Drei Fragen an: Moritz Maria Karl

Moritz Maria Karl befasst sich in seiner Gastprofessur am Lehrstuhl für „Sustainable Urbanism“ damit, wie wir den Begriff der Nachhaltigkeit neu denken können. Zum Wintersemester 2022/23 steht das allgegenwärtige Thema Energie und Wärme im Mittelpunkt seiner Lehre und Arbeit.

Sie haben zum Wintersemester 22 eine Gastprofessur am Lehrstuhl „Sustainable Urbanism” an der Technischen Universität Berlin angetreten. Wie definieren Sie Nachhaltigkeit an Ihrem Lehrstuhl? Welche Rollen spielen ökologische und soziale Aspekte?

Den Begriff „Nachhaltigkeit“ verstehen wir in erster Linie als Aufruf zum aktiven Handeln gegen die Klimakrise. Die sehr trockenen Sommer der vergangenen Jahre, die Flut im Ahrtal und die hohe Sterberate von Fichten und Kiefern in den vergangenen Jahren zeigt, dass die Folgen der Erderwärmung auch in Mitteleuropa spürbar werden. Die realen Herausforderungen der Klimakrise werden in den nächsten Jahren stetig weiter steigen und wir müssen uns jetzt ganz konkret mit den planerischen Herausforderungen befassen und Landschaftsräume umbauen. Anstatt weiter „nachhaltige“ Neubaugebiete und Einfamilienhäuser zu planen, sollten wir uns fragen, wie man räumliche „Klimaschutzzonen“ entwickelt und Landschaften in Kohlenstoffspeicher transformiert. Gleichzeitig stellt sich auf städtischer Ebene die Frage, wie eine sozial- und ressourcengerechte Bauwende organisiert werden kann.

In gewisser Art und Weise stellt der Begriff „Nachhaltigkeit“ in einer Klima- und Energiekrise Architekten*innen und Stadtplaner*innen meiner Generation natürlich vor ein Dilemma. Die Herausforderungen sind so komplex, dass diese nicht durch eine einzige Profession „gelöst“ werden können, gleichzeitig wird der Umbau von Landschaftsräumen und eine ressourcengerechte Bauwende die Tätigkeit unserer Profession in den nächsten Jahrzehnten bestimmen. Am Lehrstuhl „Sustainable Urbanism“ thematisieren wir dieses Dilemma mit den Student*innen und versuchen Klimaforschung so zu kommunizieren, dass die Zusammenhänge von globalen Prozessen und lokalen Klimafolgen für junge Architekt*innen verständlich werden. Wir unterstützen die Student*innen dabei, eine Sensibilität und Bewusstsein für diese Themen zu entwickeln und daraus eine eigene Haltung zu bilden. Es ist uns wichtig, dass wir der nächsten Generation das Vertrauen entgegenbringen, dass diese die komplexen Herausforderungen der nächsten Jahrzehnte mit Kreativität, kritischem Denken und Innovation annehmen kann. Die Gestaltung der klima- und ressourcengerechten Stadt muss in einem Dialog ausgehandelt und organisiert werden. Aus diesem Grund verfolgen wir eine offene Lehre, basierend auf dem Prinzip der Selbstorganisation und gemeinschaftlichen Arbeiten. Wir denken, dass dadurch Antworten auf komplexe Fragen gefunden werden können und sehen dies als Grundlage für die Gestaltung einer sozialgerechten Zukunft.

Als erstes Thema beschäftigt sich ihr Fachgebiet tagesaktuell mit dem Thema Energie. Als Ausgangspunkt dient der menschliche Körper. In welchen Maßstäben bearbeiten und denken Sie und Ihre Studierende die Thematik?

Die Bilder der „autofreien Sonntage“ während der ersten Ölkrise vor fast genau 50 Jahren waren Ausdruck einer kollektiven Anstrengung und Zeugnis einer „unmöglichen“ Umnutzung von Infrastruktur. Ohne die Ölkrise wäre das, wenn auch nur tageweise, Spazierengehen oder Fahrradfahren auf einer Autobahn nicht möglich gewesen. Wir hatten uns gefragt, ob die jetzige Energiekrise wieder eine Möglichkeit ist, Infrastruktur und Gebäude anders zu denken und zu nutzen und welche Chancen sich aus der Krise für eine Energiewende ergeben. Besonders interessant finden wir in diesem Zusammenhang die kulturelle Ebene von Energie zu untersuchen und dadurch über neue Modelle der Energienutzung und -produktion nachzudenken.

