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2, 2009

Brandenburgische Technische Universität Cottbus

Vertikales Gewächshaus Dublin

von Jost Niesert

Hochschule:

Brandenburgische Technische Universität Cottbus

Präsentation:

15.10.2008

Lehrstuhl:

Prof. Dipl.-Ing. Axel Oestreich

Rubrik:

Experimentelle Entwürfe

In der Geschichte der Menschheit entwickelten sich vor circa 13.000 Jahren zum ersten Mal sesshafte Gesellschaften, die Ackerbau und Viehzucht betrieben. Seitdem hat die Landwirtschaft uns Menschen über Jahrtausende verlässlich ernährt. Heute sind wir jedoch an einem Punkt angelangt, der uns zwingt, die Versorgung der Menschheit mit Wasser und Nahrungsmitteln neu zu organisieren.
Seit der Industrialisierung nimmt die Weltbevölkerung exponentiell zu. Im Umkehrschluss reduziert sich die Fläche, die landwirtschaftlich genutzt werden kann. Um neue Agrarflächen zu erschließen, werden Regenwälder gerodet und die natürlich gewachsene Umwelt in einem bisher nicht gekannten Ausmaß von Menschen beeinflusst. Bis zum Jahr 2050 wird eine zusätzliche Ackerfläche von mehr als einer Milliarde Hektar nötig sein, um den ständig wachsenden Lebensmittelbedarf zu decken. Dies entspricht in etwa der Größe Brasiliens.
Bereits heute lebt die Hälfte der Weltbevölkerung in Städten. Bis zum Jahr 2025 wird ein Anstieg auf 65% prognostiziert. Die räumliche Trennung von Produktion und Konsumenten verursacht schon heute erhebliche Verkehrs- und Umweltprobleme. Umso wichtiger scheint es, die Abhängigkeit der Städte von der herkömmlichen Landwirtschaft zu minimieren. Städte dürfen nicht länger auf Kosten der Umwelt funktionieren. Sie müssen nachhaltiger und autarker werden um unsere Natur und unser sensibles Ökosystem zu bewahren.

Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen soll mein Entwurf dazu beitragen, traditionelle Denkmuster zu hinterfragen und neue Perspektiven aufzuzeigen. Er ist konzipiert als Prototyp einer neuen Typologie und reflektiert die Entwurfsintention in vielerlei Hinsicht. Den Kern des Projektes bildet die Entwicklung eines Systems, das nicht nur an seinem konkreten Entwurfsstandort, sondern überall auf der Welt realisierbar ist. Dabei ist es im Sinne der Nachhaltigkeit wichtig, dass dieses System möglichst Ressourcen und Energie schonend betrieben werden kann. Die Nutzung von nicht vermietbarem Bestand in Großstädten stellt sich mir dabei als ein erster sinnvoller Schritt energetisch verantwortlichen Handelns dar.

Zwei Aspekte haben mein Entwurfskonzept bereits in der Anfangsphase stark beeinflusst.
Zum einen liegen auf Grund der Neuartigkeit der Typologie keinerlei Erfahrungs- und Richtwerte für ein urbanes vertikales Gewächshaus vor. Zum anderen ist die öffentliche Akzeptanz gegenüber einer hoch technisierten Lebensmittelproduktion im urbanen Gefüge noch sehr wenig ausgebildet. Aus diesen Gründen sehe ich meinen Entwurf als Vorstufe einer neuen Typologie, deren primäres Interesse zunächst nicht der Maximierung des Ertrags, sondern der Erforschung der mit dieser Typologie verbundenen Möglichkeiten, der Verbesserung der Abläufe und der Information der Bevölkerung gilt. Daraus ergibt sich eine Überlagerung zweier Funktionalitäten, die eines Forschungsstandortes einerseits mit der einer wirksamen öffentlichen Nutzung und Erreichbarkeit andererseits. Das Gebäude zeigt die Möglichkeiten dieser Typologie auf, während es gleichzeitig die Öffentlichkeit für die Notwendigkeit eines neuen konzeptionellen Ansatzes sensibilisiert.

Bei meiner Standortwahl habe ich mich für Dublin entschieden, da Irland nahezu alles Obst und Gemüse importiert. Die Folge sind extrem hohe Preise, die in etwa dreißig Prozent über dem Durchschnitt der Europäischen Union liegen. Hinzu kommt, dass Dublin mit seinen exzellenten Universitäten und Forschungseinrichtungen einen guten Rahmen für dieses Projekt darstellt.

