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Space and Species

Architektur in Beziehung von Mensch und Tier

Editorial

Architektur in Beziehung von Mensch und Tier

von Katharina Lux

Zur Flora und Fauna dieser Erde haben wir Menschen ein komplexes Verhältnis. Indem wir andere Lebewesen ihres natürlichen Lebensraumes berauben, zwingen wir sie dazu, sich unseres anzunehmen. Somit werden Dächer, Parks, Friedhöfe, Hinterhöfe und Bauruinen zu Biotopen und unsere gebaute Umwelt zum Habitat von so manchem wilden Tier. Wir Menschen stellen den Tieren gezielt Raum zur Verfügung, um sie entweder zu steuern oder zu nutzen – sei es für ihr eigenes Wohl, unsere Lebensmittelversorgung oder Unterhaltung. Gleichzeitig ist klar, dass die bauliche Veränderung dieser Welt weitreichende Konsequenzen für Klima und Artenvielfalt trägt. Bei der Suche nach ökologischen Lösungen für die Krisen unserer Zeit kommen wir um den aufmerksamen, sensiblen Umgang mit den weiteren Lebensformen unserer Erde nicht vorbei.

Welche Formen von Architekturen für Tiere gibt es, und wie werden sie von den Lebewesen angenommen? Wie können wir planerisch ein Miteinander oder gar eine Symbiose mit der Natur erzeugen?

In dieser Ausgabe werfen wir anhand ausgewählter Projekte und Lehransätze einen Blick auf die unterschiedlichen Beziehungen von Mensch und Nicht-Mensch in unserer baulichen Umgebung. Inwiefern Wildnis nachgebildet werden kann, zeigt das Institut für Zooarchitektur an der Hochschule Anhalt. Prof. Natascha Meuser gründete 2020 das Fachgebiet mit dem Ziel, eine neue Architekturwissenschaft zu etablieren und die Baukultur im Zoo zu fördern, um dort ein moralisch vertretbares Mensch-Tier-Verhältnis zu schaffen. Und wie sehen Räume für kleine Nutztiere aus? Studierende der TU Kaiserslautern unter Leitung von Jun.-Prof. Max Otto Zitzelsberger näherten sich im Sommersemester 2020 dem Thema Bienensterben von der Gestaltungsseite an und erforschten die Bedeutung von Bienen für die Landwirtschaft und Artenvielfalt. Hingegen mit einer Spezies, die eher ein parasitäres Image in unseren Städten prägt, haben sich Studierende der TU Braunschweig am Institut für Architekturbezogene Kunst IAK von Prof. Folke Köbberling beschäftigt und im Rahmen eines Reallabors Entwürfe für Taubenschläge umgesetzt. Viel weniger um den konkreten Bau, sondern um die Beziehung von Mensch im gesamten Ökosystem geht es am Lehrstuhl „Cohabitation“ von Prof. Benjamin Foerster-Baldenius an der Städelschule in Frankfurt. Wir durften mit ihm über sein Lehrkonzept an der Kunsthochschule und die Notwendigkeit einer Symbiose zwischen Mensch und Nicht-Mensch mit unserer gebauten Umwelt sprechen.

Nachbilden: Suggerierte Wildnis für Zootiere

Das Institut für Zooarchitektur an der Hochschule Anhalt in Dessau

Text von Natalie Pawlik

Andere Spezies üben auf Kinder und Erwachsene eine große Faszination aus. Beim Zoobesuch können wir Tiere beobachten, die wir in unserem Alltag nicht zu sehen bekämen. Zoologische Gärten müssen sowohl den Anforderungen der Besucher*innen als auch dem Wohl der darin ausgestellten Tiere gerecht werden. Dabei spielt die Architektur dieser Orte eine wichtige Rolle. 2020 gründete Architekturprofessorin Natascha Meuser an der Hochschule Anhalt in Dessau das Institut für Zooarchitektur. Zwei der erklärten Ziele des Instituts sind, eine neue Architekturwissenschaft zu akademisieren und die Baukultur als wesentliche Aufgabe des Zoos zu etablieren. Forschend, lehrend und beratend setzt sich Meuser dafür ein, durch Baukultur ein moralisch vertretbares Mensch-Tier-Verhältnis in Tierparks zu evozieren.