Wir dachten, es wäre spannend, diese Untersuchung nicht auf der Ebene des Energieträgers, sondern auf Ebene des Energieempfängers, dem menschlichen Körper, zu beginnen. Wir alle sind von den Einsparmaßnahmen betroffen und können dadurch ganz konkret untersuchen, welche Prozesse in unserem Alltag besonders energieaufwändig sind und wie man diese neu denken kann. Aufgrund der Gasknappheit betreffen die derzeitigen Einsparmaßnahmen besonders den Gebäudesektor und öffentliche Gebäude werden nur noch bis zu einer Raumtemperatur von maximal 19 Grad beheizt. Die Vorstellung, dass wir mit Winterjacke und Schal an einem theoretischen Entwurfsprojekt in kalten Übungsräumen arbeiten, fanden wir seltsam und haben uns gefragt, wie wir in der Lehre einen aktiven Beitrag zur Energieeinsparung leisten können. Momentan untersuchen die Student:innen mögliche Energieeinsparungen im Architekturgebäude der TU Berlin auf den Ebenen Körper, Raum und System.

Dass andere Modelle der Energieproduktion und Teilhabe möglich sind, durften wir zum Beispiel bei einem Besuch im E-Werk Luckenwalde lernen. 2019 wurde das ehemalige Braunkohlekraftwerk wieder an das Stromnetz angeschlossen und produziert heute nachhaltigen „Kunststrom“. Die Erlöse aus dem Stromverkauf fließen in die Förderung neuer Kunst- und Kulturprojekte und als ein öffentliches Kunstzentrum mit wechselnden Ausstellungen und Veranstaltungen wird auch aktiv Stadtleben produziert.

Die Untersuchungen der Student*innen sind weniger technisch und mehr kulturell und zeigen, dass wir die bestehenden Systeme stärker hinterfragen müssen und es möglicherweise sehr viel ungenutzte Potenziale gibt. Ich denke, es ist wichtig jetzt aktiv zu werden und zu versuchen einen Beitrag zu leisten, wie groß oder klein dieser auch ist. Ich bin gespannt zu sehen, ob und welche Bilder einer kollektiven Anstrengung im Winter 2022 und 2023 entstehen könnten.

Sie sind studierter Architekt – und arbeiten neben Ihrer Gastprofessur als „project based-urban design consultant“ in verschiedenen Feldern und kollaborieren dabei transdisziplinär. Was bedeutet das? Wie würden Sie die Zukunft des Berufes Architekt*in beschreiben? 

Ich habe zuerst Architektur am KIT in Karlsruhe und danach Urban Design an der Bartlett School of Architecture in London studiert. Ich verstehe Architektur weniger als das Bauen von Gebäuden, sondern vielmehr als das Gestalten von Lebensräumen für Menschen. Mich interessiert es Räume für Menschen zu gestalten, welche klima- und ressourcengerecht entwickelt sind und dadurch eine besondere Atmosphäre und Aufenthaltsqualität besitzen. Ob diese Räume Landschaftsräume, Stadträume, Innenräume, temporär oder permanent sind, ist zweitrangig. Das Gestalten von Raum ist auch nicht gleichzusetzen mit dem Bauen von Raum. Hier finde ich, dass der deutsche Begriff des „Städtebaus“, welcher das Wort Bauen beinhaltet, hinterfragt werden sollte. Urban Design ist als Begriff wesentlich offener definiert und lässt dadurch eine eigene Interpretation zu.

Das projektbezogene Arbeiten ist spannend, da es ermöglicht, mit Künstler*innen, Architekt:innen, Landschaftsplaner*innen oder Designer*innen in einem fest definierten Zeitraum eine konkrete Frage zu untersuchen und in jedem Projekt den Kontext und den Maßstab neu zu definieren. Was alle Projekte eint, ist die Frage, wie eine ressourcen- und sozialgerechte Zukunft gestaltet werden kann.