Bestand aus Punktwolken: Ein Gespräch über Methoden der digitalen Dokumentation und Photogrammetrie

Jonathan Banz und Kristof Schlüßler arbeiten mit digitalen Werkzeugen in Architektur und Kunst. Was 3D-Scans möglich machen, wie ihre Studierenden mit dem eigenen Handy hochdetailliert Bestand aufnehmen und sogar entwerfen, haben sie uns im Interview erläutert.

Mit ihrem Büro JBKS Lab haben sich Jonathan Banz und Kristof Schlüßler auf raumbezogene Dokumentation, detailreiches 3D-Scannen und digitale Fertigung in Architektur, Städtebau und Kunst spezialisiert. Seit 2020 vermitteln sie  Studierenden an der Hochschule München im Fachgebiet Denkmalpflege und Bauaufnahme das Handwerkszeug für dreidimensionales Scannen und digitale Dokumentation. In ihrem aktuellen Projekt planen und bauen sie in Zusammenarbeit mit Arno Brandlhuber das Siedle Kunstmuseum in Furtwangen, dessen Ausstellungsraum sich künftig in Form des digital abgeformten Gründerhauses der Stiftung präsentieren wird. Wir haben mit ihnen darüber gesprochen, wie diese Methoden im Bereich der Architektur eingesetzt werden, was sie verändern können, und warum es wichtig ist, sie in der Architekturausbildung noch viel stärker als bisher zu berücksichtigen oder überhaupt erst zu etablieren.

Wie kamt ihr dazu, mit Photogrammetrie und 3D-Scans zu entwerfen, JKBS zu gründen und dadurch konkrete Projekte mit diesen Tools umzusetzen?

Jonathan Banz: 2014, kurz vor dem Ende meines Studiums an der ETH Zürich, begann ich an der Professur für Architektur und Kunst von Karin Sander zu arbeiten. Wir haben dort zu Beginn an der Weiterentwicklung einer dreidimensionalen Fotografie gearbeitet und angefangen, mithilfe von Laserscannern und Photogrammetrie digitale Raumforschung zu betreiben. Mit meinem Forschungspartner Nikolai von Rosen haben wir Arbeitsabläufe entwickelt, um beide Verfahren bestmöglich miteinander zu kombinieren. Und zwar nicht nur als Aufnahmetechnik, sondern auch, um die Ergebnisse anschließend mit unterschiedlichsten Druckverfahren dreidimensional zu reproduzieren. Zu der Zeit war das noch ein wenig bearbeitetes Feld. Über den Kontakt von Nikolai von Rosen zum Büro Brandlhuber + Emde, Burlon haben Kristof und ich uns kennengelernt und angefangen, unsere erforschten Methoden in Architekturprojekten sichtbar zu machen. Gemeinsam mit Arno Brandlhuber und Thomas Burlon gab es dann erste Überlegungen, ob diese Aufnahmetechniken ggf. bei dem Projekt „Siedle-Museum“ – das gerade im Büro geplant wurde – zum Einsatz kommen könnten. Der Plan war zunächst, das für den Abriss vorgesehene, baufällige Gründungshaus der Firma Siedle abzugießen. Die Idee einer dreidimensionalen Aufnahme hätte in diesem Szenario als Back-up für den Fall gedient, dass der vorgesehene physische Abguss nicht vollumfänglich realisierbar wäre. Als sich herausstellte, dass ein Abguss gar nicht möglich ist, haben wir nach einer Vorstudie gemeinsam entschieden, das ganze Haus digital „abzugießen“ und zu reproduzieren. Dafür haben wir dann letztlich das JBKS Lab gegründet.

Wie sind eure Herangehensweisen und Methoden? Welche Werkzeuge verwendet ihr?

Kristof Schlüßler: Ich habe vor meinem Architekturstudium sieben Jahre als klassischer Vermessungstechniker gearbeitet. Damals habe ich mich immer gefragt, was Architekt*innen zum Arbeiten mit Vermessungen und den erzeugten Daten benötigen. Im Nachhinein kann ich nur sagen, dass sie es selbst nicht immer wissen. Aber durch das Erlernen des Umgangs mit Daten wie Punktwolken und Meshes (Polygonnetze), können Architekt*innen ihre Möglichkeitsräume erweitern, daraus können sich dann die Ideen für neue Werkzeuge – wie eben ein digitaler Abguss – ergeben.

Die Forschung von Jonathan war an der Schnittstelle von Architektur, Kunst und Geodäsie verortet. Die fächerübergreifende Zusammenarbeit mit verschiedenen Lehrstühlen war genau der richtige Kontext, um ein solches Projekt anzugehen und umzusetzen. Diese forschende Herangehensweise hat dann auch bei der Namensgebung zu der Bezeichnung „Lab“ geführt und hilft uns dabei, uns nicht auf eine Methode festzulegen. Auf der Hardwareseite sind wir plattformunabhängig und vermeiden es, uns festzulegen. Wir nutzen alles, was uns zugänglich ist. Von konventionellen Laserscannern zu mobilen Mapping Systemen, Handscanner, konventionellen Kameras, Drohnen und Smartphones. Seitens der Software ist es ähnlich: Der Bereich der Photogrammetrie hat sich in den letzten 15 Jahren wahnsinnig weiterentwickelt. Hollywood und die Gaming-Industrie sind Treiber für Tools und Effektivität. Eine klassische Ingenieurssoftware kombinieren wir mit einer Game-Engine und 3D-Modelling für Animationsfilme – der Datentransfer zwischen Programmen wird dann zum Regelfall.

