Aufgemöbelt: Der Designkurs „Faserland“

Neue Materialien und ihre Möglichkeiten stimulieren die Fantasie von Innenarchitekt*innen. In Halle (Saale) hat ein Studio sich diesen Umstand zunutze gemacht.

Im Sommersemester 2023 begann für die Studierenden von Prof. Klaus Michel und seinem künstlerischen Mitarbeiter Jacobo Cuesta Wolf an der Burg Giebichenstein Kunsthochschule in Halle (Saale) ein kreativer Ausflug in das „Faserland“. Die Professur für Innenarchitektur und mobile Einrichtungen stellte die Aufgabe, ein bestehendes Möbelstück mit neuartigen Biofaserplatten zu reinterpretieren. Die sogenannten „FunderPlan“-Platten sind ein Produkt der österreichischen Firma Fundermax, die mit dem Designstudio kooperierte und den Werkstoff kostenfrei zur Verfügung stellte. So konnten die angehenden Designer*innen die gestalterischen Möglichkeiten des Materials, das bislang nur im Bau Verwendung fand, auch für Innenausstattungsobjekte erkunden.

100 Prozent Bio

Holzwerkstoffe im Möbelbau sind kein Novum. Seit Jahrzehnten kommen sie dort zum Einsatz, ein Beispiel hierfür sind mitteldichte Holzfaserplatten, vielen besser bekannt als MDF. Diese Form der Verarbeitung erlaubt es, Bäume komplett mit Ästen und dem Stumpf zu verwerten. Das klingt zunächst sehr nachhaltig, bis dato musste die Holzmasse allerdings mit Bindemitteln, die auf petrochemischen Produkten basieren, versetzt werden. Fundermax entwickelte ein Verfahren, das den im Holz enthaltenen Stoff Lignin als Bindemittel durch Zugabe von Hitze und Wasser aktiviert. Dadurch sind die „FunderPlan“-Platten zu 100 Prozent biologischen Ursprungs.

Die Werkzeuge

Die Studierenden sollten sich zunächst ausgiebig mit dem Werkstoff beschäftigen und sich ihm durch unterschiedlichste Bearbeitungsmethoden nähern. Auf diese Art und Weise sollte die grundlegende Gestaltungsidee gefunden werden. Das Material ist durch Erhitzen verformbar und durch seine hohe Dichte ideal zum Fräsen von kleinteiligen Geometrien geeignet. Als Werkzeuge standen den Kursteilnehmer*innen eine 4-Achsfräse und ein Shaper bereit.

8 mm Möglichkeiten

Zurzeit sind die Platten lediglich in acht Millimeter Stärke erhältlich. Diese Beschränkung erwies sich als eine Herausforderung und kreative Chance zugleich. Nach der freien Wahl von existierenden Möbelstücken zur Überarbeitung zwang dieser Umstand automatisch zu einer Neuschöpfung der Form. Zudem war es den Studierenden erlaubt, zehn Prozent fremdes Material in ihren Entwurf einzuplanen – dabei herrschte ebenfalls völlige Freiheit. Weder Gewicht noch Volumen noch die CO₂-Bilanz des Zusatzstoffes standen zur Diskussion. Nicht erwünscht war allerdings die Verwendung des Internets in den ersten vier Wochen des Kurses. Nichts sollte von der Tuchfühlung mit dem Material ablenken.

Gesteckt, geklemmt, gewoben und aufgebrüht

Als finales Ergebnis entstand so eine ganze Bandbreite von Möbelstücken. Es zeigte sich eine überaus vielfältige Einsetzbarkeit der Biofaserplatten: Isabell Bilfinger interpretiere das bekannte „BILLY-Regal“ von Gillis Lundgren neu als Flatpak-Steckmöbel, das ohne weitere Werkzeuge zu montieren ist. Aus dem gleichen Prinzip leitete sie ihren zweiten Entwurf für eine Sitzbank ab. Judith Burgards „Instant“-Möbelserie lässt sich, wie der Name bereits assoziativ suggeriert, durch das Aufbringen von heißem Wasser aus Schnittmustern am Aufstellort in Form bringen. Christiane Wöhrmann fertigte ein modulares Kistensystem an. Die Nutzer*innen können dieses sowohl als Stauraum als auch zum Sitzen verwenden. Jeahwon Lees Entwurf auf Basis eines Couchtisches kann ebenfalls durch Stecken zum Stauraum umfunktioniert werden. Wer sich auf dem Sessel „NAIT“ von Pepe Nitz niederlässt, sitzt auf verwobenem dünnem „FunderPlan“. Äußerste Stabilität erreichen der Stuhl und der Hocker von Emilia Kopp durch die Kombination aus geraden und gebogenen Schichten des Materials. Die Potenziale von dreieckigen, zusammengesetzten Profilen erforschte Camille von Gerkan in ihrem Bank-Entwurf. Mira Wagners filigran wirkender Esstisch beweist kühn die Stabilität des Werkstoffes: Die acht Millimeter dünne Tischplatte ist nur durch ein Grid aus Plattenstreifen an der Unterseite gestützt. In dieses werden wird die feine Stahlunterkonstruktion direkt eingeklemmt. Luisa Charlotte Gassmann hat dem Material zwei unterschiedliche Möbel-Charaktere abverlangt: Zum einen mit dem kubischen „Panel-Chair“ – der seine Herkunft aus Plattenmaterial kantig zelebriert. Zum anderen mit den ergänzenden „Tavolini“-Beistelltischen, deren Tischplatten auf weich abgerundeten tonnenartigen Körpern ruhen, die durch das sogenannte „Kerf Spacing“ -Verfahren gebogen sind.