Experimentierfeld Eiermannbau: Das erste StadtLand-Forum in Apolda

Im Rahmen ihres Abschlussjahres organisiert die IBA Thüringen im und rund um den Eiermannbau in Apolda ein ganzjähriges Programm mit Workshops und Diskussionsformaten. Wir haben das erste der fünf Foren in der „Open Factory Eiermannbau“ besucht und den Auftakt des entstehenden Experimentierraums begleitet.

Im Abschlussjahr der IBA Thüringen findet das große StadtLand-Forum in Kooperation mit der Wüstenrot Stiftung statt. Fünf mehrtägige Foren sollen im sanierten Eiermannbau Expert*innen, Initiativen, Studierende, Hochschulpartner*innen sowie Vertreter*innen aus Verwaltung und Politik versammeln. Gemeinsam mit Rurbane Realitäten sind hierfür Programme entwickelt worden, die sich jeweils mehrere Tage um einen Schwerpunkt drehen. Erklärtes Ziel ist es, das Wissen, die Ideen und die praktischen Erfahrungen aus dem elfjährigen IBA-Prozess und den Projekten der Wüstenrot Stiftung zu teilen und zu diskutieren. Außerdem sollen Positionen zur Zukunft der ländlichen Räume und zur StadtLand-These entwickelt werden – insbesondere hier, in der „Open Factory Eiermannbau“, soll ein Lern- und Experimentierraum geschaffen werden.

Den Auftakt macht das erste Forum unter dem Titel „KOLLEKTIVES TRANSFORMIEREN!“. Es soll den neu geschaffenen Ort auf der Freifläche am Eiermannbau aktivieren und eröffnet das Debattenformat als kollektiven und handwerklichen Aneignungsprozess. An sieben Tagen – vom 19. bis 25. Juni 2023 – wurden in Zusammenarbeit mit raumlabor und dem Kollektiv belwerk Tools und Infrastrukturen für die folgenden Foren realisiert und als soziale Praxis erprobt. Ergänzende Impulse widmen sich den Aktivierungs- und Aneignungsprozessen der IBA Projekte und weiterer Initiativen. Für die Residencies der Foren können sich Studierende sowie Alumni bewerben und so jeweils vier bis sieben Tage den Eiermannbau nutzen. baunetz CAMPUS war beim Auftakt-Forum dabei und konnte mit dem Team und den Teilnehmenden sprechen, gemeinsam kochen, essen und die neu entstandenen baulichen Überraschungen erleben.

Die „mille plateaux“: Platten retten – Freiraum aktivieren

Der Eiermannbau gilt als Zeitzeuge der Moderne sowie als Vorbild- und Ausbauprojekt der IBA. Mit dem Projekt „Open Factory Eiermannbau“ galt es aber nicht nur, den Innenraum des Hauses neu und flexibel nutzbar zu machen, sondern sich auch dessen Außenraum anzueignen. Raumlabor hat dazu bereits im Vorfeld des Programms die Basis für die sogenannten „mille plateaux“ angelegt. Diese sollen eine Grundlage für die Aktivierungsprozesse der Freifläche, die gemeinsam mit den Teilnehmer*innen angestoßen werden sollen, bilden.

Während der Sanierung im Jahr 2005 wurden die Dachplatten von der ansässigen Firma Beton Müller gegossen und verlegt. Da ihr Gewicht die Dachabdichtung und -dämmung beschädigt hatte, mussten die 550 Quadratmeter großen Betonplatten bereits im Februar 2022 wieder abgebaut werden. Eine Wiederverwendung der Platten auf dem Dach war ausgeschlossen und die ungenutzten Bauteile blieben als Schutt auf dem Gelände liegen. Raumlabor bildete daraus die Basis für die Gestaltung von vier Plateaus, die auf dem Gelände verteilt wurden. Das Dach des Eiermannbaus bildet die fünfte Plattform. Diese Flächen dienen als Bühne für verschiedene Veranstaltungen, Workshops und andere kreative Aktivitäten, die mit den geplanten StadtLand-Foren einhergehen.

Bauen im zirkulären Experimentierfeld

Alle Interventionen, die auf dem Gelände entstehen, stehen in ihrer Materialität und Konzeption in enger Beziehung mit dem Ort. So auch die einzelnen baulichen Elemente, welche die studentischen Teilnehmer*innen der ersten Residency an fünf von raumlaborberlin geleiteten Bauworkshop-Tagen in den Werkstätten des Eiermannbaus entwickelt und gebaut haben. Das komplette Material dafür stammt von (meist lokalen) Firmen, die gebrauchte Ware kostenfrei oder günstig abzugeben hatten. Dadurch sind die Experimentierflächen vor allem eins: zirkulär.

