Appell für den Erhalt: Abriss-Atlas und Ausstellung in Hannover

Im Rahmen der Ausstellung „Nichts Neues – Besser Bauen mit Bestand“ wurde in Hannover der deutsche Abriss-Atlas vorgestellt. Während die digitale Kartierung, die erschreckende Zahl an Abrissen in Deutschland anprangert, zeigt die Ausstellung gelungene Umbauprojekte.

Ein Katalog des Abrisses – und eine einhergehende klare Forderungen an die Politik: Seit dem 28. September 2023 ist der Abriss-Atlas Deutschland online. Eine digitale, interaktive Karte von Deutschland zeigt die genaue Lage all jener Gebäude, die seit 2020 abgerissen wurden oder in naher Zukunft abgerissen werden sollen. Aktuell sind bereits 512 bedrohte Häuser verzeichnet, und die Liste wächst stetig an, denn jede*r Einzelne ist dazu aufgerufen, aktiv am Atlas mitzuwirken. Neben den wichtigsten Daten und Fakten können auch Geschichten und Erinnerungen über die betroffenen Gebäude ergänzt werden. Der Atlas soll somit nicht nur das Bewusstsein für verschwendete materielle Ressourcen und graue Energie in Zeiten des Klimawandels schärfen, sondern auch den Verlust von historischer Baukultur, Freiräumen und sozialen Netzwerken vor Augen führen.

Nach Schweizer Vorbild

Hinter dem Abriss-Atlas steht ein Bündnis aus verschiedenen Organisationen und Institutionen: darunter Architects for Future (A4F), der Bund Deutscher Architektinnen und Architekten (BDA), die Deutsche Umwelthilfe (DUH), das Denkmalnetz Bayern, das KulturerbeNetz Berlin, das Abrissmoratorium, der Verein Theatrum e. V. und die Leibniz Universität Hannover (LUH). Die Idee des Abriss-Atlas stammt vom Verein Countdown 2030 aus Basel, der das Schweizer Pendant ins Leben gerufen hat. Neben einer interaktiven Karte der Schweiz fordert die Website dazu auf, Abrissspaziergänge zu organisieren, Bauplakate mit der Botschaft „Hier wird renoviert statt demoliert!“ aufzuhängen, und eine Petition mit dem Titel „Fertig mit dem Schweizer Abriss Wahn!“ zu unterschreiben.

Entwürfe für den Bestand

Eines der vielen Gebäude, das einem Abriss zum Opfer fallen könnte, ist der ehemalige Galeria-Kaufhof in der Innenstadt Hannovers. Mit einer Zwischennutzung möchten der Verein Theatrum und die Fakultät für Architektur und Landschaft der LUH zeigen, dass solche Gebäude noch eine Zukunft haben. Im Rahmen der Ausstellung „Nichts Neues — besser Bauen mit Bestand“ präsentieren sie Architekturprojekte, die verdeutlichen, wie Bestandsgebäude aufgewertet, um- und weitergenutzt werden können.

Ausgestellt sind 24 Projekte renommierter Architekturbüros, darunter Lacaton & Vassal, MVRDV, baubüro in situ und Flores & Prats. Sie sind eine Leihgabe des Deutschen Architekturmuseums (DAM) aus Frankfurt, wo sie bereits Ende letzten Jahres ausgestellt wurden. Ergänzt werden diese internationalen Projekte durch Arbeiten von Architekturstudierenden der LUH, die ihre Version einer Stadt ohne Abriss präsentieren. Für acht Gebäude in Hannover entwickelten sie Zukunftsszenarien: Aus einem alten Industriegebäude wurde ein urbanes Freibad, aus einem Parkhaus entstand ein Wohnhaus, ein altes Kasernengebäude wurde zur Technikerschule. Zusätzlich haben sieben Student*innen einen Abriss-Report erstellt, der in der Ausstellung erhältlich ist und ein umfangreiches Bild über das Abrissgeschehen in Hannover seit 2010 zeichnet. Die Ausstellung kann noch bis zum 9. November 2023 besucht werden und lädt Besucher*innen dazu ein, sich mit der Thematik des Erhaltens auseinanderzusetzen.

Eine Zukunft ohne Abriss

Eine Vielzahl von Initiativen und Projekten verfolgt derzeit ähnliche Ziele. Das Abriss-Moratorium, ins Leben gerufen von Dr. phil. Alexander Stumm, appellierte eindringlich an die Politik, die bestehende Abrisskultur radikal zu überdenken. Nicht länger der Erhalt eines Gebäudes sollte - wie bisher üblich - angesichts der sozialen und ökologischen Auswirkungen erklärungsbedürftig sein, sondern vielmehr der Abriss. Einen künstlerischen Ausdruck ihres Widerstands fand das Raumforschungskollektiv „ufo ufo“ im Rahmen einer Protestaktion. Ausdrucksstarke Plakate und Architekturmodelle warben für den Erhalt von fünf Gebäuden in der Berliner Kurfürstenstraße.

Sobald der Abriss verhindert ist, gilt es, den Bestand angemessen umzubauen. Der deutsche Beitrag zur diesjährigen Architekturbiennale in Venedig mit dem Titel „Open for Maintenance“ widmet sich den Themen Instandhaltung, Reparatur und Recycling. Die von Prof. Silke Langenberg entwickelte Lehrmethode der Reparatur von Alltagsobjekten entwickelt sich derzeit zu einem systematischen Lösungsansatz für den Erhalt des Bestands. In diese Gruppe reihte sich auch die baunetz CAMPUS Sommerschule „Bestand der Dinge“ ein, wo wir gemeinsam mit rund dreißig Studierenden Strategien für das Bestehende diskutiert und entwickelt haben.