Zwischen Berlin und den Tropen: Architektur mit frischer Note von Supertype Group

Man nehme den Einfluss der lateinamerikanischen Moderne, tropische Landschaften, deutsche Konstruktionsinnovationen sowie eine gute Portion Neugier und Kühnheit – daraus entsteht ein Architekturansatz, der unverkennbar die Handschrift von Supertype Group trägt.

Sie verstehen sich zwar als fluides Team, das projektbezogen mit verschiedenen Partner*innen kooperiert. Doch zum Kernteam der Supertype Group gehören Max Becker, Pia Brückner und Tobias Schrammek. In Deutschland machte das Studio mit einem Wintergartenhaus auf sich aufmerksam – ein Manifest-Projekt, das architektonische Haltung mit technischem Know-How vereint und in ein kleines tropisches Paradies verwandeln kann. Wir schauten hinter die Kulissen und erfuhren mehr über das Gestaltungscredo und die Gründungsgeschichte des Berliner Trios.

#StudioUnderConstruction wirft einen Blick auf Entstehungsgeschichten, Projekte und Philosophien von Architekturbüros, die ihre Gründung innerhalb der letzten fünf Jahre vollzogen haben – oder mittendrin stecken. Eine Reihe von und für Newcomer*innen.

Kluges Klimakonzept trifft auf typologisches Novum

„Endlich mal etwas anderes!“, mag man beim Anblick des 2024 fertiggestellten Umbaus eines Gründerzeithauses in Berlin-Pankow denken. Die wuchernde Vegetation, die farblich akzentuierte Erschließung und der fließende Übergang zwischen Innerem und Äußerem scheinen selbst graue Wintertage zu beleben. Ist es ein Gewächshaus oder eine vertikal organisierte Wohnung? Hinter dem mit Polycarbonatpaneelen verkleideten Holztragwerk verbirgt sich eine durchdachte Strategie, die Typologie, Konstruktion und sozio-klimatische Aspekte vereint. Das Gewächshaus dient zugleich als Klimapuffer, Gemeinschaftsraum, Schlafplatz, Arbeitsbereich und Gartenhaus. Das Projekt spiegelt die Arbeitsweise und Hintergründe des Büros wider: Es verbindet persönliche Einflüsse aus Lateinamerika mit neuen klimatischen oder räumlichen Typologien. 

Die Lateinamerika-Connection: Eine Gründung in der Ferne

Zur gleichen Zeit, am gleichen Ort und mit einer kompatiblen architektonischen Vision – 2021 legten Max, Pia und Tobias in São Paulo den Grundstein für ihr Studio. Sie kannten sich bereits aus der Zusammenarbeit an einem gemeinschaftsorientierten Stadtentwicklungsprojekt in Kolumbien. Aus Brasilien brachten sie den Einfluss der Architektur der 1950er- und 1960er-Jahre. Von der Escola Paulista, der brutalistischen Bewegung um Vilanova Artigas, lernten sie, wie Architektur soziale und politische Haltungen räumlich ausdrücken kann. Das Team war von Beginn an auf beiden Kontinenten, in Deutschland und Südamerika, aktiv.

Systemischer Anspruch 

Die Gründer*innen haben weitere Standbeine, die ihre Planungsarbeit im Rahmen von Supertype Group formieren: Max leitet die Stiftung Oasis Urbano, die Interventionen in Kolumbien betreut. Pia forscht und lehrt an der Technischen Universität Braunschweig, Tobias an der Technischen Universität Berlin, wo er auch promoviert. Im universitären Kontext vertiefen sie Themen wie Holzbau, Vorproduktion, Systematisierung, soziale Programme und die Integration von Pflanzen und Landschaft in die Architektur. Ihre Architekturprojekte verstehen sie als Case Studies, in denen sie ihre Forschungsschwerpunkte materialisieren. Das Ziel: Prototypen entwickeln, die Raum-, Bau-, Klima- und Sozialsysteme verbinden und auf andere Architekturen übertragbar sind. Dafür ersinnt Supertype Group ein wachsendes Repertoire an Typen und Lösungen. Die Ansätze des Wintergartenhauses bewähren sich auch in anderen Projekten. So dient das Konzept des Gewächshauses beispielsweise als Klimapuffer bei einem Stallumbau in Brandenburg. 

Freie Holzkonstruktionen, offene Bausysteme und Temperaturregulierung durch Pflanzen – diese Lösungsansätze basieren auf intensiver Forschung. Doch was passiert, wenn die Uni-Verträge auslaufen? Wie finanziert sich ein Büro, das mit hohen gestalterischen und ideologischen Ansprüchen startete?

Akquise out of the box

Die vorläufige Anbindung der Teammitglieder an die Universität bietet in der Gründungsphase Sicherheit und Freiraum für experimentelle Architekturprojekte. Die kommenden Jahre, eine kritische Phase für die Gründung, sehen sie mit Respekt. Doch das Trio ist sich einig: Sie nehmen nur Aufträge an, hinter denen sie stehen. Deshalb suchen sie ihre Projekte auch mal selbst – sie identifizieren Bedarfe, skizzieren Lösungsansätze und präsentieren diese potenziellen Auftraggeber*innen. 

So unkonventionell wie ihre Herangehensweise ist auch ihr Name: Supertype Group. Was er bedeutet? Der Begriff verweist nicht auf einen Superlativ, sondern auf den Anspruch, starre Typologien und konventionelle Lösungen zu überwinden. Kurz: über den bekannten Typus hinaus. Eine treffende Beschreibung für den anspruchsvollen architektonischen Ansatz von Supertype Group.