März / April 2020
Universität Stuttgart
Die Leere Indiens
Über Leerstände und Wiederverwendung
Universität Stuttgart
Master
23.10.2019
Prof. Markus Allmann
Städtebau
Vectorworks, Adobe Suite, Cinema
Eine Reise durch den Norden Indiens, eines der bevölkerungsreichsten und dicht bebautesten Ländern der Welt, die eine Dialektik des Leerstandes aufweist, brachte mich dazu, mich mit dem weltweiten Problem der Bevölkerungszunahme, Flächenausdehnung und Ressourcenknappheit zu befassen.
Das Projekt setzt genau da an, wo die Urbanisierung eine ihrer größten Auswirkungen erlebt. Die umliegenden Gebiete, die einer Abschwächung des sozioökonomischen Gebildes ausgeliefert sind, entwickeln sich zu unklaren Räumen, die die gültige Dichotomie von Zentrum und Peripherie aufheben lässt. Das Dorf Huka, unweit der Millionenstadt Ahmedabad, wurde noch nicht vom "urbanen Gewebe" (Henri Lefebvre) verschlungen, aber könnte bei unverändertem Verlauf bald davon eingenommen werden. Mein Projekt kann somit als eine Art Rettung der übrig gebliebenen Landstrukturen durch Förderung der inneren Kräfte wie der Gemeinschaft, dem Gemeinwohl, der Ökonomie bis hin zur Autonomie gesehen werden und als Gegenentwurf zu der fatalen globalen, politischen Anstrebung, die Urbanisierung mit rationalisierten und homogenisierten Stadt-Land-Erweiterungen zu verunreinen.
Das erste Projekt ist ein Bestandsgebäude, welches auf die Mauerrückstände aus Backstein aufbaut. Alte, nicht mehr verwendbare Backsteine werden klein geschlagen, pulverisiert, neu angemischt, zu neuer Form erstellt und als Stampflehm wiederverwendet. Die Nutzung beläuft sich auf einen offenen Arbeitsbereich + Werkstatt. Sie bieten für gewöhnlich im Eigenheim vergütete Tätigkeiten wie Gurte- und Körbeflechten, Zimmererarbeiten usw. Raum und ermöglichen gegenseitige soziale Unterstützung. Die Räumlichkeiten dienen dazu, die ortsansässigen Manufakturen und regionalen Strukturen zu stärken. Dieses Projekt ist thermisch abgeschlossen und als Flachdach ausgebildet. Es nimmt vernakuläre Bauweisen auf, die an neuartige Konditionen angepasst und erweitert werden.
Das zweite Projekt gilt als Neubau aus ebenfalls wiederverwendeten Backsteinen als Stampflehm mit innenliegenden Ziegelleisten als Erosionsschutz. Die Gebäudekomponente ergeben einen Wertstoffhof mit Lager- und Anwendungsfläche mit angrenzendem Café als sozialen Treffpunkt. Durch den sichtbaren Umgang von Abriss- und Umbaumaterialien wird das Bewusstsein der Bewohner hinsichtlich Ressourcen und Leerstand gestärkt. Dieser Ort dient zum Austausch, um die Vielfalt der vorhandenen Lösungen zu bewahren und zu informieren, welche Möglichkeiten die Kombination von traditionellem Wissen und zeitgenössischer Anwendungen bietet. Die Bauweise entstammt der lokalspezifischen Baukultur und ist als verschattetes, hinterlüftetes Gebäude realisiert.
Fortlaufend sollen weitere Leerstände genutzt, umgenutzt und Materialien wiederverwendet werden. Ziel ist es, dass die Bewohner dieses Dorfes schon bald durch ihr geschärftes Bewusstsein hinsichtlich dieser Thematik bekannt werden und damit auch weitere, umliegende Ortschaften zum Nachdenken und Handeln anregen.