Zoos als Orte der Arterhaltung

Meuser begreift Zoos unter anderem als Orte der Wissensvermittlung, an denen wir auf unterhaltsame Art und Weise viel über unsere Umwelt lernen können. Außerdem seien sie wichtig für den Erhalt der Artenvielfalt, so die Professorin. Zahlreiche Arten gibt es in freier Wildbahn nicht mehr, sondern nur noch in der Obhut des Menschen. Diese gelte es, in möglichst naturnahen Bedingungen zu präservieren. Artenvielfalt, Naturschutz, Tierrechte und die möglichst naturnahe Unterbringung von Tieren in Aquarien und zoologischen Gärten spielen eine wichtige Rolle in ihrer Arbeit. Wie können Lebensräume geschaffen werden, die für Tiere ebenso abwechslungsreich und gesund sind wie das Habitat ihrer Artgenossen in der Wildnis? Mit dieser zentralen Frage beschäftigt sich Meuser in Forschung und Lehre.


Zwischen Tierwohl und Schaulust

Die intensive Arbeit mit Zoodirektor*innen und Mitarbeiter*innen habe Meuser gezeigt, dass Fragen des Tierwohls und der Funktionalität im Vordergrund stehen. Darüber hinaus muss Zooarchitektur auch die Anforderungen der Besucher*innen erfüllen. Baukünstlerische und ästhetische Aspekte spielen also ebenso eine große Rolle. Darüber hinaus repräsentiert die Architektur eines Zoos das Verständnis einer zeitgemäßen Tierhaltung, die der jeweiligen Einrichtung zugrunde gelegt ist. Während sich manche Zoos mehr als Freizeiteinrichtung verstehen, sind andere dazu übergegangen, ihre Tierausstellungen dem Bildungsanspruch eines Museums anzupassen. Der Architektur kommt also eine vermittelnde Funktion zu – sie informiert Besuchende, um was für eine Art von Einrichtung es sich handelt.


Ein Archiv für Zooarchitektur

Meusers Arbeit am Institut umfasst auch die Erarbeitung einer historischen Chronologie und eines Archivs für Zoobauten. Die Professorin differenziert zwischen fünf Generationen der Zooarchitektur. Erste Beispiele für eine eigenständige Typologie finden sich Meuser zufolge im frühen 19. Jahrhundert, die im sogenannten Kolonialstil errichtet wurden. Um 1900 fing man an, vermehrt Tierausstellungen nicht mehr als Pavillons, sondern als eigenständige Architekturlandschaften zu bauen. Die Tiere wurden zumindest visuell von ihren Käfigen befreit. In den 1930er-Jahren sei eine Abkehr von der Verlandschaftlichung des Zoos zu beobachten. Die Zooarchitektur aus dieser Zeit ist von Formalismus und Funktionalismus geprägt, auf exotische Dekorationen, wurde weitestgehend verzichtet. Ab den 1970er-Jahren wurde wieder verstärkt auf Naturnähe gesetzt. Die Architektur dieser Epoche tritt in den Hintergrund und dient der Natur als Behausung. Schließlich erwuchs in den 1990er-Jahren eine von Markenbildung und ikonografischen Großbauten geprägte Zooarchitektur. Bei diesen Einrichtungen stehen der Freizeitcharakter und das Erlebnis im Vordergrund. Meusers historische Arbeit fließt sowohl in ihre Publikationen als auch in Lehre ein.


Entwürfe für ein neues „Tigerfenster“

Im Sommersemester 2022 beschäftigten sich Studierende der Hochschule Anhalt mit der Gestaltung einer Tigeranlage im Zoologischen Garten Magdeburg. Als Vorbereitung für den Entwurf analysierten die Studierenden die wichtigsten Bauten für Großkatzen in Europa und den USA, die zwischen den 1870er-Jahren und heute realisiert wurden. Basierend auf den Erkenntnissen aus ihren Recherchen definierten die Studierenden die Anforderungen an Bauten für Großkatzen. Außerdem führten sie vor Ort eine detaillierte Bauaufnahme durch. Aus dieser Vorarbeit entwickelten die Studierenden ihre Entwürfe.

