Kann man Schönheit lehren? Eine Konferenz über Defizite und Chancen in der Städtebauausbildung

Die „Konferenz zur Schönheit und Lebensfähigkeit der Stadt“, die das Deutsche Institut für Stadtbaukunst am 7. und 8. Mai 2024 zum 14. Mal organisierte, polarisiert die Branche. Eine differenzierte Analyse des Kontexts und einzelner Positionen.

Der Artikel erschien erstmals in der BAUNETZWOCHE #646 „Gute Reise. Über Tourismus und Übertourismus“.

Die vom Deutschen Institut für Stadtbaukunst der TU Dortmund im Jahr 2010 initiierte „Konferenz für Schönheit und Lebensfähigkeit der Stadt“ bekommt seit Jahren viel Kritik. Konservative Haltungen, eine realitätsferne Auffassung von Stadtplanung, „Mäcklers harte Runde“ heißt es in Fachkreisen. Dennoch folgten auch diesmal wieder hochrangige Vertreter aus Planung, Verwaltung und Standespolitik der Einladung in die Düsseldorfer Rheinterrassen. Die 14. Ausgabe widmete sich der Fachkompetenz und städtebaulichen Ausbildung.

„Deutschland war noch nie so wohlhabend, seine Stadträume aber noch nie so armselig“, hieß es in der sogenannten „Kölner Erklärung zur Städtebauausbildung“, die eine Gruppe von neun Planern um Prof. Christoph Mäckler, Prof. Wolfgang Sonne und Prof. Jörn Walter im Jahr 2014 veröffentlichte. Sie beklagte die mangelhafte städtebauliche Ausbildung an den Universitäten und forderte städtebauliches Gestalten vom gesamtstädtischen Maßstab bis zum konkreten Stadtraum zum Sockel der Lehre zu machen. 

Der Widerspruch aus der Fachwelt ließ damals nicht lange auf sich warten. Unter dem Titel „100 % Stadt“ riefen andere namhafte Planer*innen, darunter Frauke BurgdorffProf. Philipp OswaltProf. Christa Reicher und Prof. Jörg Stollmann dazu auf, Städtebau im größeren Zusammenhang zu betrachten und „nicht auf Traufhöhe und Fassadenmaterial und -farbe zu reduzieren“. Es sei notwendig, Teilhabe und Verantwortung für die Stadt zu organisieren. Die Anpassung an den Klimawandel erfordere eine behutsame Balance aus gebauten und freien Räumen. Sie verlange eine verträgliche Mischung von Funktionen mit möglichst kurzen Wegen. 

Beide Papiere provozierten damals eine Debatte über Stadt und Stadtgestaltung – aus dem Elfenbeinturm herausgefunden hat diese bisher jedoch nicht. Und obwohl die Auswirkungen des Klimawandels und die wachsende soziale Spaltung die Städte immer lauter zum Handeln drängen, stellt die Konferenz nach wie vor die gleichen Fragen: Welche Rolle spielt Gestaltung in den immerhin 50 Städtebau-Ausbildungsstätten in Deutschland? Welche Fachleute brauchen die kommunalen Verwaltungen, um qualitätsvollen Städtebau zu ermöglichen? Ist der Begriff Stadtbaukunst überhaupt noch zeitgemäß?

Das alles wollte Konferenzinitiator Christoph Mäckler diskutieren, der die mehr als einhundert Planungsdezernentinnen und Baudirektoren, Architekten und Stadtplanerinnen, Hochschullehrer und Studierende Anfang Mai in den Düsseldorfer Rheinterrassen mit der Routine eines Bürgermeisters begrüßte. Seine Position ist bekannt. Seit Jahren veröffentlicht er Bücher über die Elemente der europäischen Stadt. „Unseren Stadtquartieren fehlt die ‚private‘ Stadt mit ihren Hof- und Gartenräumen“, konstatierte er in seinem Vortrag und erklärte, welchen Einfluss diese auf soziale und ökologische Aspekte im Städtebau haben.

