Bridging Borders with Reuse: Ansätze für die Umnutzung eines Hauses in Lviv
Die Wiederverwendung von Bauteilen hat nicht nur einen ökologischen, sondern auch einen symbolischen Wert – vor allem in Gebieten, die von Zerstörung betroffen sind. Studierende der ETH Zürich entwickelten Ideen für ein leerstehendes Haus in Lviv.
Wie kann Architektur auf Kriegszerstörung reagieren und dabei Rücksicht auf die lokale Kultur und die Bedürfnisse der ortsansässigen Bevölkerung nehmen? Mit dieser Frage beschäftigten sich 21 Studierende an der Eidgenössische Technische Hochschule Zürich (ETH Zürich). Im Rahmen des Seminars „Repairing Vacancy in Ukraine: For Those Who Lost Their Home During The War“, das im März 2024 stattfand, entwickelten sie Ideen für die Umnutzung eines städtischen Gebäudes in Lviv. Das Seminar wurde in Zusammenarbeit mit dem Zusammenschluss The Swiss Network With Ukraine, Studio Boltshauser und der eingetragenen gemeinnützigen Stiftung CO-HATY organisiert.
Die Ausgangslage
Das Gebäude, mit dem sich die Studierenden beschäftigten, steht im Bezirk Pidzamche in der westukrainischen Stadt Lviv. Eine im 19. Jahrhundert errichtete Eisenbahnlinie trennte den Stadtteil vom Rest der Stadt ab und sorgte dafür, dass die Industrialisierung in diesem Areal voranschritt und sich das Gebiet zum Arbeiter*innenviertel entwickelte. Auch heute noch prägen die Gleise das Stadtbild des Bezirks. Das Haus, das im Rahmen des Seminars bearbeitet wurde, ist in das Jahr 1902 datiert und hat im Laufe der Jahrzehnte mehrere Transformationen erfahren. Ursprünglich befand sich im Erdgeschoss eine Bäckerei und im Obergeschoss Wohnungen. 1904 wurde das Bauwerk nach einem Besitzerwechsel zu einer Produktionsstätte für Lacke und Farben umgewandelt. In den 1910er- und 20er-Jahren wurde das Haus vollständig neu gestaltet, bevor in den 1930er-Jahren die sowjetischen Behörden den Betrieb verstaatlichten und mit einer weiteren Anlage für chemische Erzeugnisse fusionierten. Während der NS-Besetzung von 1939 bis 41 ist das Bauwerk zu einer sogenannten Arbeitszone des Lviver Ghettos erklärt worden. In den Jahren 1985-87 wurde das Gebäude zuletzt umfassend renoviert bis schließlich 2019 zahlreiche gravierende Mängel festgestellt wurden, die zum Leerstand führten.
Ideen für ein Haus in Lviv
Für eine mögliche Nachnutzung des leerstehenden Gebäudes entwickelten die Studierenden im Rahmen des Seminars neu Ansätze aus denen insgesamt vier Projekte hervorgegingen: „An Added Balcony“, „Shifting Wall“, „Through the Doorframes“ und „Flex“. Das erste Konzept sieht die Erweiterung eines bereits existierenden Balkons vor, wodurch gemeinschaftlich genutzter Raum bei gleichzeitiger Verbesserung der thermischen Leistung entstehen soll. Bei dem zweiten Projekt geht es um die flexible Anpassungsfähigkeit der Wohnungen. Die Studierenden schlagen hierfür ein modulares Wandsystem vor, das aus wiederverwendeten Materialien zusammengesetzt wird. Das dritte Projekt sieht ein multifunktionales Möbelstück vor, das entweder als Wandmodul mit Stauraum oder als Esstisch genutzt werden kann. Schließlich geht es in dem vierten Projekt unter anderem um die Umnutzung von ausgedienten Heizkörpern, die zu Möbelstücken werden. Ihre Ergebnisse arbeiteten die Studierenden in Form von Möbelprototypen, 1:1 Mockups von Bauteilen und Zeichnungen aus, die in einer Ausstellung gezeigt wurden. Ein umfangreicher Reader zur Ausstellung versammelt neben den Projekten der Studierenden Gespräche zwischen relevanten Akteur*innen.
Übertragbare Prinzipien
Obwohl die Studierenden in ihren Projekten ein konkretes Gebäude bearbeiteten, sind die Erkenntnisse, die sie daraus gezogen haben, durchaus auf andere Kontexte übertragbar. Beispielsweise setzten sie sich mit dem behutsamen Umgang mit bestehender Substanz auseinander – sowohl aus pragmatischer als auch aus symbolischer Perspektive. Auch Themen wie Anpassungsfähigkeit, Einbindung der Community und die sensible Berücksichtigung der Bedürfnisse der Anwohner*innen spielen in ihren Arbeiten eine wichtige Rolle. Die Ergebnisse aus dem Seminar führen beispielhaft vor Augen, wie der Wiederaufbau eines beschädigten Lebensraumes aussehen kann.