„Change now, Architecture later!“: Auseinandersetzung mit einer breiten professionellen Identität

Wie üben wir Architektur heute aus und wie verändert sich unsere planerische Disziplin? Matthew Crabbe untersucht in seiner Doktorarbeit „Change now, Architecture later!“ transformative Agenden in der Architekturlehre und deren Übergang in die Praxis. In folgendem Beitrag gibt er uns Einblick in seinen Forschungsansatz.

In meinen sechs Jahren am Natural Building Lab an der Technischen Universität Berlin habe ich viele Absolvent*innen beobachtet, die die Universität mit ernsten Zweifeln daran verlassen haben, tatsächlich Architekt*innen zu werden. Die Studierenden kritisieren oft hierarchische Strukturen, einen unzureichenden Fokus auf die Klimakatastrophe und den Postkolonialismus sowie eine toxische Studio- und Präsentationskultur. In der Mainstream-Praxis werden viele von der ethischen und ökologischen Agenda der Profession, Diversitätsproblemen und schlechten Arbeitsbedingungen enttäuscht. Sie fragen sich, ob Architektur wirklich das Richtige für sie ist. Meine Doktorarbeit, „Change Now, Architecture Later!“, zielt darauf ab, diese Spannungen zu verstehen, indem untersucht wird, wie transformative Agenden, die innerhalb der Universität entstanden sind, in die Praxis übergehen können – und zwar, durch die Vermittlung der Absolvent*innen.

Obwohl es bereits zahlreiche Möglichkeiten gibt, Architektur auszuüben, ist der Titel Architekt*in allein mit einer Akkreditierung von der Architektenkammer verbunden. Es hat gute Gründen, dass diese Akkreditierung nur mit einigen Erfahrungen in einem Planungsbüro zu erreichen ist. Jedoch wird diese Art von „Architekt*in werden“ weiterhin das höchste Ansehen genießen und Anstreben für die nächste Generation sein? Blickt man jedoch über dieses veraltete Rollenmodell hinaus, hat die jüngste Forschung gezeigt, wie gut ein Architekturstudium Absolvent*innen mit transferierbaren Fähigkeiten ausstattet, die es ihnen ermöglichen, in neuen Berufen oder sogar auf völlig anderen Gebieten erfolgreich zu sein. Diese „Soft Skills“ in beispielsweise den Bereichen Kommunikation, Teamarbeit, Problemlösung, Organisation und eine Offenheit für das Lernen geben Absolvent*innen eine Multi-Sektor-Mobilität, um die sie andere Disziplinen beneiden würden. Dennoch sind diese Kompetenzen selten ein expliziter Teil der Curricula. Diese konzentrieren sich in der Regel auf die gestalterischen Fähigkeiten und die technischen Fachkenntnisse, die für die berufliche Akkreditierung als Architekt*in erforderlich sind. Da Absolvent*innen jedoch zunehmend den traditionellen Weg, ‚everyday‘ Architekt*innen zu werden, hinterfragen und neue Wege einschlagen, um besser ihre progressiven Ziele zu verfolgen und um ihre transformativen Agenden zu verwirklichen, stellt sich für Universitäten nun die Frage: Müssen wir wirklich so fixiert auf die Architektur sein?

In einer sich schnell verändernden Welt werden Absolvent*innen gezwungen, die Gesellschaft zu betrachten, der sie dienen möchten, und ihre eigene Rolle als Architekt*innen innerhalb dieser Gesellschaft neu zu erfinden. Um in dieser Landschaft zu gedeihen, müssen sie ihre Designkompetenzen einsetzen, um eine Vielzahl von Herausforderungen zu meistern, die sich nicht nur auf den baulichen Entwurf beschränken. Während ihrer gesamten Karriere müssen sie anpassungsfähig und offen sein und dabei ihre entwerferischen Fähigkeiten auf eine Vielzahl von Problemen und Prozessen aus verschiedenen Perspektiven anwenden. Wäre es inmitten der Digitalisierung, die zunehmend die abgegrenzte Wissensbasis vieler traditioneller Berufe aushöhlt, nicht sinnvoll, diese verzweigten und alternativen Karrieren auch als „Architekt*in sein“ zu betrachten?

In „Change Now, Architecture Later!“ plädiere ich für eine neue und breitere professionelle Identität und Einstellung gegenüber Architekt*innen, die auf einer Reihe transformativer Kompetenzen basiert. Diese Einstellung fordert von Universitäten, der Praxis und der Profession, einige der Dissonanzen über die Bedeutung der Architekturpraxis direkt anzugehen. Sind wir Teil der Lösung oder des Problems? Ist Architektur eine Dienstleistung oder eine Berufung oder etwas ganz anderes? Welche Art von Architekt*innen braucht die Gesellschaft? Dies sind schwierige Fragen, aber was wäre eine bessere Vorbereitung darauf, als Architektur zu studieren?

Everyday Architect? / Short film interviews with NBL graduates discussing their next steps and priorities. Submission to AAE Conference Productive Disruptions with Nina Pawlicki