Myzeliumania: Wie Pilze das Bauen revolutionieren könnten

Auf kleiner Pilzwanderung: Im Folgenden präsentieren wir euch eine Auswahl an aktuellen Myzel-Experimenten im Bauwesen und einen Einblick in den Stand der Forschung.

„Co-Habitation“ – Damit ist ein ausbalanciertes Miteinander von Mensch und Natur gemeint. Die Baubranche sorgt für ein Ungleichgewicht in dieser Beziehung. Es zeichnet sich jedoch eine vielversprechende Allianz mit einer ganz bestimmten Gruppe unserer Mitgeschöpfe ab: mit Pilzen. Diese sind nicht nur schön anzusehen und schmackhaft, sondern bereits seit langer Zeit als unersetzliche Helfer im Dienste der Menschheit im Einsatz – beispielsweise für die auf Pilzkulturen basierenden Antibiotika, die seit ihrer Entdeckung vor rund 100 Jahren unzählige Leben gerettet haben. Pilzbasierte Baustoffe könnten nun auch ein bedeutender Baustein in der Transformation hin zu einer CO₂-neutralen, zirkulären Bauwirtschaft sein. Sie können lokal produziert und – ohne den Kreislauf zu stören – entsorgt werden. Dadurch stellen sie eine regenerative Alternative zu fossilen und mineralischen Baumaterialien dar.

Pilze an den Wänden – Der Belgische Pavillon

Wer 2023 auf der Architekturbiennale in Venedig den Belgischen Pavillon betritt, findet sich in einem zwölf Meter langen, sechs Meter hohen und breiten Raum im Raum wieder. Dessen vier Wände sind durch eine strenge Holzkonstruktion gestützt und ab ca. einem Meter gänzlich mit beige marmorierten, quadratischen Kacheln ausgekleidet. Auf den ersten Blick könnte man vermuten, dass es sich hierbei um eine Natursteinauskleidung handelt. Doch dem ist anders:  Die Paneele bestehen aus Myzelium – den fadenförmigen Zellen eines Pilzes und einem pflanzlichen Substrat, auf dem sie gedeihen. Der belgische Beitrag „In Vivo“ wurde kuratiert und entworfen vom jungen Brüsseler Büro Bento Architecture (Florian Mahieu, Corentin Dalon and Charles Palliez) und der Philosophin und Psychologin Vinciane Despret von der Université de Liège. Die Macher*innen möchten ihr Publikum für eine Bauweise sensibilisieren, welche die Endlichkeit der planetaren Ressourcen respektiert.

Die Kuartor*innen legten Wert darauf, dass alle Materialien – vom Erdaushub des Bodens, über das Holz bis hin zum Myzelium – lokal aus der Umgebung Brüssels stammen und nach einer Nachnutzung wieder vollständig in den Materialkreislauf zurückgehen können. Die pilzbasierten Paneele offenbaren in der Ausstellung nicht nur ihre sensorischen Reize, wie das visuelle Erscheinungsbild, die Haptik oder auch der spezifische Geruch – vielmehr ist es darüber hinaus gelungen, das architektonisch gestalterische Potenzial des nachhaltigen Baustoffes herauszustellen. Der entstandene Raum zeichnet sich durch eine ausgesprochen atmosphärische Wirkung aus und beweist damit, dass in naturnahen Baustoffen auch ein großer ästhetischer Wert liegt. Somit leistet der Beitrag in Venedig einen wichtigen Schritt zu einer weitergehenden Anerkennung dieser noch neuartigen Baumaterialien.

Forschung zur Akzeptanz – MY-CO BUILD + AFFECT

Im Rahmen des Forschungsprojekts MY-CO BUILD + AFFECT unter der Leitung der Architekturpsychologin Gudrun Rauwolf fand an der Technischen Universität Berlin eine architekturpsychologische Begleitforschung zum Thema pilzbasierte Verbundmaterialien und deren Akzeptanz statt. Unterstützt wurde das Projekt durch eine X-Student-Research Group der Exzellenzinitiative der Berlin University Alliance (2021/22) und der Sto-Stiftung. Das Lehrforschungsprojekt kooperierte mit MY-CO BUILD, einem Forschungsvorhaben initiiert durch die Biotechnologin Prof. Vera Meyer und dem Architekten Prof. Sven Pfeiffer, das sich mit der Zukunft von pilzbasierten Baustoffen befasst. MY-CO BUILD + AFFECT richtete sich an eine interdisziplinäre Gruppe von Studierenden aus den Bereichen Architektur, Biotechnologie und Psychologie.

