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3, 2009

Hochschule Biberach

Zeitgemäße Trauer- und Bestattungsorte

von Enisa Vatreš

Hochschule:

Hochschule Biberach

Lehrstuhl:

Prof. Gerhard Bosch, Prof. Holger Frielingsdorf, Prof. Matthias Loebermann

Rubrik:

Experimentelle Entwürfe

Software:

Die Arbeit entstand durch intensive Auseinandersetzung mit dem Thema und einer ausführlichen Recherche, die zum schriftlichen Teil durchgeführt wurde. Die Erkenntnisse aus dem schriftlichen Teil der Arbeit wurden mit architektonischen Mitteln gefasst.

Der Friedhof ist ein dauerhaftes Zeichen Menschlichen Daseins. Er ist ein Ort für die Toten aber auch für die Hinterbliebenen – oder er sollte es zu mindestens sein. Gerade ist aber an vielen Stellen ein Wandel in der Trauer und Bestattungskultur zu spüren. Der Trend zu anonymen Beisetzung wächst, Internetfriedhöfe sind immer weiter verbreitet und das Angebot reicht von der Baumbestattung bis zur Beisetzung im Weltraum. Dies alles sind Anzeichen dafür, dass die heutigen Trauer und Bestattungsorte nicht mehr zeitgemäß sind. Und so lautet auch die These:

Gegenwärtige Trauer und Bestattungsräume sind nicht mehr zeitgemäß. Gesellschaftliche Veränderungen müssen verstärkt eingebunden werden.

Um über Trauer und Bestattungsorte zu sprechen und sie entwickeln zu können, muss man sich an erster Stelle mit der Einstellung zu Tod und Trauer auseinandersetzten. Diese zwei Themen spiegeln sich in der ganzen Geschichte, in den Beisetzungsorten wieder. Im Laufe der Jahrhunderte gab es immer Veränderungen im Bestattungs- und Friedhofswesen. Es kam aber nie zu einem Ende der Friedhof- und Trauerkultur. Stets gab es aber Aufbrüche zu neuen, der gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, technischen, religiösen und politischen Lage angepassten Strukturen. Die Studie hatte das Ziel, unsere Gesellschaft auf die Einstellung zu Tod und Trauer zu untersuchen, die Defizite der traditionellen Trauer- und Erinnerungsräume aufzuzeigen und eine Richtlinie für zeitgemäße Trauer- und Bestattungsorte zu schaffen, die auf die neuen Bedürfnisse reagieren. Das heißt einen friedhofskulturellen Rahmen zu erarbeiten, der zum einen die Funktionsparameter Ausstattung, Größe und Lage definiert. Zum anderen soll aber auch eine Aussage getroffen werden zu den Bestattungsräumen, Grabfeldern und Grabstätten. Das Ergebnis hat die fiktive, architektonische Umsetzung für Berlin in zwei Teile gespalten. Einen Friedhof- und ein Trauerraumkonzept welche die Veränderung der Gesellschaft aufnehmen ohne dabei die Bedeutung des Themas aus den Augen zu verlieren.

Entwurfsidee Friedhof
Die Grundidee des Friedhofs in Grunewald ist es einen Pfad zu spannen von Osten nach Westen, vom Lebensanfang zum Lebensende. An diesen sind die Gebäude aufgereiht. Am Anfang das Verwaltungsgebäude des Friedhofs und in der Mitte private Verabschiedungsräume. Der Pfad endet an zwei Aussegnungsgebäuden die jeweils zum Zeichen für das Leben, dem See und dem Zeichen für die Vergänglichkeit, dem Sandhügel orientiert sind. Dahinter erstreckt sich der Friedhof. Das ganze Bild wird verstärkt durch die Architektur der Gebäude. Diese spitzen sich auf das Ende des Pfades zu und fixieren den Blick auf das dahinter liegende Gräberfeld. Dieser beherrscht das ganze Bild und wird in seiner Ausstrahlung, als das unausweichliche Ende noch dadurch verstärkt, dass der Hang nach hinten ansteigt. Die Gräber sollen sich bis zum Horizont, bis in den Himmel erstrecken. Der Pfad, der von Osten nach Westen führt und an den Aussegnungsgebäuden endet, schneidet sich in das Gelände und den Wald ein.

