Wegen Umbau geöffnet: Konzept für den deutschen Beitrag der Architekturbiennale 2023 in Venedig

Vergangene Woche hat das Kurator*innen-Team das Programm für den deutschen Beitrag zur Architekturbiennale in Venedig vorgestellt. Unter dem Titel „Open for Maintenance“ soll sich die Ausstellung den Themen Instandhaltung, Reparatur und Recycling widmen.

Wiederverwertbar, ressourcensparend sowie gemeinwohlorientiert denken und bauen: Den drängenden Aufgaben unserer zeitgenössischen Arbeit als Planer*innen widmet sich auch das Konzept der anstehenden Architekturbiennale 2023 in Venedig. Die acht Kurator*innen der ARCH+ und der Architekturbüros Summacumfemmer und Büro Juliane Greb wollen den Pavillon nicht zum Ausstellungsraum rein architektonischer Projekte machen, sondern eine Handlungsstätte mit Werkstatt als auch diverse soziale Interventionen in der Stadt erzeugen. Bei allen Eingriffen soll hierbei fast ausschließlich mit wiederverwendeten Materialien der Kunstbiennale 2022 gearbeitet werden. Die gemeinsame Arbeit mit verschiedenen Institutionen und insbesondere die dauerhafte Mitarbeit von Studierenden vor Ort bilden einen großen Teil der Umsetzung.

Repair and Care

Allem voran spricht das Team in ihrem Konzept vom Begriff der Instandsetzung. Das heißt, sich einem vorgefundenen Objekt anzunehmen und diesen in einen funktionsfähigen Zustand zu bringen. Das betrifft im Falle des deutschen Pavillons so auch die Künstler*innenarbeit „Relocating a Structure“ von Maria Eichhorn, die als deutscher Beitrag zur Biennale von Venedig 2022 mit der historischen Struktur des Gebäudes umging. Eichhorns Eingriffe sollen aktiv in die Gesamtgestaltung einbezogen und der Pavillon erst am Ende der Architekturbiennale in den Orginalzustand zurückversetzt werden. Dieses Prinzip wird auf das Gesamtprojekt übertragen, denn das Programm des diesjährigen Ausstellungsbeitrages wird fast ausschließlich mit gebrauchtem Material der Biennale 2022 realisiert. In Zusammenarbeit mit den anderen Länderpavillons und den betreffenden Künstler*innen wird seit letztem Jahr der Nachlass ihrer Ausstellungsarbeiten abgebaut, in Einzelteile zerlegt und das Abbruchmaterial zur Verfügung gestellt. Die Kurator*innen betonen hierbei die Bedeutung der Materialherkunft und wollen durch die Schaffung eines neuen Ensembles den Hinterlassenschaften der vorangegangenen Biennale einen besonderen gestalterischen und kulturellen Wert zusprechen. Das praxisnahe Konzept setzt somit auf das Prinzip eines kreativen Umgangs mit dem grundsätzlichen Ressourcenproblem der Biennalen und soll alternative Handlungsfelder als auch wie mit Vorhandenem und bereits Verwendetem Architektur gestaltet werden kann aufzeigen.

Schulterschluss von Wissensvermittlung und Handwerk

Eine im Pavillon eingerichtete Werkstatt soll die Basis für verschiedene venezianische und internationale Initiativen sowie Hochschulen bilden. Hier sollen 1:1-Interventionen entstehen, die sich für den Umbau sozialräumlicher Strukturen vor Ort einsetzen. Das Werkstatt-Programm Maintenance 1:1 wird in Kooperation mit der Sto-Stiftung und AIT-Dialog im Rahmen der Reihe  „Venice Biennale Lab“ unter Beteiligung von lokalen und internationalen Hochschulen, Berufsschulen und Initiativen durchgeführt. Hier arbeiten bereits seit letztem Herbst und während der Laufzeit der Biennale viele Studierende und Auszubildende an den jeweiligen Projekten und Workshops, führen kleine Reparaturen durch oder koordinieren Einlagerungen und Transport. Ein Schulterschluss zwischen Handwerk und Wissensvermittlung wird provoziert: Die Studierenden sollen von der Expertise der Stuckateur*innen oder Schreiner*innen vor Ort lernen, praxisbezogen zu arbeiten. Aufgepasst: Es gibt noch freie Plätze!

Im gesamten Projekt kooperieren die Kurator*innen mit örtlichen Initiativen. Für das Werkstatt-Programm stehen das Team und die Studierenden in enger Zusammenarbeit mit der „Rebiennale“. Das Kollektiv von Architekt*innen, die in Venedig tätig sind, hat sich gegründet, um den Rückstand der alljährlichen Kunst- und Architekturbiennalen wiederzuverwenden und zurückzugewinnen. Die recycelten Materialien sollen hierbei zur Unterstützung sozial engagierter Projekte in Venedig eingesetzt werden.

Die sozialen Motoren Venedigs

Venedig ist vollkommen auf die Bedürfnisse des Tourismus spezialisiert – sei es das temporäre Wohnen in unzähligen Hotels, Gastronomie und Gewerbe. Die Insel steht unter einer großen Belastung von stark fluktuierendem Besuch. Das hat Konsequenzen für ansässige Akteur*innen: Kaum bezahlbarer Wohnraum drängt die Einwohner*innen aufs Festland, lange Arbeitswege und eine komplizierte Versorgungsstruktur über den Wasserweg erschweren die Arbeitsbedingungen der Arbeiter*innen der Stadt. Für das kuratorische Team stand im gesamtheitlichen Konzept der soziale Aspekt des Beitrages mindestens genauso stark im Fokus wie derjenige der materiellen Zirkularität. Der lokale Bedarf sollte analysiert und bei allen Eingriffen die Bedürfnisse der Bewohner*innen respektiert werden. Das gesammelte und aufgewertete Material soll nicht nur im eigenen Pavillon sichtbar sein, sondern auch darüber hinaus. So hat das kuratorische Team neben dem Ausstellungskonzept im Giardini weitere Interventionen im Stadtraum geplant, um nicht zuletzt die lokalen Akteur*innen miteinbeziehen zu können. Eine weitere örtliche Kooperationspartnerschaft von Bedeutung besteht hierbei mit der „Assemblea Sociale per la Casa“, die leerstehende Wohnbauten besetzt und saniert.

Zudem wird es ein performatives Forschungsprojekt zu sozialen Verhältnissen geben: Während der Laufzeit der Biennale wird das Goethe-Institut mit seiner Programmreihe „Performing Architecture“ als Programmpartner des Deutschen Pavillons mit künstlerisch-performativen Projekten das kuratorische Konzept aufgreifen. Aspekte wie Inklusion, Sorgearbeit, urbane Praxis und Zugänglichkeit sollen von einem Ensemble, gebildet von Darstellerinnen mit normativen sowie nicht-normativen Körpermerkmalen, thematisiert werden.