Intervention Nummer eins fällt beim Betreten des Geländes direkt ins Auge: ein riesiger blauer Ballon. Diese Installation hat das Projektteam so konzipiert, dass sie in unterschiedlicher Form auftreten kann: Mal ist der Ballon aufgeständert, mal fungiert er als kugelförmiges Signal auf den einzelnen Plattformen, mal beleuchtet, mal begehbar, integriert im Innenraum oder auf dem Dach. Das Material für die Installation stammt von einem Heißluftballon des Herstellers Kubiček aus Tschechien, der als einziger Heißluftballons aus Polyester herstellt. Im Vergleich zu Alternativen aus Nylon sind diese äußerst langlebig. Jedoch muss das Material, wenn es für Flugobjekte zum Einsatz kommen soll, aus Sicherheitsgründen selbst bei kleinsten Unregelmäßigkeiten im Gewebe konsequent aussortiert werden. Auf Anfrage des Projektteams entschied sich der Hersteller dazu, den Stoff zu einem günstigen Preis zu verkaufen.

Für gemeinsame Abendessen und Diskussionsrunden braucht es Möbel: Diese hat das Projektteam aus Schalungsplatten von DOKA entwickelt. Das Vertriebszentrum in Apolda unterstützte das Projekt, indem es gebrauchtes Material zur Verfügung stellte. Unter Anleitung von raumlabor fertigten die Studierenden in den Werkstätten vor Ort die leuchtend gelben Stühle, Tische und sogar eine Tischtennisplatte aus dem gesponserten Material an. Diese Elemente sollen zukünftig für Panels, Gespräche und das Zusammenkommen auf dem Gelände dienen.

Apolda hat eine lange Geschichte und Tradition der Textil-Industrie. Bezug nehmend darauf, besuchten die Teilnehmer*innen das Werk von ReSales. TEX-AID/ReSales betreibt an diesem Standort eine der größten Altkleider-Sortieranlagen Deutschlands und ist Teil der europaweiten Organisation für das Sammeln, Sortieren und Verwerten von gebrauchten Stoffen. Die Sortierung der Alttextilien spielt eine entscheidende Rolle für ihren ökonomischen und ökologischen Wert. Das Unternehmen spendete dem Projekt 300 kg aussortierte Blauware. Aus den Jeans ist über den Workshop-Zeitraum ein Teppich geflochten worden, der zukünftig, ähnlich zum Mobiliar, als erweiterte Sitz-, Liege- und Austauschfläche dient.

Mit dem Bus von der Baustelle bis zum Bahnhof

Neben dem Programm in der Open Factory sind die Exkursionen rund um Apolda, in denen die IBA-Projekte nähergebracht werden, ein wichtiger Bestandteil aller Foren. Wir haben unter anderem das Werkhaus in Saalfeld-Beulwitz besucht. Ein in verschiedene Baukörper gegliedertes Gebäude aus Holz, das für das Quartier mit anliegender Geflüchteten-Unterkunft als soziale, kulturelle und integrative Infrastruktur benötigt wird. Hier entsteht mit Beteiligung der Anwohner*innen ein Begegnungsraum mit Küche, Werkstätten und Allzweckraum, der fast ausschließlich aus abgetragenem Material eines naheliegenden Abrisses gebaut wird. Die zweite Station war der Bahnhof Rottenbach: Hier wurde in Zusammenarbeit mit einer Genossenschaft das ehemalige Bahnhofsgebäude vor dem Verfall gerettet und zu einem Laden umgestaltet. Da auch die Anbindung an den öffentlichen Verkehr verbessert wurde, ist der Hofladen nun wichtiger Treffpunkt und Versorgungsbetrieb in einem. Mit den Führungen und Vorträgen der jeweiligen Projektbeteiligten war es uns als Besucher*innen möglich, die Strukturen dieser komplexen und zum Teil stark politisch-diskursiven Bau- und Verhandlungsprozesse zu verstehen.

Austausch und Aussicht

Der Bauworkshop sollte als eine Art Experiment dienen und den Ausgangspunkt für weitere Formate in der Open Factory in Apolda bilden. Zum Ende der Woche starteten die ersten Diskussionsrunden mit beteiligten Akteur*innen der Stadt und des Lebenshilfe-Werks. Es ging unter anderem um die Entwicklung des Eiermannbaus und die Initiierungsprozesse der IBA-Projekte in der Gegend.

Die weiteren Foren werden sich auf schwerpunktartige Diskussions-, Debatten- und Exkursionsformate konzentrieren und sich unter anderem mit Gemeinschaftsräumen, der Bauwende, Klimakulturen und regionalen Ansätzen beschäftigen. Das besondere Programm zum Abschluss eines fünfjährigen Entwicklungsprozesses bietet viel Potenzial für Entwicklung, Lerneffekte und Transformation in den eigenen Prozessen.