Die Ergebnisse der Lehrveranstaltung sind vielseitig. Beispielsweise basiert der Entwurf „Sibirische Tigerwelt“ von Anna Agafontceva im Grundriss auf dem Schatten eines Tigers mit ausgestreckter Vorderpfote. Der Entwurf „Big Cat Hotel“ von Ee Dong Chen, Shaun Yong und Egor Kuzmin sieht eine Verbindung zwischen der Großkatzenanlage und dem Vogelgesangpark vor. In dem Entwurf von Fabian Teichert sind Innenräume für eine interaktive Wissensvermittlung vorgesehen. Dort können sich Besucher*innen über die Tiere informieren, wenn diese sich zurückgezogen haben.

Schriftenreihe des Instituts und weitere Publikationen

Sämtliche Studierendenentwürfe versammelt der Band „Zooarchitektur. Tigeranlage im Zoologischen Garten Magdeburg“, der vom Institut für Zooarchitektur herausgegeben wurde. Des Weiteren sind nennenswerte Publikationen von Meuser bei DOM publishers erschienen – darunter jeweils ein Handbuch und Planungshilfe für Zoo- beziehungsweise Aquarienbauten.

Nutzen: Bunte Beuten für Bienen

Ein Seminar des Fachgebiets „Tektonik im Holzbau"

Text von Jasmin Rettinger

Ohne Bienen kein Honig – wenn es nur das wäre. Bienen sind in großen Teilen verantwortlich für den Erhalt unserer Landwirtschaft und der Artenvielfalt. Die pummeligen Insekten bestäuben nicht nur die Nutzpflanzen des Menschen, sondern auch unzählige weitere Pflanzen, die wiederum die Nahrungsgrundlage etlicher Tierarten bilden. Der Verlust des Lebensraums und das dadurch verursachte, besorgniserregende Bienensterben kommt nach und nach im Bewusstsein der Gesellschaft an. So auch im Fachgebiet Tektonik im Holzbau unter der Leitung von Jun.-Prof. Max Otto Zitzelsberger: Im Sommersemester 2020 näherten sich Studierende der TU Kaiserslautern dem Thema von der Gestaltungsseite.

Körbe, Kästen, Wagen oder Häuser?

Ursprünglich lebten Bienen in natürlichen Baumhöhlen im Wald. Damit erschließt sich auch, wieso Holz als besonders bienengerechtes Material gilt. Mit der Entstehung und Entwicklung der Imkerei ging die Erfindung unterschiedlichster Behausungen für Bienen einher. Ob Bienenkörbe, -kästen, -wagen oder -häuser, alle müssen den Ansprüchen der Bienen an einen winter- und wetterfesten Unterschlupf genügen. Das Fachgebiet fokussierte sich auf sogenannte Magazinbeuten, die im Gegensatz zu Bienenhäusern flexibel und kostengünstig sind. Als Beuten werden im Fachjargon künstliche Nisthöhlen für Bienen bezeichnet.

Bunte Farben als Ausdrucksmittel

Im Rahmen eines Seminars entstanden 18 unterschiedliche Entwürfe für Bienenbeuten, von denen fünf im Oberpfälzer Freilichtmuseum Neusath-Perschen realisiert wurden. Verspielte, pastellfarbene, wunderliche Artefakte stehen in einem lichten Birkenwald. Doch die bunten Farben kommen nicht von ungefähr. Bienenbeuten in Süddeutschland waren früher oft bemalt und reich mit Ornamenten geschmückt, weil sich durch sie der Stolz der Bauern ausdrückte. Neben dieser historischen Referenz hat die Farbe außerdem einen ganz praktischen Nutzen. Sie dient den Bienen als Orientierungshilfe und schützt das Holz.

Ein Teil der Antwort

Der Münchner Architekt Max Otto Zitzelsberger beschäftigt sich in seiner Forschung und Lehre zur Tektonik im Holzbau mit den Eigenschaften des nachwachsenden Materials und den drängenden Fragen unserer Zeit zum Umgang mit natürlichen Ressourcen. In seinem Verständnis soll Architektur in sich die Widersprüche unserer Welt vereinen und somit vergegenwärtigen. Im Oktober 2022 stellten wir ihm drei Fragen zu seiner architektonischen Haltung.

Geben: Was wollen Tauben?

