Chancen durch Verzicht: Das Naturdorf Bärnau

Beton, industrielle Verbundstoffe, importierte und petrochemische Materialien – Die Liste der Dinge, auf die die Planenden der vier neuen Wohngebäude im Geschichtspark Bärnau-Tachov verzichten wollen, ist lang. Begleitet wird das experimentelle Projekt von einem Forschungsteam der Ostbayerischen Technischen Hochschule Regensburg (OTH).

Wohnen wie vor über 1.000 Jahren – Das soll im Geschichtspark Bärnau-Tachov bald möglich sein. Auf dem Gelände des Freilichtmuseums entsteht derzeit nach den Plänen von Schönberger Architektur ein kleines Wohnquartier, bestehend aus vier Fachwerkhäusern. Dabei handelt es sich um experimentelle Bauwerke, an denen verschiedene Konstruktionsmethoden und Baustoffe erprobt werden sollen. Das übergeordnete Ziel ist, mit Rückgriff auf historische Bautypen und traditionelle Handwerkstechniken ganzheitlich nachhaltige Gebäude zu schaffen. Errichtet werden die vier Häuser von Handwerksgesell*innen aus ganz Europa. Ein Forschungsteam der Fakultät Bauingenieurwesen der OTH Regensburg begleitet das Projekt aus wissenschaftlicher Perspektive. 


Nachhaltige Ansätze für ländliche Räume 

Laut einer Statistik des Bayerischen Staatsministeriums für Wirtschaft, Landesentwicklung und Energie leben Stand Dezember 2023 74,4 Prozent der oberpfälzischen Bevölkerung außerhalb der Ballungszentren. 93,5 Prozent der Fläche des Regierungsbezirks ist ländlicher Raum. In Städten erprobte Nachhaltigkeitsstrategien wie beispielsweise Nachverdichtung, Aufstockung oder Sharing-Konzepte funktionieren in ruralen Gegenden, wenn überhaupt, nur sehr begrenzt. Daher verfolgt das Forschungs- und Planungsteam mit dem Projekt das Ziel, neue ortsangepasste Strategien für den ländlichen Raum in der Oberpfalz zu entwickeln. Dafür wollen sie sich auf das tradierte Wissen und die lokalen Baumaterialien der Region zurückberufen.  

Wiederanknüpfen an eine vergessene Baukultur 

Blickt man zurück in die Vergangenheit, so fallen vor allem die vielen regionalen Unterschiede – teilweise sogar von Ort zu Ort – auf. In Regionen mit hohem Waldanteil finden sich etwa insbesondere Blockbauten und Holzschindeldächer, während in steinreichen Regionen Ziegelbauten und Steinplattendächer dominieren. Auch die klimatischen Unterschiede nehmen Einfluss auf das Aussehen der Häuser: In schneereichen, kälteren Gegenden etwa wurden flachere Dächer mit großem Dachvorsprung gebaut, damit die Schneedecke als Dämmung fungieren kann und die Fassade vor Niederschlag geschützt ist. Diese historischen Vorbilder sind also nicht nur von ihrer Umgebung beeinflusst, sondern auch in hohem Maße an sie angepasst. Mit der Industrialisierung des Bauens gingen viele Techniken und Kenntnisse verloren. Die Forschenden und Planenden sehen in diesen für regionaltypischen Bauweisen eine Chance, ökonomisch, ökologisch und sozial nachhaltiger zu bauen. 

Aus dem Labor auf die Baustelle 

Anstelle von industriell gefertigten Bauprodukten setzt man in Bärnau auf natürliche Materialien. Dies beginnt bereits beim Fundament: Anstelle von Stahlbeton kommen zum Beispiel Stampfkalk und Bruchstein zum Einsatz. Auf eine Perimeterdämmung aus XPS oder EPS wurde auch verzichtet. Stattdessen wurde Pflanzenkohle für den Bodenaufbau verwendet. Für die Holzbauteile wählte man Holz aus dem angrenzenden Wald. Die Wandaufbauten bestehen aus Hanf-Kalk und wurden mit einer Faserdämmung aus Hanf gedämmt. Sämtliche Bauteile wurden zunächst im Labor im Hinblick auf ihre Druckfestigkeit, Temperatur- und Feuchtigkeitsbeständigkeit, ihr Rissverhalten und weitere Eigenschaften analysiert. Sonden und Sensoren machen die Untersuchung im verbauten Zustand möglich.  

Die fertiggestellten Häuser sollen Feriengästen als Übernachtungsmöglichkeiten dienen und so die dahinterstehende Idee einer breiten Öffentlichkeit zugänglich machen. Außerdem soll in Kürze eine begleitende Publikation erscheinen, in der sämtliche Forschungsergebnisse zusammengefasst werden.