#BookChat: Autoritäre Architektur

Vermeintliche Gewissheiten wie die Unmöglichkeit einer Rückkehr von Diktaturen in Europa erscheinen vor dem Hintergrund einer erstarkenden Rechten fraglich. Die Autor*innen dieser vier Bücher analysieren Geschichte und Gegenwart der Wechselbeziehung von Architektur und Politik.

Angesichts des Aufschwungs einer politischen Rechten, den viele westlich-liberal geprägte Demokratien derzeit erfahren, rücken zunehmend die gegenseitige Beeinflussung von Politik und Architektur beziehungsweise Städtebau in den Fokus aktueller Debatten. Die vier Publikationen, die wir euch in diesem #BookChat vorstellen möchten, beleuchten den komplexen Sachverhalt aus unterschiedlichen Perspektiven: zeitgenössisch, historisch und international.

Rechte Räume

Wer sich mit autoritärer Architektur beschäftigt, kommt an Stephan Trüby nicht vorbei. Im Frühjahr 2018 entfachte eine Debatte anlässlich eines Aufsatzes mit dem Titel „Wir haben das Haus am rechten Fleck“, den Trüby in der FAS (Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung) veröffentlichte. Der Autor zog darin gegen die kurz zuvor fertiggestellte historische Rekonstruktion der Frankfurter Altstadt ins Feld, die er als anschauliches Beispiel für rechte Architekturpraxis deklarierte. Ein Jahr später erschien die ARCH+ Ausgabe „Rechte Räume. Bericht einer Europareise“, an der Trüby mitgewirkt hat. Auch diese Publikation schlug hohe Wellen.

Das Buch „Rechte Räume“ versammelt teils viel diskutierte Essays und Gespräche des Autors in einem kompakten Band. Trüby geht der Frage nach, ob es eine architektonische und städtebauliche Agenda hinter der Politik zeitgenössischer rechtspopulistischer, rechtsradikaler, rechtsextremistischer und (neo-)faschistischer Kräfte gibt und wenn ja, inwieweit sich die sogenannte „Mitte der Gesellschaft“ zur unfreiwilligen Helferin macht. Die vorliegende Publikation zeichnet den politischen Diskurs nach und bildet eine Orientierungsgrundlage.


Faschismus und Architektur

1973 traf der Architekt, Hochschullehrer, Juror und Kritiker Max Bächer auf Albert Speer. Ein bisher unveröffentlichtes Protokoll, das Bächer nach dieser Begegnung handschriftlich angefertigt hat, bildet den Auftakt dieses Buches. Dieses Protokoll dient der Kunst- und Architekturhistorikerin Frederike Lausch als Ausgangspunkt, Bächers Beschäftigung mit der Architektur im Faschismus zu analysieren. Die Autorin verortet die Vorträge des Architekten und Publizisten aus den 1970er-Jahren im Kontext der damaligen Architekturströmungen. Auf den Spuren Bächers geht Lausch unter anderem seinen Fragen nach: Ist Klassizismus identisch mit Faschismus? Kann man bei Säulen, Bögen oder Achsen von „gut“ oder „böse“ sprechen? Ein umfangreicher Abbildungsteil versammelt abschließend Zeitungsartikel, Vortragsmanuskripte, handschriftliche Notizen, Briefe und Dias, die der Autorin als Grundlage für ihre Untersuchungen dienen. Allein dafür lohnt sich schon ein Blick in dieses Buch, das auch als Open Access verfügbar ist.

Städtebau für Mussolini

Hundert Jahre nach der Ernennung Benito Mussolinis zum Ministerpräsidenten Italiens im Herbst 1922 und dem damit einhergehenden Beginn einer zwanzigjährigen faschistischen Diktatur, legt der Verlag DOM Publishers eine erweiterte Neuauflage des lange vergriffenen Werks „Städtebau für Mussolini“ vor. Auf über 500 Seiten haben der Architektursoziologe und Stadtplaner Harald Bodenschatz und seine vier Mitautor*innen umfangreiches Material zum Städtebau in Italien zwischen 1922 und 1943 zusammengetragen.

Die Autor*innen zeichnen in dem Buch die Entwicklung der städtebaulichen Debatten, geplanten, gebauten und zum Teil wieder verworfenen Projekte sowie die Auseinandersetzung mit der Moderne in den verschiedenen Phasen des Mussolini-Regimes nach. Dabei fokussieren sie sich zunächst auf den Großraum von Rom, nehmen aber auch andere Städte Italiens und der italienischen Kolonien in den Blick. Die zweite Auflage enthält neben einem neuen einführenden Kapitel ein weiteres, das das Verhältnis städtebaulicher Fachleute im Dreieck Italien, UdSSR und Deutschland anreißt. In einem ähnlichen Format hat Bodenschatz außerdem die Bücher „Städtebau unter Salazar“ und „Städtebau als Kreuzzug Francos“ mitherausgegeben, in denen der Blick auf Spanien und Portugal gerichtet wird.  

Architecture as propaganda in twentieth-century totalitarian regimes

Bei diesem Buch handelt es sich um einen Sammelband in englischer Sprache, der von Håkan Hökerberg herausgeben wurde. Die Publikation ist das Ergebnis der gleichnamigen Konferenz, die im April 2015 am Swedish Institute in Rom abgehalten wurde. Die vierzehn Autor*innen – darunter auch Harald Bodenschatz – geben einen Überblick über historische Hintergründe totalitärer Regime im Europa des 20. Jahrhunderts und deren Einflüsse auf Architektur und Städtebau zu dieser Zeit. Dabei wird auch der zeitgenössische Umgang mit dem baulichen Erbe thematisiert. Ein Großteil der Beiträge ist der Architektur im italienischen Faschismus gewidmet, es gibt aber auch jeweils einen Text über die Nachkriegsarchitekturen Spaniens und Jugoslawiens. Die unterschiedlichen methodischen Zugänge wechseln sich zwischen Analysen und kritischen Kommentaren ab, in manchen Beiträgen werden auch Vorschläge für einen anderen Umgang mit dem baulichen Erbe angeboten. Die unterschiedlichen Ansätze der Erinnerungskulturen in den heutigen Nachfolgestaaten sind ein zentrales Thema dieses Buches.