„Haunted Landscapes“: Eine Masterarbeit als Bewegtbild
„It's April 2053. […] I'm sitting in a Späti on the 5th floor…“ – So beginnt der Stop-Motion-Film von Polly Bruchlos und Paula Granda Ojeda. Ihre Abschlussarbeit zeichnet ein fiktives Szenario unserer weiterhin auf Wachstum fixierten Gesellschaft.

Polly Bruchlos und Paula Granda Ojeda nutzen einen Animationsfilm, der ein fast reales Berlin in 30 Jahren zeigt, um die Spannung zwischen Fiktion und Realität, Frustration und Hoffnung zu erkunden. Sie suchen in von Gewalt geprägten Räumen nach einer möglichen Zukunft. Ihre Masterarbeit verknüpft Szenografie, Narration und Theorie und schafft Platz für Fragen nach unserer Verantwortung als raumproduzierende Menschen gegenüber unserer Vergangenheit und Zukunft.
Situiertheit
Welche Rolle spielt die Architekturpraxis bei der Verdrängung und Marginalisierung bestimmter Lebensräume und Narrative? Welche Systeme bleiben dabei bestehen? Der Ressourcenverbrauch der Bauindustrie und die individuelle und kollektive Machtausübung in Planungsprozessen rücken immer stärker in den Fokus der Architektur- und Stadtentwicklungsdiskurse. Die Ausbeutung des Bodens reicht von Erweiterungen der Erdölbohrungen im ecuadorianischen Regenwald bis hin zu den 3.000 Milliarden Tonnen Erde, die allein in Deutschland jährlich aus Wäldern und Mooren für die Bauindustrie entnommen werden. Gleichzeitig zeigt sich das Wachstumsnarrativ in der Unzugänglichkeit von Wohnraum in Berlin: etwa durch die Aufhebung des Diskriminierungsschutzgesetzes im Wohnungsmarkt oder die Bodenpreissteigerung von 146 Prozent in den letzten zehn Jahren.
Diese zunehmend normalisierten Ausnahmezustände lassen sich nicht voneinander losgelöst begreifen. Nur bei zusammhängender Betrachtung haben wir die Möglichkeit, unseren Umgang mit diesen Realitäten radikal zu ändern. Dies bedeutet auch anzuerkennen, dass die jetzige Zerstörung von Refugien menschlicher und nichtmenschlicher Wesen auf dem kolonialen Erbe fußt. Wir müssen den globalen Ausnahmezustand mit den wirtschaftlichen Abhängigkeiten zwischen dem globalen Süden und Norden verknüpfen und das moderne Fortschrittsnarrativ als Grundprinzip der Architekturpraxis hinterfragen.

(Dis)Kontinuitäten
In der Masterarbeit dient der Begriff „Haunted Landscapes“ als Methode, um die Überlagerung dieser Realitäten zu verfolgen und ihrem Zusammenhang nachzugehen. Die Autor*innen von „Arts of Living on a Damaged Planet“ verstehen Räume als „Landscapes“, die durch die Überlagerung verschiedener Assemblagen entstehen: Netzwerke aus menschlichen und nichtmenschlichen Beziehungen, von denen einige durch gezielt ausgewählte Narrative unsichtbar gemacht werden. Diese Landschaften werden so zu „Haunted Landscapes“ – Räumen, die von Geistern und deren unerzählten Geschichten bewohnt werden. Der Begriff wird in der der Arbeit genutzt, um in den unsichtbaren Erzählungen die Marginalisierung bestimmter Körper zu erkennen und gleichzeitig nach einer möglichen Zukunft zu suchen.

Praktiken / Film
Innerhalb dieser Ambiguität haben wir uns auf die Suche nach Praktiken gemacht, die gelernt haben, in kapitalistischen Ruinen zu leben. Diese Praktiken schließen Störungen nicht aus, sondern reagieren darauf und erkennen sie als möglichen Ausgangspunkt für Handlungen und Begegnungen an. Wie verbinden sich alltägliche Praktiken, die menschenzentrierte Planungsprozesse hinterfragen mit den aktuellen Wohnungskämpfen gegen die Verdrängungsprozesse am Hermannplatz? Inwiefern spielen Kiezspaziergänge in Berlin und ein Nähkurs am Mehringplatz eine entscheidende Rolle in diesen Kämpfen?

Der Film zeigt fünf Geschichten über Kontamination, Verstrickung und Wiederverwertung und stellt sie fiktiv in Zusammenhang. Er erzählt alltägliche Begebenheiten ohne einzelne Protagonist*innen, Spannungsbögen und heroisches Ende, sondern fokussiert auf die Themen Fürsorge, Verantwortung und Selbstermächtigung. „Haunted Landscapes“ hinterfragt damit fortschrittsorientierte Zukunftsansätze und schlägt eine Zukunft vor, die möglich ist, da sie schon existiert.