Vom Tramdepot zum „Vielplatz“: Die mobile Haltestelle für urbane Interventionen
Mit starkem Konzept und mobiler Holzstruktur regt ein Team von Studierenden und Lehrenden die Debatte über die Weiterentwicklung der Straßenbahndepothallen im Berliner Bezirk Schöneberg an.
Eine urbane Transformation muss kein Großprojekt sein. Auch kleine, präzise Interventionen können wirkungsvolle Impulse setzen. In dem Sinne trafen sich Studierende der Universität Kassel und Universität Stuttgart im Sommersemester 2024 in Berlin, um an der einwöchigen Summer School „Der kleinstmögliche Eingriff: Straßenbahndepot“ teilzunehmen. Organisiert von Alexander Stumm, Prof. Martina Baum, V-Prof. Markus Vogl und Kristin Lazarova von Urbane Praxis e. V., beschäftigte sich das DesignBuild-Projekt mit der stark debattierten, dennoch ungeklärten Zukunft der historischen Tramdepothallen im Bezirk Schöneberg.
Historisches Straßenbahndepot sucht nach passender Nutzung
In unmittelbarer Nähe des Rathauses, umgeben von Blockrandbebauungen und flankiert von zwei Parkanlagen, stehen die drei Hallen des ehemaligen Straßenbahndepots leer, das Gelände teilweise mit Stacheldraht umzäunt. Seit vielen Jahren diskutieren Senatsverwaltung, Bezirk und Bürger*innen über die Weiterentwicklung des Ende des 19. Jahrhunderts errichteten Betriebshofs. Deren Visionen über eine konkrete Umsetzung scheinen jedoch zu kontrastieren. Dabei könnten Zwischennutzungsstrategien der Trägheit des Entscheidungsprozesses und den aktuellen Leerstand entgegen wirken und die soziale Infrastruktur im Bezirk stärken. Auf dieser komplexen Gemengelage baute die Summer School auf.
Aufs Minimum reduziert
Die Lehrenden aus Kassel und Stuttgart formulierten die Aufgabenstellung auf der Grundlage zweier städtebaulicher Ansätze. Einerseits bediente sich das Projekt der Theorie des „Kleinstmöglichen Eingriffs“, die Soziologe und Architekturtheoretiker Lucius Burckhardt in den 19970er Jahren einführte. Außerdem verfolgte es den Ansatz der „Urbanen Akupunktur“ – ein Begriff, den unter anderem der katalanische Urbanist Manuel de Solà-Morales, der brasilianische Architekt und Bürgermeister Jamie Lerner und der finnische Architekt Marco Casagrande prägten. Die Teilnehmenden mussten innerhalb einer Woche einen gezielten Eingriff mit nachhaltiger Wirkung entwickeln. So entstand der Design-Build-Entwurf für eine mobile Haltestelle.
Vielplatz – die wiederverwendbare mobile Haltestelle
Auf die Frage nach der wirkungsstärksten, kleinstmöglichen Intervention antworteten die Studierenden mit einer mobilen Holzkonstruktion, die symbolisch auf die Aspekte der ehemaligen Transportinfrastruktur – Mobilität und Vernetzung – Bezug nahm. Der Name dieser Haltestelle auf Rädern, „Vielplatz“, deutete auf die unterschiedlichen Zukunftsszenarien des Straßenbahndepots hin. Der reduzierte Entwurf fußte auf der ausführlichen Recherche und Auswertung der bisherigen Verfahren rund um die Zukunft der Hallen sowie auf Gesprächen mit relevanten Akteur*innen aus Politik und Verwaltung. So errichtete das Team durch Einsatz wiederverwendeter Materialien die Miniaturstruktur mit schattenspendendem Vordach, Sitzfläche, Tresen und integriertem Neon-Licht-Schild – alles, was man für einen wirksamen Einsatz im Stadtraum braucht. Eine Haltestelle, die nicht dem passiven Warten dient, sondern das Informieren, Signalisieren und Aktivieren fördert.
Die minimale Intervention sorgt für Aufsehen
Die Summer-School-Woche gipfelte am 16. Mai in einer öffentlichen Veranstaltung, an der sogar Bezirksbürgermeister Jörn Oltmann teilnahm. Von der „Vielplatz“-Struktur angeteasert, beteiligten sich rund 100 interessierte Nachbar*innen spontan an der Debatte um das Depot. Die Studierenden verteilten Tickets – keine Fahrscheine, sondern kostenlose Dauerkarten für die Teilnahme an der Initiative, die auch nach Abschluss der Summer School weitergeführt werden soll. Ziel dabei ist es, die offene und konstruktive Diskussion zur Zukunft der Infrastruktur weiterzuführen und sich für eine sozio-kulturelle Zwischennutzung einzusetzen.