Doch wieso bedarf es einer psychologischen Begleitung dieses Themas? Pilze evozieren bei vielen Menschen nicht nur positive Assoziationen. Gerade bei Bauwerken springen die Gedanken schnell zu Bauschäden und damit verbundenen krank machenden Eigenschaften. Das Forschungsprojekt untersucht, welche affektiven und kognitiven Bewertungen Proband*innen gegenüber pilzbasierten Stoffen hervorbringen. Um zu prüfen, wie solche Materialien erlebt werden, gab es eine Versuchungsanordnung mit sensorisch fragmentiert aufgearbeitetem Stimulusmaterial. Die Versuchsteilnehmer*innen interagierten mit systematisch alternierenden visuellen, olfaktorischen und haptischen Qualitäten der Studienobjekte. Beispielsweise wurde das Narrativ untersucht, dass die Gruppe der „Pilzenthusiast*innen“ die Ästhetik der Sichtbarkeit des Myzelwachstums begrüßt, während die andere Gruppe der „Pilznoviz*innen“ auf diese eher mit Ekel und Abwehr reagiert. Im Ergebnis präferierten die Studienteilnemehr*innen ein homogenes Erscheinungsbild des Materials deutlich gegenüber eines sichtbaren Pilzwachstums. Die Datenerhebung fand unter anderem im Berliner Museum FUTURIUM statt, wo MY-CO BUILD noch bis 2024 mit Exponaten aus ihrer Forschung zu besichtigen ist.

Bewehrtes Pilzmaterial – das Projekt HOME

In der Grundlagenforschung wird fortlaufend daran gearbeitet, Verfahren zu finden, die dem Myzelium den Sprung in die Bauwirtschaft ermöglichen. Ein solches Beispiel ist das Projekt HOME, das für eine Holz-Myzelium-Verbundbauweise für CO₂-neutrale, kreislauffähige Ein- und Ausbauten steht, an der Universität Kassel. Das Projektteam von Prof. Philipp Eversmann, Fachgebiet für experimentelles und digitales Entwerfen und Konstruieren (Andrea Rossi, Nadja Nolte, Eda Özdemir), erprobte in einem Verbundforschungsprojekt zusammen mit Prof. Dirk Hebel, Karlsruher Institut für Technologie und Prof. Dr.-Ing. Jan Wurm vom Ingenieurbüro Arup die Eigenschaften eines Holz-Myzelium-Bioverbundmaterials. Dadurch konnte bewiesen werden, dass dieses als strukturell belastbares Material tauglich ist und beispielsweise bei Innenausbauten eine nachhaltige Alternative zu herkömmlichen Baustoffen sein könnte. Myzelium besitzt sehr gute schallabsorbierende Eigenschaften – allerdings ist es kaum tragfähig. Daher rührt die Idee, es mit Gitterstrukturen aus heimischen Hölzern zu kombinieren, um so einen bewehrten Baustoff herzustellen, der sich durch eine erhöhte Stabilität auszeichnet. Im darauf aufbauenden Forschungsprojekt HOME 2.0 ging es darum, einen von Robotern gesteuerten und klebstofffreien Herstellungsprozess der inneren Holzgitterstruktur des Verbundstoffes zu entwickeln. Das Experiment sollte erproben, welche neuen Entwurfs- und Produktionsmöglichkeiten sich bei einer etwaigen Hochskalierung des Prozesses für die Praxis ergeben könnten. Als Anwendungsziel gaben die Beteiligten die Fertigung von akustischen Leichtbau-Trennwänden an.

Schalldämmung aus dem Drucker – FungiFactoring

Ein weiteres Vorhaben, das sich mit dem Einsatz von Pilzmyzelien in der Schalldämmung auseinandersetzt, ist FungiFactoring, von der Biodesignerin Julia Krayer am Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik UMSICHT in Oberhausen. Auch hier kommt ein additives Verfahren, in diesem Falle der 3D-Druck, zum Einsatz, um Schallabsorber zu produzieren. Diese könnten in Zukunft den Einsatz der gängigen Polyesterschäume und Verbundstoffe auf Mineralbasis im baulichen Schallschutz minimieren. Baunetz Wissen berichtete bereits ausführlicher über das Projekt.