Sprung über die Förde: Strategische Umnutzung des Kieler Kohlekraftwerks

Für das Kieler Kohlekraftwerk kommt jede Hilfe zu spät – der Rückbau ist in vollem Gange. Mit möglichen Umnutzungen beschäftigte sich unsere Gastautorin Sarah Peers in ihrer Masterarbeit „Sprung über die Förde“, die sie 2020 am Institut für Grundlagen der Konstruktion und des Entwerfens der TU Graz absolvierte.

Die umfassende Energiewende, deren Zeug*innen wir (nicht nur) in Europa sind, stellt diverse Herausforderungen an uns. Eine davon ist die Frage des Umgangs mit den Ruinen stillgelegter Kraftwerke und deren Würdigung als Teil eines kollektiven industriellen Erbes.

Eine gewerbliche Zukunft für die Kieler Förde

Am 02. April 2023 wurde die erste Sprengung des Kieler Kohlekraftwerks (GKK) eingeleitet. Mit dem nun folgenden Rückbau geht auch ein Stück städtische Energiegeschichte zu Ende. In zwei Jahren soll ein Teil des 14 Hektar großen Gebietes am Ostufer der Kieler Förde zum Hafengebiet umgenutzt werden. Das bedeutet eine unverdichtete Bebauung mit gewerblich-industrieller Nutzung zwischen Wohngebieten direkt am Wasser. Ist so eine Entwicklung überhaupt noch zeitgemäß?

In meiner Diplomarbeit „Sprung über die Förde“ diskutiere ich Alternativen zum Abriss des grauen Giganten. Damit schließt die Arbeit an die Debatte an, die rund um das Thema Umnutzung geführt wird. Im Zeichen der Energiewende werden folgende Kernfragen gestellt: Auf welche Art können wir uns diese gebaute Masse als graue Energie sinnvoll und sozialverträglich zunutze machen? Wie gehen wir mit den Ruinen eines sich schließenden Kapitels unserer industriellen Landesgeschichte um?


Strategisches Denken vs. rigide Umsetzung

Die Arbeit basiert auf einer umfassenden Ortsanalyse als langfristige Entwicklungsstrategie. Damit liegt der Fokus auf einem prozessorientierten Vorgehen – einzelne Schritte bleiben anpassungsfähig. Auf diese Weise wird ein ergebnisoffener Ansatz vertreten, der bei realer Umsetzung durch öffentliche Debatten und partizipative Planungsprozesse jeweils zu überprüfen wäre. Nur so können neue Möglichkeiten geschaffen werden, die über die Kurzsichtigkeit eines vorschnellen Abrisses hinausreichen.

Kommunales Gelände in öffentlicher Hand

Im Kern der exemplarischen Umnutzungsvorschläge steht die Entwicklung eines Programms, das (nach wie vor) der gesamten Stadtbevölkerung nützen soll. Dahinter vebirgt sich die Motivation, ein Gebiet, das den Bewohnern lange Zeit nur indirekt gedient hat, zu einem gemeinschaftlich aktiv genutzten Ort zu transformieren. So kann eine gleichberechtigte Zugänglichkeit zu Objekten des öffentlichen Raums ermöglicht werden.


Schonende Entwicklung vorhandener Strukturen

In der Betrachtung wird zudem besonderer Wert auf einen nachhaltigen Umgang mit ortseigenen Strukturen gelegt. Dies bezieht sich sowohl auf das physisch vorhandene (die Bausubstanz und Landschaft) als auch auf das unsichtbare Netz (die soziale Bedeutung für die umliegenden Gebiete). Damit wird dezidiert die Ansicht vertreten, dass eine Umnutzung keine weitere Inselbildung fördern darf. Stattdessen sollen dadurch die Potenziale der Umgebung identifiziert und adressiert werden, um ein gebietsübergreifendes Gesamtkonzept liefern zu können. Für vorhandene Gebäude bedeutet dies, neue Nutzungen sinnvoll in vorhandene Konstruktionen einzuflechten und sie auch inhaltlich an die vorhandenen Gegebenheiten anzupassen.


Lücken in der Stadt schließen

Entwickelt man diese Gedanken auf räumlicher Ebene weiter, handelt es sich bei industriellen Stadtgebieten um Lücken in der Stadtlandschaft. Im Fall des GKK kommt es durch die vom Wasser gespaltene Stadt zu einer weiteren Abkapselung. Gleichzeitig wird das Kraftwerk trotz seiner erheblichen Masse im Stadtpanorama ignoriert. Eine verbindende Maßnahme bestünde darin, visuell auf diesen blinden Fleck aufmerksam zu machen und eine Eingliederung durch verschiedene infrastrukturelle Maßnahmen – auch über das Wasser hinweg – zu schaffen.


Planungsprozesse im Diskurs

Beim GKK ist die Chance einer ganzheitlichen Lösung verpasst worden. Es zeigt, wie wichtig ein öffentlicher Diskurs zur Überprüfung von Planungszielen ist, um vorschnelle Entscheidungen zu hinterfragen. In einer Zeit, die uns vor allem energetisch vor vielschichtige Herausforderungen stellt, müssen besonders öffentliche Projekte in ihrer neuen Komplexität ernst genommen werden, um sie auf verschiedenen Ebenen zu besprechen und zu lösen. In diesem Sinne sind wir zur Wahrung der vorhandenen Ressourcen auf Umnutzungen angewiesen. Sie müssen deshalb prioritär diskutiert werden. Nur so kann eine zeitgemäße Entwicklung unter vielfältiger Berücksichtigung des industriellen Erbes unserer Kultur gewährleistet werden.