Architektur für gefiederte Klient*innen

Text von Johannes Medebach

Gezüchtet, gefüttert, gehasst – Tauben gehören zu den umstrittenen Mitgliedern der Stadtgesellschaft. Einst lieferten sie als wichtiges Nutztier Eier, Fleisch und Dünger.  Als Brieftauben ermöglichten sie den ersten Luftpostservice – lange bevor unsere Spezies das Flugzeug erfand. Einmal an das Zusammenleben mit dem Menschen gewöhnt, vermehrten sich die Vögel rasch auf zu engem Raum. Krankheiten und Mangelernährung sind die Folge, Geräusche und Ausscheidungen der Vogelscharen fingen an, die Beziehung Mensch-Taube zu belasten. Einige Städte haben jüngst damit begonnen, die Überpopulation mittels  Aufstellung von Taubenschlägen zu kontrollieren. In den bezogenen „Häuschen“ tauscht man die Eier der nistenden Vögel durch Attrappen aus und verringert so die Populationsgröße.

Reallabor auf dem Hagenmarkt

An der TU Braunschweig hat sich das Institut für Architekturbezogene Kunst (IAK) von Prof. Folke Köbberling der Thematik der Stadttauben angenommen. Im Sommersemester 2021 verwandelten drei Institute der Universität, das IAK zusammen mit dem Institut für Geschichte und Theorie der Architektur und Stadt (GTAS) sowie dem Institut für Gebäude- und Solartechnik (IGS) den Braunschweiger Hagenmarkt temporär in ein Reallabor. Für einen Sommer diente der Platz als Ausstellungs- und Diskussionsort rund um die Themen Nachhaltigkeit, Suffizienz und Resilienz.

Großmaßstäbliche Modelle für kleine Tiere

Der Hagenmarkt gilt als städtischer Tauben-Hotspot. Im Rahmen des Reallabors widmeten sich die Studierenden von Folke Köbberling den dort beheimateten Tauben und sollten ihnen eine Heimstatt in Form eines Taubenschlages designen. Am Ende entstanden 26 Entwürfe in Form von großmaßstäblichen Modellen (1:10 und 1:20), die in der angrenzenden St. Katharinenkirche öffentlich zu sehen waren. Die Modelle der Projekte haben Kleingruppen aus recyceltem Material gebaut. Erklärtes Ziel des Kurses war es, örtlich eine Diskussion zur Tauben-Thematik dort loszutreten, wo die Tiere in großer Zahl beheimatet sind. 

Schöner Wohnen für Tauben

Auch Tauben haben spezifische räumliche Ansprüche. Für den Entwurf der Behausungen mussten die Studierenden einige Parameter beachten: Das Fassungsvermögen sollte 200 Tauben betragen, die Einflughöhe sollte bei fünf bis sieben Metern liegen, Futterbehälter und Tränken waren ebenso einzuplanen wie Abstellplatz für Reinigungsgeräte und Einstreu. Zudem sollte die Bewegungsfreiheit der Vögel garantiert sein. Die meisten der Entwürfe wären so auch realisierbar. Ein Taubenschlag kam im Maßstab 1:3 zur Ausführung und wurde im Freien vor der Kirche aufgestellt. Von dieser Raumkapsel über Kirchtürme en miniature bis hin zu kleinen Baumhäusern fiel die Gestaltung der Vorschläge höchst unterschiedlich aus.

Exkursion zu den hanseatischen Vögeln

Im darauffolgenden Jahr, im Sommersemester 2022 bot das IAK einen Wahlpflichtkurs mit Exkursion zum Hamburger Hauptbahnhof an, um sich dort mit der Tauben-Thematik auseinanderzusetzen. Rund um den Bahnhof leben derzeit 500 Tauben. Der kommende Umbau wirft die Frage auf, wie man künftig die gefiederten Mitnutzer*innen des Verkehrsknotenpunktes behandeln sollte. Die Kursteilnehmenden bekamen Input von der Deutschen Bahn, dem Stadttiere Braunschweig e.V sowie dem Hamburger Stadttauben e.V. In Kooperation mit letzterem entstand auch eine Arbeit, die einen betreuten Taubenschlag in Form einer „Naturstation“ vorsieht, in dem Passant*innen den Tauben nahe kommen und eventuelle Vorurteile gegenüber der Tiere abbauen können. Andere Beiträge versuchen, einzelne Vögel aus der Masse herauszuheben und ihnen ein Gesicht zu schenken. So entstand ein Memory-Spiel und Ansichtskarten mit Tauben-Portraits, die ebenfalls Distanz abbauen sollen.