Der Mensch „beherrscht“ hier noch die Natur. Bäume werden gefällt, wo sie im Weg sind und die Steigung des Pfades orientiert sich nicht am Hang, sondern an den Bedürfnissen des Menschen. An den zwei Aussegnungsgebäuden hört der Pfad abrupt auf und man steht auf einem leeren Platz. Es gibt keinen geführten Weg zu den Gräbern. Man soll im ersten Moment nicht wissen, wohin man gehen soll und das Grabfeld, welches sich nach oben und den Seiten erstreckt, auf sich wirken lassen. Ab dort muss sich der Mensch der Natur unterordnen. Beispielhaft dafür ist, dass die Wegeführung dem Hang angepasst ist, und vorhandene Bäume stehen gelassen werden. Diese Bäume dienen der Orientierung auf dem Gräberfeld.

Gebäude auf dem Friedhof
Der Friedhof ist mit allen dazugehörigen Funktionen ausgestattet. Am Anfang des Pfades befindet sich das Verwaltungsgebäude mit einem Blumenladen welches sich mit der Architektursprache sehr zurück nimmt und klar gegliedert ist. Weiter fortschreitend ist quer zum Pfad das private Abschiedsgebäude angeordnet. In diesem Bauwerk befindet sich in der Nähe des Pfades, an Wegkapellen angelehnt, ein Andachtsraum. Dieser Andachtsraum bildet zugleich den nötigen Abstand von den privaten Abschiedsräumen zu dem öffentlichen Weg. Diese Abschiedsräume haben jeweils einen separaten Zugang, welcher in drei Abschnitte untergliedert ist. Vom halböffentlichen Zugangsweg, zum privaten Innenhof bis zum Eingang des vollkommen privaten Abschiedsraumes. Der private Abschiedsraum ist unterteilt in einen erhöhten Raum für die Aufbewahrung des Verstorbenen und in einen Niedrigeren für den Aufenthalt der Hinterbliebenen. Die Räume sind so ausgestattet, dass man dort eventuell auch übernachten kann, um die Totenwache durchzuführen. Wie oben schon gesagt endet der Pfad zwischen dem Symbol für das Leben, dem Wasser und dem Symbol für die Vergänglichkeit, dem Sand. Die zwei Aussegnungshallen spielen mit diesen beiden Symbolen. Man betritt die Gebäude durch eine große Tür, die in den jeweiligen Innenhof führt. Von dort aus gelangt man in den Aussegnungsraum. Die zwei Elemente spielen in beiden Räumen die Hauptrolle. Im rechten Gebäude fließt der Sand in das Gebäude hinein und wird durch das Oberlicht von der Sonne bestrahlt, die ihm einen goldenen Schein verleiht. Der Sarg steht davor. Im linken Gebäude ist die Rückwand verglast und gibt den Blick frei zum See. Dieser spiegelt sich in der Decke über dem Sarg. Die dienenden Funktionen sind in den zwei doppelten Außenwänden untergebracht und stören den Raum nicht.

Organisation und Gestaltung des Grabfeldes
Die Gesamtheit des Friedhofs war eines der wichtigsten Ziele. Es sollte aber auch auf die Individualität des verstorbenen Menschen eingegangen werden. Dieses Zusammenspiel in Balance zu halten war die Herausforderung. Ein weiteres Problem der Gestaltung von heutigen Friedhöfen ist die Anreihung von Gräbern an den Wegen und die Überdeckung der Gräber durch die Natur. Auch der Wunsch nach Gräbern mit geringem Pflegeaufwand ist einer der Parameter für zeitgemäße Friedhöfe. Der Entwurf für den Friedhof im Grunewald löst die Probleme folgendermaßen: Die Grabparzellen werden von der Größe so abgestimmt, dass beispielsweise zwei Urnengräber die Größe von einem Körper-Erd-Grab haben. So können die verschiedensten Bestattungsarten nebeneinander stattfinden und es wird kein Platz verschwendet. Dies ist aber nur möglich, da das komplette Grabfeld mit Rasen bepflanzt wird. Das heißt, man kann um die Grabsteine herumlaufen. Nur teilweise, wenn es erwünscht ist, sind Bereiche um den Grabstein für Blumen angelegt. Das heißt, es gibt ein anpassbares Raster der Grabparzellen, welches auf die verschiedenen Bestattungswünsche reagieren kann. Aber die Grabsteine können, bei Einhaltung der Grenzabstände, auf der Grabparzelle beliebig aufgestellt werden. Es entsteht ein Bild, das auf keinen Fall auf ein festes Raster schließen lässt. Die Grabsteine wirken wie eine natürlich gewachsene Struktur. Trotzdem sind die Grabfelder mit befestigten Wegen ausgestattet, diese nehmen sich aber sehr zurück.

