Das Synagogen-Projekt: Entwürfe für Gemeinschaft und Erinnerung
140 Studierende von vier deutschen Hochschulen haben Synagogen in Berlin und Hamburg entworfen und es sich so zur Aufgabe gemacht, einen zeitgenössisch angemessenen architektonischen Ausdruck jüdischen Lebens in deutschen Großstädten zu finden.
Eine gegenwärtig mit großer Intensität geführte Debatte ist der Wiederaufbau von zerstörten Synagogen in Deutschland. Die einstigen Sakralbauten werden wieder eröffnet, neu gebaut und bilden in vielerlei Hinsicht eine wichtige und äußerst sensible Bauaufgabe. Die Synagoge stellt die Heimat einer jüdischen Gemeinde dar, soll Raum für jüdisches Leben in der Stadt bieten und trägt nicht zuletzt zur Erinnerungskultur Deutschlands bei. Im Synagogen-Projekt stellten Architekturlehrstühle der Technischen Universität Darmstadt, Technischen Universität Dresden, HafenCity Universität Hamburg und der Bauhaus-Universität Weimar ihren rund 140 Studierenden die Aufgabe, Entwürfe für diese Räume zu entwickeln. Gegenstand der Bearbeitung waren die realen Vorhaben zum Wiederaufbau der Synagogen am Fraenkelufer in Berlin und am Joseph-Carlebach-Platz (ehemals Bornplatz) in Hamburg sowie eines jüdischen Gemeindezentrums an der Poolstraße – ebenfalls in Hamburg.
Drei Orte mit viel Diskurs
Im Februar 2021 beschloss die Hamburger Bürgerschaft einstimmig den Wiederaufbau der 1938 in der Reichspogromnacht zerstörten Hauptsynagoge am Bornplatz. Mit der Wiederherstellung des Sakralbaus soll die stetig wachsende jüdische Gemeinde eine neue, angemessene Präsenz in der Stadt erhalten. Und das auf einem Platz, auf dem ein Bunker und ein Holocaust-Denkmal stehen. So entbrannte um die Wiederherstellung der Synagoge am ehemaligen Hamburger Bornplatz bereits unmittelbar nach dem Beschluss ein Streit, der inzwischen mit zunehmender Intensität öffentlich geführt wird. Unweit davon entfernt wird auch am zweiten Bauplatz – der Ruine einer ehemaligen Synagoge in der Poolstraße – debattiert. Sie ist Nachfolger eines seit 1811 bestehenden Provisoriums namens „Erster Israelitischer Tempel“ und galt als die erste gebaute Reformsynagoge der Welt. Weniger umstritten erwies sich das Projektvorhaben für eine Synagoge in Berlin Kreuzberg am Fraenkelufer – dem dritten Standort für die studentischen Entwürfe. Die 1916 erbaute neoklassizistische Synagoge wurde ebenfalls 1938 zerstört. Hier gibt es bereits seit längerem Einsatz für einen Wiederaufbau. 2023 soll dort mit dem Bau begonnen werden.
Studentische Ideen als Beitrag zur Debatte
Das Synagogen-Projekt wird getragen von vier Lehrstühlen für Architektur: Beteiligt sind die TU Darmstadt mit Prof. Wolfgang Lorch, die TU Dresden mit Prof. Ivan Reimann, die Hafencity-Universität Hamburg mit Prof. Gesine Weinmiller und die Bauhaus-Universität Weimar mit Prof. Jörg Springer. Gemeinsam mit den Studierenden haben sie mit den Mitteln des architektonischen Entwurfs nach einem baulichen Ausdruck gesucht, der jüdischem Leben in Deutschland neuen Raum geben kann. Die entwickelten Entwürfe sollen als gezeichnete Beiträge verstanden werden, die den aktuellen Diskurs um anschauliche architektonische Bilder bereichern. Über Ausstellungen der Arbeiten und eine Publikation lässt sich das Thema der Allgemeinheit zugänglicher machen. Die Arbeit an den Entwürfen war in ein Rahmenprogramm aus Seminaren, Workshops und Vorträgen eingebettet. Lehrende und Studierende standen im stetigen Austausch mit Akteur*innen und Vertreter*innen der jüdischen Gemeinden. Die Impulse und Einblicke der Bauhaus-Gastprofessorin und Leiterin des Jüdischen Museums Frankfurt, Dr. Mirjam Wenzel oder des Rabbiners Edward van Voolen wirkten sich wesentlich auf die Entwürfe aus.
Der sensible Entwurf
Durch die intensive historische und baugeschichtliche Erforschung von Synagogen und ihrer Bedeutung sollten wichtige Grundlagen für die entwurfliche Arbeit erschlossen werden. Neben der Funktionserfüllung einer Synagoge ging es hierbei im Kern um die Suche nach dem architektonischen Ausdruck und des damit vermittelten Selbstverständnisses dieses Sakralbaus. Neben der Beschäftigung mit den zerstörten Bauten wurden zudem die aktuellen städtebaulichen Bedingungen analysiert. Gemeinsam mit den jüdischen Gemeinden haben die Studierenden und Lehrenden ein entsprechendes Raumprogramm erarbeitet. Besonders die kontroverse Debatte zum „Für oder Gegen“ einer Rekonstruktion der historischen Gestalt der Synagogen können die neu geschaffenen, bildhaften Eindrücke der studentischen Entwürfe relativieren und einen Umgang hiermit vorschlagen. Entstanden sind individuelle Ideen mit ganz eigenen architektonischen Lösungen für neue jüdische Gemeinde-, Bildungs- und Kulturzentren in Hamburg und Berlin.