Natürlich sehen das viele anders. Einige der Inputs und Debattenbeiträge der zweitägigen Konferenz wirkten aber eher wie ein routiniertes rhetorisches Pingpong als wie die Suche nach einer Antwort. Obwohl das Programm in Stimmen aus den Hochschulen, Städten und Planungspraxis geclustert war, flossen die Betrachtungsebenen ziemlich wild durcheinander, gelang es den Moderator*innen nicht zu fokussieren. Immerhin glänzten fast alle Redner*innen durch disziplinierte Zeiteinhaltung und weitgehend floskelfreie Wortwahl.   

Mitveranstalter Wolfgang Sonne, Professor an der TU Dortmund, betonte, dass trotz vieler Beteiligungsformen und Klimaanpassungen die Gestaltung nicht aus dem Blick geraten dürfe. BAK-Präsidentin Andrea Gebhardt wiederum argumentierte, dass der Stadtumbau eben auch mit Klimafragen einhergehe. Die Berliner Senatsbaudirektorin Petra Kahlfeldt forderte mehr Entwurf und Stadtgestaltungsdebatte innerhalb ihrer Verwaltung und bemängelte, dass dort kaum skizziert oder gezeichnet werde.

Jörn Walter, Hamburgs Oberbaudirektor a.D., bezweifelte, dass die räumliche Qualität wirklich eine Sicherheit für soziale Stabilität sei und sein Nachfolger Franz-Josef Höing kritisierte, dass man in seiner Praxis nur noch über Zahlen, nicht aber über Stadtgestaltung rede. Jörg Leeser, Professor an der Peter Behrens School, konterte Mäcklers Rufe nach schönen Räumen subtil mit Fotos von öffentlichen Toiletten in der Kölner Innenstadt. Die Düsseldorfer Planungsdezernentin Cornelia Zuschke teilte ihre Redezeit mit zwei Studierenden von der RWTH Aachen, die ihrem Büro der „lebende Beweis“ für gut ausgebildete junge Menschen seien. Später merkte jemand an, dass die Absolventen nur Neubau könnten, die Aufgaben im Städtebau aber im Bestand lägen.

Eine Definition allerdings, was denn die Begriffe Städtebau, Stadtplanung und Stadtbaukunst nun eigentlich heute bedeuten, blieben fast alle schuldig. Lediglich Andreas Garkisch, Professor an der Bauhaus-Universität Weimar, warnte vor den neuen Rechten, die extrem clever den Wortkanon der Stadtplanung (Heimat, Handwerk, Identität und Erbe) besetzten.

Und so geriet der Beitrag von Andreas Hild, Professor an der TU München, vielleicht eher unfreiwillig zum Höhepunkt der Konferenz. Hild nämlich suchte nach Gründen für den geringen Stellenwert der Stadtbaukunst und die vielen Unschärfen in der Städtebaulehre. Er benannte fakultäts-, hochschul- und kulturpolitische Gründe dafür, dass Stadtbaukunst nicht systematisch unterrichtet werde, sondern eher eine Idee von abstrakter Raumplanung. In den chronisch unterfinanzierten Universitäten, deren Mittel teils über Studentenzahlen zugewiesen werden, herrsche eine Angst vor Spezialisierung und der Glaube, Vielfalt wäre ein Ziel. Architekten wiederum seien nicht in der Lage, ihre Leistung gut zu erklären und flüchteten deshalb ins Abstrakte. Die Tatsache, dass wir uns nicht entscheiden wollen, so Hild, führt zu einer undifferenzierten Offenheit und nicht zu einer fruchtbaren Beschränkung. Das mache den Städtebau, wie ihn Christoph Mäckler versteht, noch nicht einmal an einer durchschnittlichen Fakultät mehrheitsfähig.

Daraufhin analysierte Hild das Dilemma der Architekt*innen. Unterschiedliche Interessen führten zu einem komplexen, sich selbstverstärkenden System, dessen Protagonisten glaubten, das Richtige zu tun, aber oft untaugliche Ergebnisse hervorbringen, so Hild. Architekten argumentierten zwar kollektiv, agierten aber individuell. Sie seien nicht ausreichend präsent an den Hochschulen und nicht ausreichend politisch. Statt Mehrheiten für eine spezialisierte Prägnanz zu organisieren, bewegten sie sich lieber – im Sinne der Freiheit der Lehre – in eine undifferenzierte Breite. Abstrakte Auffassungen seien einfacher zu kommunizieren. Niemand wolle etwas Böses, doch alle seien Teil des Problems.