„Dauerwelle“: Vom Fahrgastschiff zum Ausstellungsraum

Bauen im Bestand auf maritime Art: Ein Künstlerinnenkollektiv hat ein ausgedientes Schiff aus den 1960er-Jahren in einen schwimmenden Ausstellungs- und Veranstaltungsraum transformiert.

Nach drei Jahren Entwurf und Planung durch Prof. Dr.-Ing. Asli Serbest, Professorin für temporäre Räume an der Hochschule für Künste Bremen (HfK), und Prof. Dr.-Ing. Mona Mahall, Professorin für Darstellungsmethodik im Entwerfen an der Bauhaus-Universität Weimar, hat die „Dauerwelle“ Anfang des Jahres ihren ersten festen Liegeplatz in Bremen an der Bürgermeister-Smidt-Brücke gegenüber dem Museum für moderne Kunst „Weserburg“ bezogen. Das ehemalige Fahrgastschiff soll als beweglicher Ausstellungs- und Veranstaltungsraum der HfK genutzt werden. Der Name „Dauerwelle“ bezieht sich zum einen auf die Fließgewässer, auf denen sich das Schiff bewegt. Zum anderen soll er implizit auf das feministische Konzept verweisen, das das Künstlerinnenkollektiv dem Projekt zugrunde gelegt hat. Es stehe für eine kritische Auseinandersetzung mit statisch institutionellem Denken, festen räumlichen Gegebenheiten und organisatorisch unflexiblen Strukturen.

Die Geschichte der „Dauerwelle“

Die „Dauerwelle“ wurde 1962 auf der Werft „Edgar André“ in Magdeburg erbaut. Damals hieß das Gefährt noch „Heinrich Mann“, da es zur sogenannten „Dichterklasse“ gehörte – einer Serie von acht Binnenschiffen, die allesamt nach berühmten Literaten benannt wurden. Das 53 Meter lange Schiff bot 750 Fahrgästen Platz. 2014 wurde das Fahrzeug zum ersten Mal in Gelsenkirchen umgenutzt: Unter dem Namen „Pirat“ kam es fortan bei Techno-Partys zum Einsatz. Die HfK ersteigerte das ausgediente Schiff bei Ebay und überführte es im November 2020 zur Kötter Werft ins emsländische Haren, wo es überholt und umgebaut wurde. Das Zwischendeck wurde herausgetrennt, wodurch Platz für den flexiblen Ausstellungsraum entstand. Damit die Statik trotz fehlender 60 Tonnen Stahl gewahrt bleibt, wurden 14 Tonnen Kies als Ballast in den Schiffsrumpf gefüllt. Die letzten Arbeiten wurden am Lankenauer Höft gegenüber der Hochschule durchgeführt.


Antwort auf utopische Architekturprojekte der 1960er- und 1970er-Jahre

Serbest und Mahall begreifen das Projekt als eine feministische Antwort auf die utopischen Projekte radikaler Avantgarde-Architektur der 1960er- und 1970er-Jahre wie etwa „Walking City“ von Archigram oder „No-Stop City“ von Archizoom Associati. Die nicht realisierten Entwürfe der britischen und italienischen Strömungen sehen Räume, Architekturen und sogar ganze Städte vor, die nicht an feste Orte gebunden, sondern ständig in Bewegung sind. Die Bewegung bilde einen festen Bestandteil des Konzepts, das dem Projekt zugrunde gelegt wurde, so Prof. Mona Mahall:

„Durch die Beweglichkeit und seinen nomadischen Charakter kann das Schiff andere Formen des Ausstellens und Diskurse eröffnen. Es fordert neue kollektive Prozesse und verschiedene Weisen des Machens und Wahrnehmens von Dingen ein. Das Schiff wird vor allem neue Formen des Zusammenkommens ermöglichen.“

Ein Raum, vielfältige Nutzungen

Die „Dauerwelle“ soll von Studierenden und Lehrenden für Ausstellungen und Veranstaltungen unterschiedlichster Art genutzt werden können. Beispielsweise wurde im Februar 2022 eine Diplomausstellung der Studierenden der Freien Kunst Ole Prietz und Behshad Tejammol gezeigt. Im Wintersemester 2021/22 wurde das Schiff zum Abschluss der Vorlesungszeit von Studierenden verschiedener Fachrichtungen für den gemeinsamen Workshop „Körper Tanz Protest, der Lauf der Dinge, das Schiff als Resonanzkörper“ genutzt. Die Architektur des Schiffes wurde im Zuge dessen explizit in die kreative Arbeit der Studierenden einbezogen. Weiterhin beherbergte die „Dauerwelle“ unter anderem die Präsentation der Abschlussarbeit von Daniel Mohr, Master-Student im Studiengang „Integriertes Design“; eine Ausstellung der Malereien von Anastasiia Guzenkova, Studentin der Freien Kunst und die erste Ausstellung des „Binational Artistic-PhD Programms“ an der HfK.