Die Grabsteine besitzen feste Grundmaße und dürfen in der Höhe nur in einem bestimmten Maß variieren. Das Material ist beschränkt auf Stein und die Produkte, die daraus gemacht werden (z. B. Beton). Außerdem gibt es eine 50 mal 50 Zentimeter große Grabplatte, die individuell gestaltet werden kann. Bei der Gestaltung der Grabplatte ist jeder vollkommen in der Materialauswahl sowie der Darstellung freigestellt. Durch diese Maßnahmen kann die Individualität der Verstorbenen abgebildet werden, ohne dabei das Gesamtbild zu stören. Der Friedwald umrahmt das Grabfeld und wird so auch in den Friedhof integriert. Es findet keine Zerstückelung der verschiedenen Bestattungsarten statt.

Entwurf Trauerort
Die Parameter für die Trauerorte sind so verfasst, dass die Wiedererkennbarkeit des Gebäudes an jedem Standort gegeben ist. Für den Entwurf wird eine fiktive Baulücke angenommen, wie sie an jedem der Standorte sein könnte und auch sein soll.

Konzept des Gebäudes

Die Idee des Gebäudes ist es, durch den trichterförmigen Eingang einzutauchen und sich symbolisch auf den Weg zu dem Verstorbenen zu begeben. Der Trichter zieht sich, vorbei an der Beratungsstelle, bis zur Mitte des Gebäudes. Im hinteren Teil des Gebäudes, von der Außenwelt geschützt, ist der Trauerraum. In diesem Raum ragen 20 Schwertstützen in den Himmel und sollen für die Unendlichkeit stehen. Gleichzeitig umgeben sie einen Innenhof. Um die Stützen herum wandelt sich eine Treppe nach oben. Diese soll den Weg zu der Ewigkeit, zu den Verstorbenen symbolisieren. Desto weiter man nach oben fortschreitet, desto höher werden die Stufen. 5, 10, 15, 20 … 60 … 120 … 200 cm, bis man sie nicht mehr steigen kann. Die Stützen gehen aber weiter, weiter in den Himmel. Man selbst kann nicht dahinter blicken und sehen, was danach kommt. Und dann kehrt man zurück, in das Leben, langsam hinunter, durch den Trichter, die Geräusche werden lauter und man ist zurück im Trubel der Stadt.

Zwischen den Stützen entstehen immer auf den jeweiligen Stufen Räume, die in den Innenhof blicken und in diese man sich zurückziehen kann. In den Innenhof kommen gefilterte Geräusche der Außenwelt hinein da es keine Tür gibt die ihn abschottet. In dem hohen, leeren Raum hallen sie und es entsteht eine sehr abstrakte Geräuschkulisse. Vor allem bei Regen, wenn die Tropfen auf den Boden auftreffen. In der vorderen Hälfte des Gebäudes befindet sich die Anlauf- und Beratungsstelle. Diese soll Menschen helfen im Bezug auf den Todesfall direkt, oder auf die Trauer danach. Darüber befinden sich die psychische Betreuung und Gruppenräume für die Treffen von Hinterbliebenen, die mit dem Verlust nicht zurechtkommen oder auch einfach nur über die Trauer, die sie empfinden reden wollen. Die Gebäudefassade ist wie eine schützende Hülle um das Gebäude gelegt. Sie lässt die Außenwelt nur gefiltert hinein, um die Ruhe des Ortes nicht zu stören.