Post-Colonial Material Ecologies: Ein Workshop in Kamerun

Was bedeutet der Begriff „Situiertheit“? Wie lässt sich Materialität neu denken? Studierende aus Wien und Leuven und Nkongsamba arbeiteten mit einem Team aus Kamerun an dem architektonischen Ansatz für einen interdisziplinären Kunstraum.

Die ökologische Krise hat die Architekturlehre in den letzten Jahren stärker auf das Thema Material gelenkt. Für unsere diesjährige gemeinsame Professur für Architekturtheorie und Entwurf an der Akademie der bildenden Künste Wien haben wir uns mit der kolonialen und postkolonialen Dimension von Materialien beschäftigt. Materialität ist ein vielschichtiges Feld, das nicht nur Materialeigenschaften und Nutzungsmöglichkeiten umfasst, sondern auch Wahrnehmungen, Geschichten und kulturelle Prägungen. Das Neu-Denken von Materialität aus dem Blickwinkel von Theorie und Entwurf erfordert planetarische Perspektiven, die den globalen Süden einbeziehen.

„Situierte“ Architektur als interdisziplinäres Projekt

Der Workshop „Situated Architecture and Post-Colonial Material Ecologies“, der vom 6. bis 15. April 2025 in Nkongsamba, Kamerun, stattfand, war Teil dieses Schwerpunkts. Gemeinsam mit dem Künstler Guy Woueté und dem Künstler und Kunsthistoriker Roméo Fandio Ngahane leiteten wir das Programm, das sich an Studierende des IBA Nkongsamba, der Akademie der bildenden Künste Wien und der KU Leuven richtete.

Ausgangspunkt des Workshops war es, über eine „situierte“, kontextgebundene Architektur für das von Guy Woueté initiierte WAKA studio in der Kommune Penja, Region Littorale, Kamerun, nachzudenken. Woueté plant, diesen Raum in den kommenden Jahren als interdisziplinären, lokalen und internationalen Kunstraum zu etablieren. „Waka“ ist ein kamerunisch-englischer Pidgin-Begriff, der von „Wanderschaft“ bis „Prostitution“ reicht – eine Metapher kontinuierlicher Veränderung. Das WAKA Studio versteht sich daher nicht als fertiger architektonischer Komplex, sondern als Prozess. Dieser Prozess soll in Zusammenarbeit mit Künstler*innen, Studierenden, Bewohner*innen und Vertreter*innen der Kommune dekoloniale Narrative, Bilder und Lebenswelten entwickeln.

Deep Dive – ein umfänglicher Input

Der Workshop untersuchte die Potenziale postkolonialer Materialität experimentell. Ziel war es, die durch die Kolonialzeit verstärkten Gegensätze – modern und traditionell, organisch und industriell, lokal und transnational – zu überwinden. Den Auftakt bildete eine Konferenz mit Beiträgen zur traditionellen, kolonialen und zeitgenössischen Architektur der Region. Dabei wurden verschiedene Perspektiven auf die Situiertheit, die Ökologie und die Materialität von Architektur präsentiert. In den folgenden Tagen besuchten wir die Gemeinden Penja und Njombé, um den Ort, seine Praktiken und seine materiellen Beziehungen zu erforschen. Unsere Aufmerksamkeit galt Plantagen, Gebäuden und Infrastrukturen kolonialen Ursprungs sowie aktuellen Bauformen und Siedlungsstrukturen. Gespräche mit einem Plantagenbesitzer, einem Chief und anderen Ortsansässigen brachten teils widersprüchliche Ansichten, Erinnerungen und Erkenntnisse zutage.

Experimentelle Annäherungen mit vorgefundenen Materialien

In der zweiten Hälfte des Workshops reflektierten wir das Beobachtete und setzten es in Modellbauten um. Zunächst hielten die Studierenden lokale Materialien, Strukturen und Pflanzen zeichnerisch fest. Aus dieser Sammlung destillierten sie Themen wie „passive Klimatechniken“, „Vegetation“, „Geschichte und Traditionen“ und „robuste Bauweisen“. Anschließend entwarfen sie räumliche Konstruktionen mit Materialien aus der Umgebung des Campus. Diese Modelle sollten die Materialität des WAKA Studios als situierte Architektur erfassen. Die Ergebnisse waren symbolisch und formal orientierte Strukturen, die auf den vorgefundenen Materialien basierten. Sie stellten keine konkreten Architekturen dar, sondern experimentelle Annäherungen an eine ökologische Materialität im postkolonialen Kontext.

Materielle und symbolische Werte des Ortes

Im Zentrum des Workshops stand der Dialog und die gemeinsame Entwicklung neuer Denkansätze. Wir diskutierten Positionen zur „Situiertheit“ – ein Begriff, der den Ort als hybrid begreift und Materialien umfasst, die vor Ort vorhanden, aber nicht zwingend lokalen Ursprungs sind. Neben dem Materiellen können Erinnerungen und Symbole eine Rolle spielen. Die Architektur des WAKA Studios zu kontextualisieren, bedeutete, von den heterogenen und dynamischen Besonderheiten der Region zu lernen. So kann eine Suche nach neuen Synthesen beginnen, die das gewaltvolle Erbe kolonialer Architektur, Materialität und Ressourcenausbeutung adressiert und überwindet.