Städtische Klangräume: Forschungsprojekt zu Lärm und Wohnungsbau

Wer in einer Stadt wohnt, ist unweigerlich Lärm ausgesetzt. Rigide Vorschriften sollen den Anwohnenden lärmbelasteter Gegenden zugutekommen. Die daraus resultierenden introvertierten Wohnhäuser können sich jedoch auch negativ auf den öffentlichen Raum und die dort stattfindende gesellschaftliche Teilhabe auswirken. An möglichen Lösungen für dieses Dilemma forschen mehrere Teams der ZHAW.

Lärm kann die physische und psychische Gesundheit beeinträchtigen. Vor allem in Städten sind die dort lebenden Menschen einem erhöhten Lärmpegel ausgesetzt. Deborah Fehlmann und Prof. Astrid Staufer beschäftigten sich im Rahmen des Forschungsprojekts Integrativer Lebensraum trotz Lärm am IKE (Institut Konstruktives Entwerfen) der ZHAW (Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften) mit der Verbindung von Lärmschutz und Baukultur.

Strategien zum Bauen im Lärm

Wohnungsbau an lärmbelasteten Lagen stellt für Architekt*innen eine Herausforderung dar.  Sind bestimmte Grenzwerte überschritten, treten strenge Regularien in Kraft, die den planerischen Spielraum massiv einschränken. Infolgedessen werden Wohngebäude so konzipiert, dass Wohn- und Schlafräume sowie Balkone auf die Hofseite rücken, während Treppenhäuser, Badezimmer, Küchen und Abstellräume zur Straßenseite angesiedelt sind. Eine solche Planung kann sich negativ auf den öffentlichen Straßenraum auswirken. Aus belebten Straßen werden reine Verkehrsachsen. Ein weiteres Problem ist die Verdrängung einkommensschwacher Haushalte aus der Innenstadt und der damit verbundene Ausschluss dieser Personen, am urbanen Lebensraum teilzuhaben. Das Forschungsprojekt von Fehlmann und Staufer vereint die Disziplinen Architektur und Städtebau mit der Sozialraumforschung. Erklärtes Ziel des Projekts ist unter anderem die ganzheitliche Betrachtung der Lärmschutzproblematik. Außerdem möchte das Forschungsteam auf die architektonischen und sozialen Konsequenzen der bisherigen Praxis aufmerksam machen und Ansätze für ein zukunftsfähiges und sozialverträgliches Regulativ entwickeln.

Vier Forschungsstränge

Insgesamt besteht das Projekt aus vier Forschungssträngen, die in einem iterativen Prozess miteinander verknüpft werden. Der erste Strang befasst sich mit der Untersuchung der geltenden Lärmschutzgesetzgebung und ihrer Umsetzung. Im zweiten Schritt geht es um die Inventarisierung aktueller Fallbeispiele für lärmbelastete Wohnbauten. Das Forschungsteam führte hierzu in der dritten Phase entlang der lärmbelasteten Badenerstraße in Zürich qualitative Befragungen zur Wohn- und Lebensqualität durch. Dabei ging es auch um die Frage nach Bewältigungsstrategien, die die Anwohnenden im Umgang mit Lärm praktizieren. Im vierten Schritt wurden unter Mitwirkung von Studierenden Entwurfsstudien erarbeitet. Die Studierenden sollten neue architektonische Strategien für lärmbelastete Stadtgebiete entwickeln und diese in Workshops und Simulationen prüfen.


Wohnen im Einklang

Die Ergebnisse des Forschungsprojekts sind in der Publikation „Wohnen im Einklang. Strategien zum Bauen im Lärm aus Forschung, Lehre und Praxis“ nachzulesen, die bei Park Books erschienen ist. Auf rund 150 Seiten werden Zusammenhänge zwischen Vorschriften und baulicher Praxis nachgezeichnet. Die darin gebündelten Erkenntnisse sollen Architekt*innen als Planungshilfe dienen. Außerdem lancierte das IKE gemeinsam mit der Vereinigung kantonaler Lärmschutzfachleute Cercle Bruit Schweiz eine Website, auf der unter anderem umfangreiche Informationen zum Bauen in lauten Umgebungen, Praxisleitfäden, beispielhafte Bauwerke, mögliche Gebäudetypen und Grundrisslösungen zu finden sind. 

Lehrveranstaltung und Folgeprojekt

An das Forschungsprojekt von Fehlmann und Staufer anknüpfend gibt es am IKE ein Folgeprojekt, für das Damaris Baumann und Prof. Peter Streckeisen verantwortlich zeichnen. Der Fokus dieses Projekts liegt auf dem Gebäudebestand. Im Rahmen der Forschungen sollen anhand zweier Siedlungen in Winterthur neue Strategien entwickelt werden, an denen sich die Weiterentwicklung bestehender Bauwerke an lärmbelasteten Lagen orientieren kann. Zudem findet in Kooperation mit dem Folgeprojekt im Sommersemester 2023 ein Masterstudio zu diesem Themenfeld statt. Die Studierenden werden in diesem Rahmen dazu angehalten, auf städtebaulicher Ebene neue Wohnbauten im Umfeld des Zürcher Kreuzplatzes zu konzipieren.