Das Festival-im-Festival der IBA’27 in Stuttgart: „GroundBreaking Stadtgarten“
Anlässlich des IBA’27-Festivals #1 setzten sich Architekturstudierende mit der verborgenen Geschichte und Gegenwart des Stuttgarter Stadtgartens auseinander. Dabei entstand ein Festival, das die gängige Praxis vom Bau temporärer Architekturen im Rahmen von Großveranstaltungen hinterfragt.
Vier Wochen lang war der Stadtgarten, ein unmittelbar an den Campus Stadtmitte der Uni Stuttgart angrenzender Park, Veranstaltungsort und gleichzeitig Subjekt eines Spotlights des IBA’27-Festivals #1. Unter der Leitung von Sandra Oehy, akademische Mitarbeiterin am IGmA (Institut für Grundlagen moderner Architektur und Entwerfen), planten und realisierten über 130 Studierende veränderbare Architekturen, Ausstellungen, Performances, Vorträge und andere Ereignisse. Das experimentelle Lehrformat beabsichtigte, nicht nur über die gängige Architekturlehre hinausgehende Inhalte wie Ausführungs- und Genehmigungsplanung oder Selbstbauen zu vermitteln. Ein besonderer Fokus lag auch auf der Kommunikation und Vermittlung von Architektur und Stadtplanung gegenüber einem Fachpublikum und der breiten Stadtgesellschaft. Das Festival-im-Festival „GroundBreaking Stadtgarten“ fand vom 23. Juni bis 19. Juli 2023 statt. Es wurde vom IGmA und vom IBK2 (Institut für Baukonstruktion, Lehrstuhl für Baukonstruktion, Bautechnologie und Entwerfen) organisiert und von vielen weiteren Einrichtungen der Fakultät 1 für Architektur und Stadtplanung sowie zahlreichen externen Partner*innen begleitet und unterstützt.
Bauen oder Nichtbauen
Die Veranstaltenden des Lehrprojekts hinterfragen mit der Wortneuschöpfung „pavilionism“ die gängige Praxis, im Rahmen von Großereignissen wie Weltausstellungen oder Olympischen Spielen temporäre Pavillons zu errichten. Sie beziehen sich dabei auf den von Hartmut Häußermann und Walter Siebel Anfang der 1990er Jahre geprägten Begriff der „Festivalisierung der Stadtpolitik“. „GroundBreaking Stadtgarten“ möchte vielmehr einen neuen gedanklichen Zugang zum Stadtgarten schaffen und dabei die Aufmerksamkeit auf Themen wie Gentrifizierung, Migration, Partizipation oder die kolonialistische Vergangenheit Stuttgarts lenken, die sich in der Grünanlage manifestiert. Daneben war die längerfristige Einbettung von wandelbaren Strukturen in ihren lokalen Kontext wichtig. Gleichzeitig stellten sich die Studierenden die Frage, ob Bauen überhaupt die Lösung ist, oder ob eine veränderte Wahrnehmung auch durch andere Interventionen erreicht werden kann. Besonders im Angesicht der Bauwende war es den Projektbeteiligten wichtig, sich in diesem Kontext mit dem Thema des „Nichtbauen“ auseinanderzusetzen.
Theorie und Praxis in fünf Lehrveranstaltungen
Das sich über zwei Semester ziehende Lehrprojekt teilte sich in zwei Entwurfsstudios, zwei Blockseminare und ein Seminar auf. Im Wintersemester 2022/23 begann das Entwurfsstudio „Pavilionism – DesignBuild“ mit der Ideen- und Konzeptfindung für räumliche Interventionen im Stadtgarten. In Gruppenarbeiten sollten die Studierenden erste Überlegungen für ein Architekturfestival machen. Begleitend boten IGmA und IBK2 das Blockseminar „Pavilionism – The Temporary Eternal“ an, das mithilfe von Workshops und Gastvorträgen theoretische Grundlagen vermitteln sollte. Ergebnis des Seminars waren Kurzvideos mit Positiv- und Negativbeispielen temporärer Bauten sowie Konzepte für fiktive Pavillons.
Auf diese beiden Veranstaltungen aufbauend folgte im Sommersemester 2023 zum einen das Entwurfsstudio „Groundbreaking Stadtgarten – Pavilionism #2“, in dem die Studierenden die zuvor entstandenen individuellen DesignBuild Ideen zu einem einheitlichen Festivalkonzept zusammenfügen und zur Realisierung bringen sollten. Das Studio war in vier Phasen gegliedert: die Finalisierung des Konzepts, die Genehmigungs-, Ausführungs- und Kostenplanung sowie die Materialbestellung, der Bau und die Realisierung und das Mitveranstalten des Festivals. Erneut gab es ein unterstützendes Blockseminar namens „Spotlight Stadtgarten“, in dem weitere Studierende tatkräftige Unterstützung in der Planung und im Bau der Interventionen leisteten. Zum anderen wurde das Lehrkonzept durch das Seminar „Groundbreaking Stadtgarten – Stadtmediation und angewandte Architekturvermittlung“ ergänzt. Neben dem von Studierenden entworfenen Webauftritt, der Dokumentation und der Social Media Strategie des Festivals entstanden im Seminar viele weitere Vermittlungsformate und Programmbeiträge, die sich mit der Rolle von Architektur bei der Lösung aktueller gesellschaftlicher Fragestellungen auseinandersetzten.
Unbequeme Vergangenheit, ungewisse Zukunft
Viele der entstandenen Interventionen haben eines gemein: Sie schienen auf kreative und spielerische Art und Weise neue Blickwinkel auf den Stadtgarten zu eröffnen. Festivalbesucher*innen sollten so zum Interagieren eingeladen und Barrieren zwischen Universität und Gesellschaft abgebaut werden. Das Projekt „Neben dem Kakaofeld“ markiert den Standort der Gewerbehalle im heutigen Stadtgarten, in der 1928 eine Kolonialausstellung stattfand. Das Zitat „Neben dem Kakaofeld, gleich beim Eingang steht ein Geisterhaus“ aus dem originalen Ausstellungskatalog wurde von den Studierenden als Rasenkante in den Boden gehauen. Gemeinsam mit einem wachsenden Archiv an kolonialen Dokumenten im Foyer der nahegelegenen Universitätsbibliothek sollen die stählernen Buchstaben den Diskurs über die unbequeme Geschichte der Stadt fördern. Auf die gegenwärtige Situation des Stadtparks weist dagegen die Intervention „Brunnenbühne“ hin. Mit einer einfachen hölzernen Konstruktion verwandelten die Studierenden einen wasserlosen, ungepflegten Brunnen in eine Bühne, die die Theatergruppe The.Physix durch verschiedene Aufführungen belebte. Die Verknüpfung von Performance und Architektur machte das Potential des Ortes sichtbar und regte Zuschauende dazu an, über seine Zukunft nach Ende des Festivals nachzudenken.