Mit Akkuschrauber in Venedig: Die Masterarbeit „Tagebuch einer Reparatur“
Lose Leitungen, marode Bauteile und Risse im Stuck: Anna Hugot befasste sich in ihrem Abschlussprojekt mit Reparaturarbeiten in einer sozialen Wohnung in Venedig. Akribisch dokumentierte, minimale Eingriffe haben zahlreiche Fragen zur Entstehung einer neuen Umbaukultur aufgeworfen.
„Tagebuch einer Reparatur (01 – 06)“, so lautet der Titel des Buches, das die Erkenntnisse meiner Diplomarbeit dokumentiert. Während meiner Mitarbeit im Deutschen Pavillon auf der 18. Architekturbiennale 2023, der durch „Open for Maintenance – Wegen Umbau geöffnet“ in eine nutzbare Infrastruktur verwandelt wurde und meinem damit einhergehenden Aufenthalt in Venedig, habe ich mich im Rahmen meiner freien Diplomthesis an der RPTU Kaiserslautern intensiv mit dem Thema Reparieren auf unterschiedlichen Ebenen beschäftigt.
Umbau durch Reparatur
Drei Interessen bestanden seit Beginn: Die Notwendigkeit, sich mit dem vorhandenen Baubestand auseinanderzusetzen und diesen langfristig zu erhalten, die Anwendung und der Ausbau handwerklicher Fähigkeiten und die Absicht, tatsächliche Mehrwerte für eine Person oder Personengruppe zu schaffen.
Vor diesem Hintergrund habe ich das Thema Reparieren erforscht, mir unterschiedliche Strategien überlegt, sie als Orientierung herangezogen und viele Fragen gestellt: Ab wann ist etwas überhaupt mangelhaft? Wann und warum muss etwas repariert werden? Verfolgt die Reparatur einen pragmatischen Zweck, will sie etwas flicken und wieder funktionsfähig machen? Oder ist es mehr als eine Wiederherstellung des Ursprungszustands – eine Veränderung oder gar Verbesserung? Oder „nur“ eine Schönheitskorrektur?
Leerstand trotz Massentourismus
Zu „reparieren“ gilt es in vielerlei Hinsicht – gerade aktuell – nicht nur Materielles. Die Assemblea Sociale per la Casa, eine aktivistische Gruppe in Venedig, kämpft seit Jahrzehnten für leistbaren Wohnraum für alle. Vor dem Hintergrund des Massentourismus, dessen Auswirkungen auf den lokalen Wohnungsmarkt und des extremen Leerstands öffentlichen Wohnraums – konkret trifft das auf mehr als 2000 zunehmend verfallende Häuser zu – formierte sich die Initiative gegen Ende der 1990er Jahre. Seitdem besetzen sie ungenutzte, leerstehende Wohnungen, renovieren sie und führen sie anschließend ihrer ursprünglichen sozialen Funktion zurück. Eine dieser Wohnungen in der Nachbarschaft von Santa Marta ist seit Beginn der 2000er besetzt und hat bereits viele Bewohner*innen beherbergt. So wurde sie für eine Zeit lang auch zu meinem Arbeitsplatz.
Details unter die Lupe genommen
Ein maroder Fensterladen. Damit herabstürzende Teile niemanden verletzen, nahm ich mich diesem Problem zuerst an. Der aufwendige Ausbau aus der passgenauen Öffnung machte mich darauf aufmerksam, wie schwer eine Instandhaltung ist. Eine Erkenntnis mit Einfluss auf den Entwurf, der außerdem den strengen Vorschriften des Denkmalschutzes Folge leistet. Ein Schnitt durch den Laden im unteren, am meisten bewitterten Drittel, erleichtert die zukünftige, eigenständige Pflegearbeit und erweitert außerdem die Funktionsweise: Verschiedene Positionierungen erlauben beispielsweise das Blocken der Sonnenstrahlen am heißen Sommertag bei geschlossenem oberen Teil und ein bisschen verbleibende Luftzirkulation durch den offenen unteren Teil. Ein System, das (womöglich) auf die ganze Stadt skaliert werden kann.
Große Fragen auch im kleinen Maßstab beantwortet
Ein Stuhl, eine Türzarge, eine Zierleiste, ein Spülkasten und ein Deckenspiegel folgen im Groben dieser Herangehensweise. Jeder Reparatur liegt eine etwas andere Strategie zugrunde. Wird etwas vollständig ersetzt, weil es nicht mehr brauchbar oder vorhanden ist, oder wird an etwas Bestehendes angeknüpft, erweitert? Wie sichtbar ist der Eingriff oder sollte er sein? Auf ganz unterschiedlichen Ebenen lerne ich vom Kontext, der sie umgibt – historisch, klimatisch, konstruktiv. Welche Systeme bestehen bereits? Gibt es schon (provisorische) Lösungen für ein bestimmtes Problem? Wie kann ich mit dem Bestand arbeiten, Eigenarten fördern oder daran anknüpfen? To be continued.