Gestaltungschancen von Urban Mining: Entwürfe im Studio Less:new

Urban Mining gewinnt im Zuge der Klimakrise immer mehr an Bedeutung. Studierende des Studios „less:new“ an der Uni Kassel testeten aus, wie eine Eingrenzung der verwendbaren Ressourcen die architektonische Sprache eines Entwurfs beeinflusst.

Stahl gilt nicht als nachhaltiges Baumaterial. Zwar können rückgebaute Stahlbauteile wieder eingeschmolzen und weiterverarbeitet werden, dies bedarf jedoch eines hohen Energieaufwands. Eine ökologischere Alternative zum Recycling stellt dagegen die Wiederverwendung dar. Mit diesem Thema beschäftigte sich das Fachgebiet Tragwerksentwurf an der Universität Kassel im Wintersemester 2022/23. Für die Überdachung eines Busbahnhofes in Frankfurt am Main sollten Studierende des Studios less:new Stahlbauteile aus einem benachbarten, temporären Parkhaus nutzen. Ziel des Studios war es, Entwurfsstrategien für die Wiederverwendung von Stahlbauteilen zu entwickeln und anzuwenden. Von filigranen, expressionistischen Strukturen bis zu begehbaren Dachlandschaften: Unter der Leitung von Prof. Dr.-Ing. Julian Lienhard entstanden vielfältige Entwürfe.

Chancen für die Gestaltung

Bei der Planung von Gebäuden leitet sich in der Regel die Tragstruktur von der Entwurfsidee ab. Je nach festgelegten Spannweiten und auftretenden Lasten erarbeiten die Planenden dafür ein passgenaues Tragwerkskonzept. Mit der Betrachtung des Gebäudebestands als Materiallager sind die Möglichkeiten nun begrenzt. In den Entwürfen der Studierenden zeigt sich allerdings, dass dies nicht nur Einschränkungen, sondern auch Chancen für die Gestaltung birgt.

Abenteuerliche Konstruktionen

Die schweren Träger, die es im neuen Entwurf wieder zu nutzen galt, waren für ihre neue Verwendung überdimensioniert. Das Parkhaus musste einst wesentlich größere Lasten aufnehmen als das zu entwerfende Dach. Einige der Studierenden haben das berücksichtigt: Anstatt eine bloße Überdachung zu planen, reicherten sie die neue Struktur mit weiteren Funktionen wie Warteräumen, Toiletten oder Duschen für Reisende an. Die Lastreserven der Träger machten es außerdem möglich, die Dächer begehbar zu gestalten. Andere Entwürfe reizten die Querschnitte mit gewagten Spannweiten und abenteuerlichen Auskragungen bis ins Äußerste aus. Die vorhandenen Längen der Träger bestimmten nicht zuletzt auch die Dimensionen der Dachkonstruktionen. So entstanden durch das Wiederverwenden von Bauteilen Entwürfe, die es im reinen Neubau nicht gegeben hätte.

Reversibel und rückbaubar

Der Gedanke der Rückbaubarkeit fand auch in den neuen Entwürfen Anwendung. So setzten die Studierenden vermehrt auf modulare Systeme, die aufgrund der Schraub- oder Klemmverbindungen der Bauteile reversibel gestaltet werden. Dadurch können die Bauteile der Überdachungen bei Bedarf wieder dem Materialpool zugeführt werden – der Ressourcenkreislauf bleibt geschlossen. Beispielhaft zeigen die Entwurfsansätze damit auf, wie Urban Mining nicht nur von der technischen, sondern auch von der gestalterischen Seite funktionieren kann.