„Following the Fish“: Migrantische Perspektiven für eine solidarische Architektur

Im Rahmen der 18. Architekturbiennale in Venedig entstand in Zusammenarbeit mit Top Manta, einem von senegalesischen Migrant*innen geführten Modelabel, die Installation „Street Market“ und das „Reparation Atelier“. Studierende aus vier Ländern entwickelten Entwürfe für eine solidarische Raumpraxis.

Im Zentrum der diesjährigen La Biennale Architettura stehen die Herausforderungen der Dekolonialisierung und der Dekarbonisierung. Kuratorin Lesley Lokko sieht dabei Afrika als wichtigste Protagonistin. Das Projekt „Following the Fish“, das vom Institut Ramon Llull organisiert und von der Produktionsfirma Leve kuratiert wurde, beschäftigt sich mit den Erfahrungen senegalesischer Migrant*innen in der katalanischen Diaspora. Es setzt sich aus der Installation „Street Market“ und dem „Reparation Atelier“ zusammen. Ziel des Projekts ist es, das migrantische Wissen zu nutzen, um die Architekturdisziplin zu transformieren. Planende sollen lernen, auf die derzeitigen sozio-politischen Umbrüche mit kollaborativen und kreativen Praktiken zu reagieren.

Afrikanische Diaspora in Katalonien

Wie in einem afrikanischen Märchen wird der Fisch zum Erzähler der Geschichte von senegalesischen Geflüchteten in Barcelona. Europa entnimmt den Küsten Westafrikas massenhaft Fisch, um Futtermittel für Fischfarmen im globalen Norden zu produzieren. Als Folgen treten nicht nur massive Umweltschäden, sondern auch die Verdrängung der handwerklichen Fischerei auf, die in Senegal eine Nahrungs- und Geldquelle für die lokale Wirtschaft bildet. Ohne Lebensgrundlage haben die Fischer*innen keine andere Wahl, als ihre Heimat zu verlassen und in ebenjene Länder zu fliehen, die für ihre Ausbeutung verantwortlich zeichnen. In Europa angekommen, erhalten sie keine Arbeitserlaubnis und sehen sich so gezwungen, als unlizenzierte Straßenverkäufer*innen zu arbeiten. Auf sogenannten Mantas, auf der Straße ausgebreiteten, großen Tüchern, präsentieren sie Sneaker und andere Accessoires. Die Mantas ermöglichen ihnen bei der Flucht vor der Polizei die schnelle Mitnahme der Waren. 2015 riefen die nach den Tüchern benannten Manters die Union of Barcelona Street Vendors ins Leben. In dem Bestreben, ihr Geschäft zu legalisieren, folgte 2017 die Gründung des ethischen Modelabels Top Manta.

Geschichten erzählen

Die Installation „Street Market“ in den Docks Cantieri Cucchini empfindet die räumliche Situation der Straßenverkäufer*innen nach. Auf neun Mantas wird die Geschichte der Migrant*innen erzählt, von ihren Ursprüngen in Senegal, ihrer Ankunft in der Festung Europa, bis zu den Netzwerken der Unterstützung und Solidarität, die sie kreiert haben. Die Tücher hängen an Schnüren von der Decke und können nach oben gezogen werden, um den Ausstellungsraum neu zu konfigurieren. Genauso wie sich auch der Raum, den die Manters auf den Straßen Barcelonas einnehmen, kontinuierlich verändert. Die Ausstellung kann bis zum 26. November besucht werden.

Reparationen leisten

Um die Ankunft in einem ihnen feindlich gestimmten Land zu bewältigen, entwickelten die Senegales*innen kreative Praktiken, die dort ansetzten, wo die Stadt sie im Stich gelassen hatte. In Gesprächen kristallisierten sich drei Ansätze heraus, aus denen sich konkrete Entwurfsaufgaben ableiten ließen. Die Mitarbeitenden des Projekts sahen damit die Chance, Reparationen für das Unrecht, das den Migrant*innen widerfahren war, zu leisten. So entstand der zweite Teil des Projekts: „The Reparation Atelier“. Auf einen Aufruf zur Teilnahme antworteten über 80 Studierende von fünf Universitäten: University of Southampton in England, Lund University in Schweden, Politecnico di Milano in Italien, Universitat Rovira i Virgili und Universitat Politècnica de Catalunya in Spanien. Die Studierenden unterbreiteten Entwurfsvorschläge für eine Gemeinschaftsküche, für temporäres und kollektives Wohnen nach der Ankunft und für gemeinschaftlich genutzte Erdgeschossräume zum Austauschen, Erledigen von Hausaufgaben, Ausruhen oder Beten. Vom 3. bis 7. Juli fand der abschließende Workshop des „Reparation Atelier“ statt.