Verschmelzen: Der Mensch als Teil des Ökosystems

Interview mit Prof. Benjamin Foerster-Baldenius zu „Cohabitation“

Interview von Katharina Lux

Im April 2022 hat Benjamin Foerster-Baldenius seine Stelle als erster Professor für die neu geschaffene Klasse „Cohabitation“ an der Städelschule in Frankfurt am Main angetreten, um sich mit seinen Studierenden der zukunftsweisenden Frage des Zusammenlebens auf einem geschädigten Planeten zu stellen. Sein verfolgter Ansatz ist interdisziplinär ausgerichtet und befasst sich mit dem Verhältnis des Menschen zu allen anderen Lebensformen auf der Erde, den verschiedenen Arten der zwischenmenschlichen Kommunikation und nicht zuletzt, wie sich dies in der räumlichen Praxis widerspiegeln kann. Wir haben mit ihm darüber gesprochen, was einen Lehrstuhl zu diesem Begriff ausmacht und wie eine Symbiose von Mensch und Nicht-Mensch mit unserer gebauten Umwelt notwendig ist.

Was können wir uns unter einer Professur mit dem Titel „Cohabitation“ vorstellen?

Benjamin Foerster-Baldenius: Cohabitation ist dehnbar und beeinflusst alle Formen des Zusammenlebens. Dies umfasst nicht nur Fragen von Mensch und Tier, sondern auch von Mensch und Natur oder zwischenmenschlichen Beziehungen. Alle Themen der Diversität gehören dazu. Das habe ich auch gelernt, als ich die Professur an der Städelschule im April letzten Jahres annahm und sofort in diverse Arbeitsgruppen an der Hochschule eingebunden wurde. Ich hatte mich im ersten Moment darauf gefreut, mich etwas mehr mit Tieren bzw. dem Verhältnis von Mensch und den anderen Erdenbewohner*innen zu beschäftigen – dabei ist es vielmehr der Begriff des gemeinsamen Ökosystems, um den es eigentlich geht.

Was bedeutet es, Cohabitation an einer Kunsthochschule zu studieren?

Benjamin Foerster-Baldenius: In der Kunst geht es nicht darum, für ein schlechtes Gewissen zuständig zu sein, weil man sich noch nicht ausreichend mit gesellschaftlichen Fragen beschäftigt hat. Im Gegenteil, Kunst befreit sich von solchen Fragen und muss auch nicht politisch sein. Es geht darum, das zu tun, was die Kunst für richtig hält, und das kann auch ökologische Fragen einschließen. Die Behauptung, dass Cohabitation eine Kunst ist, ist interessant und kann gemeinsam mit Studierenden untersucht werden, um herauszufinden, was in diesem Rahmen möglich ist.

Ich habe an meinem Lehrstuhl nicht den Anspruch, eine komplette Architekturausbildung zu vermitteln. Die Städelschule sieht Architektur als wichtigen Bestandteil ihrer Kunstausbildung an, obwohl die Architekturklasse vor drei Jahren geschlossen wurde. Der Fokus kann jedoch durch die Zusammenarbeit mit einem Architekten wie mir auf Fragen des Raums verschoben werden, ohne dass eine ganzheitliche Architekturausbildung notwendig ist. Es geht darum, experimentelle Formen und Herangehensweisen in der Architektur zu finden und diese gemeinsam mit den Studierenden zu erforschen. 

Welche Herangehensweisen und Methoden wollen Sie vermitteln?

Benjamin Foerster-Baldenius: Das kann ein Workshop in einem verwunschenen Garten oder Skulpturen-Atelier sein, in dem wir neue Versammlungsräume erzeugen. Andererseits auch performative Projekte wie zum Theaterfestival „Theater der Welt“, was in Frankfurt und Offenbach stattfindet, bei denen mit Interventionen im öffentlichen Raum entlang des Mains agiert wird. Exkursionen und Besuche sind hierbei besonders wichtig, um neue Konstellationen zu ermöglichen, Potenziale zu entdecken und insbesondere die Umwelt mit dem Körper wahrzunehmen. Es ist wichtig, sich mit der Welt da draußen in Verbindung zu setzen und herauszufinden, wie sich die Arbeit am Schreibtisch, Computer oder Skizzenbuch mit dieser äußeren Welt verbinden lässt. Dadurch können Denkweisen angetrieben werden, die auf anderer Grundlage nicht möglich gewesen wären.

