Kloster ohne Gott: Entwurf einer Utopie in der „Zwischenstadt“

Gemeinschaft und Rückzug des Einzelnen ermöglichen: Jacob Lindloff untersucht in seiner Masterarbeit die Klostertypologie als zeitloses Modell, um Räume für ein eigenständiges Denken zu entwickeln.

Ausgangspunkt meiner Recherche ist das Kartäuserkloster Trisulti bei Rom, das der ehemalige Chefstratege Donald Trumps, Steve Bannon, 2019 anmieten wollte, um hinter den Klostermauern eine politische Akademie der radikalen Rechten („Alt-Right“) zu gründen. In meiner Masterarbeit „Kloster ohne Gott – Entwurf einer profanen Heterotopie“ untersuche ich die Klostertypologie und entwickle daraus einen eigenen Entwurf, um dem reaktionären Projekt Bannons ein utopisches entgegenzustellen. Betreut wurde die Arbeit von Prof. Wilfried Kuehn an der Technischen Universität Wien

Die Wüste als Ort der Übung 

Die Typologie des Klosters bildet ein über Jahrhunderte gewachsenes räumlich-soziales System zwischen Askese und kollektiver Organisation ab. In meiner Arbeit analysiere ich die Ursprünge des klösterlichen Lebens in der ägyptischen Wüste. Es ist der Ort, an dem radikale Selbstübung (griech. áskēsis) zu Architektur wurde. Die entstehende Typologie des Klosters kapselt diese radikale Selbstübung räumlich ein und globalisiert sie – denn sie ermöglicht eine wüstenartige Askese an jedem Ort der Welt. So entsteht eine sogenannte Heterotopie: ein realer Ort, der eine andere, besondere Ordnung abbildet. Ab dem 4. Jahrhundert verbreitet sich diese Lebensform weltweit. Später findet ein Teil dieser klösterlichen Haltung, insbesondere durch den Calvinismus, auch außerhalb der Klostermauern Verbreitung. Disziplin, Arbeitsmoral und Selbstkontrolle wandern ins Alltagsleben und prägen bis heute, als Teil des sogenannten „Geists des Kapitalismus“, unser weltliches Leben. Möglicherweise bedeutet das in einer Welt, die tief von dieser klösterlich-rationalen Logik durchdrungen ist, Inseln der Unbefangenheit, „Klöster ohne Gott“ zu bauen?

Ein typologischer Katalog

In einer zeichnerischen Sammlung kartiere ich die Elemente des Klosters: Kreuzgänge, Kapitelsäle, Gärten, Bibliotheken. Ergänzt wird diese Sammlung durch fotografische Dokumentationen von Studienreisen. Dabei geht es mir explizit nicht darum, historische Bauformen auf einen vermeintlichen Ursprung zurückzuführen und nach Herkünften und Genealogien zu fragen, sondern die Breite der Geschichte als Grundlage für deren Weiterentwicklung zu nutzen.

Utopie in der Zwischenstadt

Im Entwurfsteil greife ich die Figur des Klosters auf, abstrahiere sie zum Modell und übersetze sie in eine neue räumliche Ordnung. Während die Zisterzienser einst in die unzivilisierten Wälder der Bourgogne zogen, kann als idealer Standort für ein heutiges Kloster wohl die „Zwischenstadt“ gelten – jene effizienzorientierte, lebensfeindliche Infrastrukturlandschaft, die als moderne Wüste gelesen werden kann. Ich wende das entworfene Modell exemplarisch auf ein Grundstück in der Wiener Zwischenstadt an. Unter der Annahme des Fehlens einer göttlichen Ordnung erhält im „Kloster ohne Gott“ die Erziehung zu eigenständigem Denken zentrale Bedeutung. Während mit der Bibliothek ein Raum der geteilten Konzentration aufgesucht werden kann, ermöglichen die Zellen in den Obergeschossen den privaten Rückzug. Die weitgehende Kollektivierung der Reproduktionsarbeit eröffnet zugleich mehr Zeit zu selbstgewählter Tätigkeit. Mit dem in einem vorgefundenen ehemaligen Silo untergebrachten Badehaus steht ein Ort der Muße und des Austauschs mit der lokalen Öffentlichkeit im Zentrum des Baus. Einer imaginierten Bewohnerschaft, einer „Gemeinschaft der Andersartigkeit“, geht es nicht um ein Zusammenleben, weil man sich ähnlich ist, sondern weil man sich ermöglichen möchte, anders zu sein. Das „Kloster ohne Gott“ soll in diesem Sinne als ein Experimentierfeld für neue Formen des Wohnens dienen.