„Asymptotic Geodesic Timber Vault“: Gitterschalen mal einfach

Komplexe Strukturen aus einfachen Holzbrettern – ein Forschungs- und Bauprojekt beschäftigt sich mit der Konstruktion von leichten Gitterschalen. In München entstand mit dem „Asymptotic Geodesic Timber Vault“ ein Testbau.

Materialersparnis, Stabilität und die Ausbildung von großen Spannweiten kennzeichnen Gitterschalen. Die räumliche Krümmung solcher Konstruktionen macht es möglich. Doch neben diesen sehr wünschenswerten Eigenschaften birgt die komplexe Geometrie auch Schwierigkeiten: so zum Beispiel beim Aufbau. Architekt Prof. Dr.-Ing. Eike Schling leitet ein Forschungsteam an der University of Hong Kong (HKU), das zusammen mit Ingenieur*innen von der Technischen Universität München (TUM) sowie Mathematiker*innen der King Abdullah University of Science and Technology (KAUST) in Saudi-Arabien an der geometrischen Optimierung von Gitterkonstruktionen arbeitet. Ziel ist es, eine gekrümmte Fläche in gleichförmige Bauteile zu überführen. Prof. Pierluigi D’Acunto leitet das Team der TUM, Prof. Helmut Pottmann das der KAUST.

Unter der Gitterschale

Im Münchner Kreativquartier errichteten die Projektbeteiligten gemeinsam mit Studierenden im Herbst 2022 einen experimentellen Kuppelbau, den sogenannten „Asymptotic Geodesic Timber Vault“. Der Entwurf stammt von Prof. Schlings Team. Drei gewobene und mit Polycarbonat-Paneelen gedeckte Holzgitterelemente bilden zusammen eine vier Meter hohe Kuppel mit drei Eingängen. Durch die räumliche Anordnung als auch durch den Witterungsschutz, den das Dach bietet, sind mehrere Nutzungsszenarien des so entstandenen Pavillons vorstellbar: als Theater und Ausstellungsstätte oder aber als Durchgangsraum. Im Winter 2022 fanden unter der Gitterschale bereits Kulturevents und eine Essensausgabe der Münchner Tafel  statt. Bis zum Frühjahr 2023 soll der Pavillon an seinem Standort verbleiben.

 

Asymptotische und geodätische Kurven

Die Entwicklung des Algorithmus, der die Konstruktionspfade für die stehenden und liegenden Bretter im 12 × 100 Millimeter Querschnitt berechnet, verantworteten die Mathematiker*innen aus Prof. Pottmanns Team. Der Algorithmus generiert ein regelmäßiges Netz aus asymptotischen Kurven (für die stehenden Bretter) und geodätischen Kurven (für die liegenden Bretter) und stellt sicher, dass alle Kreuzungspunkte einen Winkel von 60 Grad aufweisen. Im Ergebnis lassen sich die sechseckigen Verbindungsstücke normieren. Als Konstruktionsmaterial verwendet das Projekt Eschenholz aufgrund seiner guten Verfügbarkeit und Eigenschaften: Es ist widerstandsfähig, flexibel und lässt sich zu engen Radien biegen.  

 

Durchhängen lassen

Zum Aufbau biegt man die Eschenbretter zunächst um ihre schwache Achse, indem man sie zwischen zwei Böcken durchhängen lässt. Zwei dieser Bretter ergeben zusammen verschraubt einen einfach gekrümmten „asymptotischen Träger“. Diese wiederum werden zweilagig auf dem Boden in ein ebenes Gitter zusammengeschraubt. Durch die beiden Trägerlagen sind dann die liegenden „geodätischen Träger“ geschoben. Abwechselnd berühren sie dabei die obere und die untere Lage. Im nächsten Schritt erfolgt eine Aufhängung des ebenen Sechseck-Gitters mittels Spanngurten, um die gewünschte Form zu erreichen. So entsteht die vorteilhafte räumliche Krümmung. Die Holzelemente verbiegen und verdrillen sich weiter in diesem Procedere.

Vorfertigung und Installation

Abschließend kommt es zur Verschraubung aller Latten und damit zum Erreichen der vollständigen Steifigkeit des Moduls. Die drei Einzelmodule wurden in der Werkstatt vorgefertigt, deren Verknüpfung zur Kuppel fand vor Ort statt. Die gesamte Konstruktion steht am Bauplatz auf Betonbausteinen. Zum Schluss bekam der Pavillon seine Deckung aus einzeln zugeschnittenen, transluzenten Polycarbonat Hohlkammerplatten, die der kurvigen Schalenform fugenlos folgen. 

 

Timber Vault, Quelle: TUM Department of Architecture