Wie können wir lernen, mit der Natur im Einklang zu leben – oder gar Prozesse zu schaffen, damit uns das gelingt?

Benjamin Foerster-Baldenius: Aus historischer und kulturhistorischer Sicht gibt es viele Beispiele dafür, wie man sich als Teil von Ökosystemen verstehen kann, wie es zum Beispiel bei Native American Indians oder in der Edo-Kultur in Japan der Fall ist. Bruno Latour würde sagen, dass wir quasi auf der Erde landen sollen, um die Probleme nicht nur von außerhalb betrachten zu können. Wir müssen als Teil des Ökosystems agieren, aber auch in der Lage sein, dieses mit einem Abstand zu beobachten.

Würden Sie sagen, wir müssen mehr Symbiosen mit unserer Umwelt eingehen – oder viel eher so wenig wie möglich anfassen und Grenzen für den Erhalt schaffen?

Benjamin Foerster-Baldenius: Bei diesen Möglichkeiten stimme ich zu, dass eine symbiotische Beziehung zwischen Mensch und Natur notwendig ist. Die zweite Frage erinnert mich eher an den Natur- und Artenschutz der 70er und 80er Jahre, wo der Mensch nicht als Teil des Ökosystems angesehen wurde. Aber heute haben wir die Natur bereits so stark verändert, dass wir für sie verantwortlich sind. Deshalb müssen wir uns immer als Teil des Ökosystems sehen und dementsprechend handeln.

In unserem Alltag sollten wir uns bewusst sein, dass unsere Handlungen Auswirkungen auf andere Teile der Welt haben können. Es ist wichtig, eine gewisse Zurückhaltung zu erlernen und über den Tellerrand zu schauen, um zu erkennen, dass unsere Entscheidungen zu Konsequenzen führen. Zum Beispiel kann der Kauf eines Pullovers hier das Ökosystem auf der anderen Seite des Planeten schädigen.

Wird der Gedanke, Teil des Ökosystems zu sein allgemein in der derzeitigen Architekturlehre umgesetzt?

Benjamin Foerster-Baldenius: Dazu kann ich nur eingeschränkt etwas sagen, weil ich mich nicht selbst als Studierender in der Lehre meiner Kolleg*innen aufhalte. Ich beobachte jedoch in der Architektur, dass viel nachgedacht und versucht wird, das Bewusstsein zu verändern – und das, was in der Architektur geschieht eine direkte Folge davon ist, was unterrichtet wird. Meiner Meinung nach sollten Architekturlehrende, die sich ernsthaft mit diesen Fragen auseinandersetzen, einen viel radikaleren Ansatz haben und sagen: „Hallo, das Bauen ist wie das Rauchen. Wir machen das nicht mehr, weil es dem Planeten schadet“. Wir sollten nicht einfach überall bauen oder anbauen, sondern sorgfältig überlegen, wie wir das machen.

Die Bauindustrie und die Gebäude sind für 40% des weltweiten CO₂-Ausstoßes verantwortlich. Es wird teilweise ohne Sinn und Verstand viel gebaut, nur um Geld zu verdienen, was falsch ist und sofort gestoppt werden muss. In der Architekturlehre sollte die Bereitstellung von Unterkünften und Räumen für zeitgenössisches Arbeiten und Leben unter der Prämisse, dass so wenig Ressourcen wie möglich verbraucht werden und eine ausgeglichene CO₂-Bilanz erreicht wird, unterrichtet werden.

Heißt das auch, dass in der Architekturlehre zukünftig ein gewisser Aktivismus vermittelt werden muss?

Benjamin Foerster-Baldenius: Aktivismus zu vermitteln ist wichtig, allerdings denke ich auch, dass Aktivismus etwas ist, das man aus Erfahrung verinnerlicht und mit der Zeit erlernt. Wir sollten in erster Linie zusammenarbeiten, um nachhaltige Materialien zu finden und Prozesse und Berufsfelder zu entwickeln, die unseren Energieverbrauch reduzieren und den Planeten schützen. Wir müssen darüber nachdenken, wie wir von der Nutzung fossiler Brennstoffe wegkommen, wie wir uns mit kleinen Schritten in eine bessere Zukunft bewegen und verstehen, dass wir selbst Teil dieses Ökosystems sind.