Jonathan Banz: Es geht auch um eine gewisse Zugänglichkeit zur Technologie und Verhältnismäßigkeit im Arbeitsprozess. Nehmen wir beispielsweise das Smartphone: Wir sind praktisch jeden Tag damit unterwegs – warum nicht dieses Gerät auch vollumfänglich nutzen? Klar, ein Smartphone ist limitiert und nicht unbedingt mit einem Laserscanner vergleichbar. Je nach Situation braucht es den aber nicht unbedingt. Gerade im Entwurfsprozess können grobe Aufnahmen reichen. Uns interessieren die Workflows, die beim Einsatz von handelsüblichen Technologien entstehen und möglicherweise zu neuen Ideen fürs Entwerfen führen können.

Wie funktioniert eure Lehre? Wie nutzen die Studierenden Photogrammetrie, 3D-Scan & Co?

Kristof Schlüßler: Während der Pandemie haben wir die Vertretung für die Lehrveranstaltung der Bauaufnahme an der Hochschule München übernommen. Im Lockdown war es nicht möglich, mit den Studierenden vor Ort zusammenzuarbeiten. Wie machen wir es dann? Unsere erste Überlegung war: Na gut, ein Handy hat jeder. Wir gestalten jetzt die Aufnahme so, dass es alle als Werkzeug benutzen können, um damit Dinge zu scannen. Im Weiteren haben wir erarbeitet, wie hierfür Fotos zu machen sind, und wie man die Software benutzt, damit die eigenen Daten verarbeitetet werden können. Für gewöhnlich ist es so, dass die Vermesser*innen Datensätze schicken, die dann häufig viel zu groß und nicht unbedingt für die eigenen Bedürfnisse geeignet sind, oder der Laptop in die Knie geht. Wir zeigen dann die Schritte, mit denen sie die Daten verarbeiten, reduzieren, manipulieren und auch am „kleinen“ Laptop zeitgemäß nutzen können.

Jonathan Banz: Wir laden die Studierenden ein, diese Technologie spielerisch ein- und konzeptionell im eigenen Projekt umzusetzen, mit ihr zu entwerfen und vermeintliche Grenzen ihrer Anwendbarkeit auszuloten. Mit anderen Worten, sie sollen über die Funktion von Technologien bzw. Vermessungsinstrumenten nachdenken und überlegen, wie diese auch auf unkonventionelle Art eingesetzt werden können. Die Ergebnisse sind immer wieder überraschend und wunderbar! Wir hatten zum Beispiel eine Gruppe, die ihre Scans zu Musik tanzen ließ. Eine andere hat Obst und Gemüse gescannt, diese raumgroß skaliert und Klanganalysen gemacht, um ihre Eigenschaften zu erkunden. Eine dritte Gruppe hat der Skulptur des Kriegsgottes Odin in Bogenhausen-Priel (München) eine temporäre Regenbogenprothese geschenkt, die die Studierenden mithilfe eines 3D-Scans passend entworfen, anschließend in 3D ausgedruckt und montiert haben. Dann gab es Scan-Collagen – gescannte Räume wurden neu kombiniert. Eine weitere großartige Arbeit waren die „Fahrzeugskulpturen“. Die Gruppe hat Scans von für den Winter abgedeckten Fahrzeugen gemacht, diese anschließend als Marmorskulpturen in Fotos gerendert und so im Kontext der Stadt neu inszeniert.

Wir möchten die Studierenden dazu ermutigen, frei zu denken und zu lernen, ihre Ideen mithilfe neuer Werkzeuge zu kommunizieren. Ob dies in Form einer Skizze oder eines aufwändigen 3D-Scans geschieht, ist für uns dabei nicht entscheidend. Wir versuchen, mit der Zeit zu gehen und dabei die Technologien immer wieder aufs Neue in ihrer Funktion zu hinterfragen. Technologien sind in unserem Kurs also nie reiner Selbstzweck.

Was können diese Methoden in Lehre und Praxis verändern? Wie seht ihr die Zukunft für das Dokumentieren, Planen und Bauen mit diesen digitalen Mitteln?

Jonathan Banz: In der Denkmalpflege bzw. Bauaufnahme gibt es einen Generationenkonflikt oder besser gesagt, einen „Zeitalter-Konflikt“. Das beste Beispiel hierfür ist Google: Die sammeln erst mal Daten, werten sie irgendwann später aus und entdecken, was sie damit überhaupt machen können. Und diese Herangehensweise ist der größte Unterschied in der modernen zur klassischen Bestandsaufnahme, bei der sich Bauforschende erstmal den Aufriss überlegen, kartieren und dann zu messen beginnen. Sie sind quasi Kurator*innen und bestimmen, was gemessen wird. Wir machen das eher wie Google, sammeln erst mal neutral so viele Daten wie möglich und überlegen anschließend, was man damit machen kann. Dadurch arbeiten wir vollumfänglicher, legen nicht vorher fest, was wir dokumentieren, sondern kuratieren zeitversetzt. Das ist ein anderer Ansatz, mit Daten umzugehen.

Kristof Schlüßler: Dieser Konflikt der Generationen äußert sich natürlich stark in der Praxis. Das bedeutet letztlich aber nur, dass die neue Generation von Planer*innen lernen muss, mit neuen Technologien zu arbeiten, um sie dadurch auch in der Baupraxis zu etablieren. Am Ende kann man ideologische Verfechter*innen der Handzeichnung eh nicht von ihrer Meinung abbringen. Deshalb probieren wir, einen Ansatz zu entwickeln, der ein besseres Verständnis von der Schnittstelle von Architektur und Vermessung herstellt, die Grenzen aufweicht und im besten Fall etwas Neues schafft.