März / April 2022
Universität Stuttgart
Cohabitation
Ein Raum am Meer
Universität Stuttgart
Master
24.11.2021
IRGE (Institut für Raumkonzeptionen und Entwerfen) und GEN (Fachgebiet Gebäudelehre und Entwerfen) Prof. Markus Allmann & Prof. Stephan Trübygart.de
Freizeit- und Sportbauten
Rhino 6.0, Illustrator;
Cohabitation ist ein kleinstmaßstäblicher Raum in einer Bucht an der Küste der ostkanadischen Atlantikprovinz Nova Scotia. Die Arbeit ist eine Auseinandersetzung mit den Grundelementen der Architektur, welche unter dem Einfluss des Aufeinandertreffens von Natur und Architektur geprägt sind.
Der Begriff Synanthropie bezeichnet die Anpassung einer Tier- oder Pflanzenart an den menschlichen Siedlungsbereich, sodass sie nicht auf Ergänzung ihrer Population von außen angewiesen ist. Das Projekt versucht das Gegenteil zu erreichen, nämlich die Anpassung vom Menschen an den Raum der Tier- und Pflanzenwelt.
Die Bauaufgabe ist Auslöser für das Aufeinandertreffen von zwei Realitäten. Das Aufeinandertreffen von Gegenbegriffen wie Natur und Kultur, Natur und Mensch, bzw. Natur und Architektur. Vergleicht man die Abläufe der zu vereinbarenden Realitäten, können beide als holistisch verstanden werden. Wie kann man diese beiden Prozesse miteinander vereinbaren?
Natur gehört zu dem, was bleibt und sich nicht selbst vernichtet. Ganz anders steht es um die (Bau-)Kultur. Architektur verkörpert im Bauen und dessen Technologie, eine exakte Wissenschaft. Nichts ist dem Zufall überlassen, alles ist genauestens kalkuliert und präzise geplant. Sinnbildlich dafür steht der anhaltende Trend zur „optimierten Planung“ mithilfe von BIM. Im Gegensatz zum Bauen wird Natur mit dem wilden, dem unkontrollierten, der Unordnung und dem Zufall (Entropie) assoziiert. Ein am Bauort gefundener Opal steht für die Komplexität von Natur.
Das Projekt verkörpert eine Sprache, welche exakt diese Schnittstelle sichtbar macht und versucht die beiden Gegensätze zu verbinden. Also das Präzise und genauestens Kalkulierbare mit einer „zufälligen“ Formfindung, die sich an natürlichen Prozessen bedient. Dies verkörpern die raumbildende tragende Wandelemente aus Beton, welche vor Ort ihre Gestalt durch die natürliche Reaktion von Schnee und Meersalzwasser erhalten. So werden Wände zum Abbild von Natur, zugleich aber auch zu einem neuen Ort der Aneignung von Natur, Cohabitation.
Natur diktiert Form und Gestalt.
Die Stellung der tragenden Wände, die Form und Neigung des Dachs, sowie die Erscheinung des Kamins, folgt den natürlichen und lokalen Bedingungen. Vier vorgefunden Felsen bilden das Fundament. Deren Anordnung bestimmt die Grundform der auf den Felsen punktuell aufgeständerten Bodenplatte. Auf ihr werden, die vor Ort gegossenen tragende Elemente platziert. Die Ausfachung zwischen den tragenden Bauteilen geschieht durch vorgefertigte Holzständerelemente.
Der Innenraum ist ein Raum ohne Oberflächen. Die Eindeckung (Dreischichtplatte) der dämmenden Holzständerkonstruktion wird durch die Gewinnung von gepressten Blueberries, blau gefasst. Eine Feuerstelle gliedert den Raum. So ergibt sich eine subtile Dynamik aus einer Akkumulation von Bauteilen. Diese bestimmen die Konzeption und Raumerfahrung, welche das Bauen an diesem Ort legitimiert. Der Architekt agiert als umgekehrter Synanthrop.
Text von Ludwig Albert Müller.