Planen und Bauen in Griechenland: Der pflegende Ansatz von Special Studio
Andere Länder, andere Sitten – Kassandra Saranti und Marin Roche lernten sich während des Studiums in Berlin kennen und zogen gemeinsam nach Athen, wo sie 2022 ihr Büro Special Studio gründeten. Im Rahmen unserer Reihe #StudioUnderConstruction werfen wir einen Blick auf ihre Arbeit in Griechenland.
Kassandra Saranti wuchs in Griechenland auf, Marin Roche in Paris. Die beiden Gründer*innen von Special Studio trafen sich während ihres Studiums in Berlin. Den Bachelor absolvierten sie an der Technischen Universität und den Master an der Universität der Künste. Danach zogen sie gemeinsam nach Athen und gründeten nach einjähriger Mitarbeit in einem ortsansässigen Büro ihr eigenes Studio. Neben Neubauprojekten liegt der Fokus ihrer Arbeit auf Instandsetzungen und der Pflege bestehender Gebäude.
#StudioUnderConstruction wirft einen Blick auf Entstehungsgeschichten, Projekte und Philosophien von Architekturbüros, die ihre Gründung innerhalb der letzten fünf Jahre vollzogen haben – oder mittendrin stecken. Eine Reihe von und für Newcomer*innen.
Von Deutschland nach Griechenland
„Niemand zieht nach Griechenland, um dort zu arbeiten“, erwähnt Marin fast beiläufig im Gespräch. Die wirtschaftliche Situation des Landes beeinflusse die Arbeitsbedingungen vor allem von Arbeitnehmenden. Unbezahlte Praktika seien in vielen Architekturbüros an der Tagesordnung, und der Berufsstand des*der Architekt*in genieße nicht gerade den besten Ruf. Warum also nach Griechenland ziehen und dort auch noch den Schritt in die Selbstständigkeit wagen? Griechische Städte üben auf Kassandra und Marin eine Faszination aus. Hauptgründe dafür seien unter anderem die Flexibilität im Hinblick auf Typologie und Nutzung sowie die weit verbreiteten Bottom-Up-Ansätze. Wegen der hohen Eigentumsrate im Wohnungsbau betreffen die meisten Anfragen private Sanierungen und kleinere Projekte. Ihr erster Auftrag, der sich aktuell noch im Bau befindet, ist ein Ferienhaus für eine deutsche Familie auf der Insel Lefkada.
Nur das Nötigste
Dem ersten Neubauprojekt folgten Aufträge für Instandsetzungen – viele davon in dörflichen Gegenden. Dabei verfolge das Duo von Special Studio den Ansatz „So wenig wie möglich, so viel wie nötig“. Mit ihrer Arbeit wollen sie einen Mehrwert generieren und jede Veränderung am Bestand im Vorhinein gründlich überdenken. Sind die geplanten Maßnahmen wirklich nötig? Wie lässt sich mit dem Vorgefundenen arbeiten? Zuerst verschaffen sich die beiden einen Eindruck von dem Gebäudebestand und dem Kontext. Beim Entwurf arbeiten sie viel mit lokalen Referenzen und orientieren sich an der vernakulären Architektur. Collagen und Visualisierungen spielen in ihrem Arbeitsprozess eine wichtige Rolle, da sie in der Kommunikation mit anderen Baubeteiligten eine entscheidende Argumentationsgrundlage bilden. Jedes Projekt wird ausgehend vom Vorgefundenen entwickelt, sodass sich auf den ersten Blick keine einheitliche Handschrift erkennen lässt. Das stört Marin und Kassandra nicht. Ihnen ist es wichtiger, schonend und effizient mit der bestehenden Substanz umzugehen.
Mündliche Baukultur
Die Baukultur und die Rolle von Architekt*innen unterscheide sich in Griechenland stark von dem Bild, das Marin und Kassandra während ihres Studiums in Berlin vermittelt bekamen. Die meisten Bauprojekte leiten Bauingenieur*innen und Generalunternehmer*innen, berichten sie. Da diese berechtigt sind, Baugenehmigungen zu unterschreiben, braucht es nicht zwangsläufig eine*n Architekt*in, um ein Haus zu bauen. Die meisten Architekt*innen seien im Tourismus- und Luxussektor tätig und übernehmen eher gestalterische als konstruktive Aufgaben. Diesem Image wollen Kassandra und Marin entgegen wirken und sehen sich eher in dem Aufgabenspektrum verortet, das in Griechenland traditionellerweise den Bauingenieur*innen zukommt.
Dies bedeutet, dass sie sich auf der Baustelle behaupten müssen, um von den Baufirmen ernst genommen zu werden. Hinzu kommt, dass die Baukultur eine primär mündliche ist. Tradition und Erfahrungswerte spielen in der Ausführung eine wichtigere Rolle als Pläne. Auch Renderings und andere Formen der Visualisierung haben einen höheren Stellenwert in der Kommunikation als Grundrisse und Schnitte. Dies erfordert eine entsprechende Argumentationsweise. Bauherr*innen und -unternehmen müssen erst überzeugt werden, warum bestimmte Dinge anders umgesetzt werden sollten als bisher. Kassandra und Marin setzen dabei vor allem auf Referenzen, um ihr Gegenüber zu überzeugen und so Schritt für Schritt das Vertrauen der Bauleiter*innen und Handwerker*innen zu gewinnen.