innen Venedigs so eine Tugend. Mit dem Bau des neuen Pavillons waren die Studierenden aktiv an der Infrastruktur der Stadt beteiligt. Dadurch konnten sie einen Blick hinter die Kulissen werfen und erkennen, wie elementar Umbau, Reparation und Weiterbauen für Venedig sind. Diese Themen können eine Chance für die Retransformation der Stadt zu einem lebenswerten Wohnort bieten.
Tradition weiterdenken
Re-Altana soll Erinnerungen an die traditionellen Pavillonbauten wecken und dennoch neue Assoziationen hervorrufen. So entwickelten die Studierenden die typische Bauweise weiter, die aus einem einfachen Geländer mit nach oben verlängerten Pfosten und Riegeln zur Befestigung eines Sonnendachs besteht. Sie begriffen den Pavillon als eine gesamtheitliche Komposition aus vertikalen, horizontalen und diagonalen Elementen. Der Baldachin aus Netzstoff ist mehr als ein einfacher Sonnenschutz, im Dunkeln leuchtend wird er zu einer abstrakten Skulptur auf der Dachterrasse des Palazzo Mora.