„Leben vor der Stadt“: Der Mythos Einfamilienhaus

Auslaufmodell Einfamilienhaus? Umfragen zeigen, dass der Trend anders aussieht. Wie man diese Wohnform zukunftsfähig gestalten kann, untersuchte das Forschungsvorhaben „Leben vor der Stadt – das Erbe der 50er, 60er, 70er Jahre in der StadtRegion Stuttgart“.

In den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg galt in der bundesrepublikanischen Gesellschaft als die erstrebenswerteste Wohnform schlechthin das Ein- oder Zweifamilienhaus in der Vorstadt. Für die Massen möglich gemacht hatte es das Wirtschaftswachstum, die Umgestaltung der Städte ganz im Sinne der modernistischen Doktrin – Stichwort Autogerechtigkeit, sowie das Idealbild der Kernfamilie. 

Ein kooperatives Lehrforschungsprojekt der Hochschule für Technik Stuttgart (HFT), der Wüstenrot Stiftung und der Bundesstiftung Baukultur unter der Leitung von Prof. Dr.-Ing. Christina Simon-Philipp untersucht seit 2020 die Bereiche, die „vor der Stadt“ liegen. Ziel der Forschung ist es, die Potenziale, die in den überall vorhandenen Gebieten liegen, vor dem Hintergrund einer ressourcenschonenden Stadtentwicklung aufzudecken und weiterzudenken. Nun ist dazu eine interaktive Website online gegangen, die den Diskurs über die in großem Umfang vorhandenen Einfamilienhausbestände anfachen soll. Die Website führt die Besucher*innen durch verschiedene Themenwelten rund um das Einfamilienhaus. Beispiele hierfür sind die Auswirkungen auf die Lebensweise, die Umwelt oder ökonomische Aspekte.

Ungebrochenes Ideal

Der Traum vom privaten Eigenheim ist nach wie vor fest als kollektiv getragene Idealvorstellung des Wohnens in Deutschland verankert – Tendenz steigend: Waren es 2018 noch 60 Prozent der Befragten, die sich ein Einfamilienhaus wünschten, sind es fünf Jahre später schon 65 Prozent. Das Forschungsprojekt geht der Frage nach, warum eine Wohnform, die ganz offensichtlich Nachteile in puncto Ökologie oder Vereinsamung im Alter mit sich führt für viele Menschen alternativlos erscheint. Zu diesem Zweck haben Studierende der HFT ein aufschlussreiches Experiment mit 73 Kindern durchgeführt: Sie sollten ihre zukünftige Traumwohnsituation zeichnen. Zwar erinnern manche Bilder an ein Einfamilienhaus, doch kaum einer der kleinen Proband*innen imaginierte ein Zusammenleben in der reinen Kernfamilie. Größere Gemeinschaften schwebten den Kindern vor.

In der Vorstellung fehlen Alternativen

Unterschiedliche Faktoren bedingen, dass diese Diversität an Lebens- und Wohnraumentwürfen bei der Mehrheit der Bürger*innen ab einem gewissen Alter in die Einfamilienhausbahnen gelenkt wird: Darunter das seit der Nachkriegszeit bestehende Narrativ, die weiterhin stattfindende Förderung für solche Bauvorhaben und der Mangel an neuen Wohnkonzepten, die Einfamilienhausbesitzende ansprechen könnten. 

Ein verbreitetes Problem dieser Siedlungsgebiete ist auch der sogenannte innere Leerstand: Die Erstbewohnenden sind dort noch ansässig, doch ihre Nachkommen schon längst verzogen. Ihre Einfamilienhäuser – Empty Nests. Zudem ist der Sanierungsstandard oft unzureichend. 

Neue Formen des Zusammenlebens

Im Kontext des Projektes fanden an der HFT Kurse statt, in denen die Studierenden die Potenziale von Einfamilienhausgebieten anhand konkreter Beispiele im Stuttgarter Umland untersuchten. Darauf basierend entwickelten sie Zukunftsszenarien. Ein Projekt in Fellbach-Schmiden in Kooperation mit Prof. Rebecca Chestnutt widmete sich beispielsweise den Bewohner*innen von Empty-Nests. Für diese wurde ein Nachverdichtungskonzept entwickelt, da für jene Lebensform in der Nachbarschaft noch keine geeigneten Wohntypologien vorhanden sind. Einen anderen Fokus setzten Studierende in Kirchheim unter Teck in Kooperation mit Prof. Juri Troy, wo sie Bestandsgebäude wie etwa Garagen neuen Nutzungen zuführte, die der Gemeinschaftsstärkung in der Nachbarschaft dienen sollen. Dabei fand eine Zusammenarbeit statt mit Vertreter*innen aus der Kommunalverwaltung und einer Nachbarschaftsinitiative aus dem Ort.