Der Liberty Hall Tower, das höchste Gebäude Dublins und Wahrzeichen der Stadt, wird aktuellen Planungen zufolge 2009 einem Neubau weichen. Dieses in den sechziger Jahren errichtete Gebäude besitzt einen für heutige Maßstäbe unwirtschaftlichen Grundriss. Mir war es wichtig, dieses besondere, geschichtsträchtige Gebäude für die Stadt zu erhalten und aufzuzeigen, dass auch augenscheinlich unwirtschaftlicher Bestand sinnvoll nachgenutzt werden kann.

Der städtebauliche Eingriff stützt sich auf die Aufwertung der Parzelle und die Schaffung eines beruhigten Marktplatzes, der im Gegensatz zu dem für Dublin typischen hektischen Straßenbild steht. Die städtebauliche Erschließung des Blocks ergibt sich aus der besonderen Situation des Grundstücks als Nahtstelle zwischen Stadt und Hafen und verbindet darüber hinaus wichtige Punkte in der Innenstadt. Der Nutzer wird in erster Linie von dem Turm angezogen, der durch seine besondere Struktur und den sich in dieser Struktur bewegenden Pflanzen ein markantes und Neugierde weckendes Landmark darstellt. Er wird durch die allseitig frei zugängliche Erdgeschosszone, die als Markt und Gastronomieebene funktioniert, in das Gebäude eingeladen.

Im Zentrum des Sockels befindet sich ein Atrium, das den Blick auf den Turm freigibt. Durch eine Freitreppe, die auf den Turm zuführt, gelangt der Nutzer auf die erste Ebene. Auf dieser Ebene überlagern sich die beiden Hauptfunktionen des Gebäudes: Forschung und Information. Die als ‚L’ ausgeführten Gebäudeteile verschränken sich und schaffen Mischzonen für Kommunikation und Austausch. In ihrer Mitte formen sie das Atrium. Die beiden Körper heben sich durch ihre architektonische Gestaltung deutlich voneinander ab: ein eher schwerer, transluzenter Forschungskörper und ein leichter, transparenter Informationskörper.

Der Gewächshausturm wurde möglichst flexibel und platzintensiv gestaltet. Er birgt drei voneinander unabhängige Treibhäuser, denen der gleiche Aufbau zugrunde liegt. Diese Treibhäuser können in Bezug auf Licht, Temperatur, Luftfeuchte und CO2-Konzentration auf die jeweiligen Pflanzenkulturen abgestimmt werden. Ebenso ist es möglich unterschiedliche Szenarien zu generieren. So kann ein Gewächshausteil mit niedrigem Energieaufwand betrieben werden, während ein anderer unter hohem Energieaufwand optimale Konditionen herstellt, um einen maximalen Ertrag zu realisieren. Um den Platz möglichst effektiv zu nutzen, sind für jedes Treibhaus nur eine Ernteetage und ein Technik- und Laborgeschoss sowie drei Gewächshausgeschosse vorgesehen.

Die Pflanzen befinden sich auf Hydrokulturen, die in Taschen auf einer Textilbahn angebracht sind. Diese Textilbahnen hängen an einem Transportsystem, das durch das gesamte Treibhaus führt. Im Regelfall erntet man eine Gemüsekultur einmal pro Woche. Die Textilbahnen fahren entlang dem Transportsystem und wechseln im Luftraum zwischen Bestand und der neuen abgehängten Fassade die Geschosse. Der Normalfall sieht vor, dass eine Pflanze jeden Tag von einem auf das nächste Geschoss wechselt. Nach drei Tagen ist die Pflanze im obersten Geschoss angekommen und beginnt mit dem Abstieg. Nach drei weiteren Tagen ist die Pflanze wieder im Erntegeschoss angelangt und kann dort abgeerntet, kontrolliert oder umgepflanzt werden.

Ein Gewächshausgeschoss besteht aus drei Ringen: einem außen liegenden, lichtintensiven Ring, einem halbschattigen Zwischenring und einem Nachtring. Der Nachtring generiert optimal angepasste Bedingungen für die Ruhephase der Pflanzen. In dieser Zone bekommen die Pflanzen kein Licht und die Temperatur wird abgesenkt. So ist es auch möglich unter Verwendung von künstlichem Licht kontinuierlich Tag und Nacht Pflanzen zu produzieren.

Ziel des Energiekonzeptes des Entwurfs ist die Umwandlung von städtischen Abfallprodukten und Schmutzwasser in nutzbares Frischwasser und Energie. Durch eine Algenfassade an dem Gewächshausturm wird durchlaufend Bioethanol gewonnen. Die dort und im Gewächshaus entstehenden organischen Abfälle werden durch einen Fermentierungsprozess mit Schmutzwasser vergoren („Living Machine“). Das entstehende Methan kann wie das Bioethanol zur Befeuerung der Heizzentrale des Gebäudes genutzt werden. Die Erforschung und Stabilisierung des Energiehaushalts ist eine Kernaufgabe der Forschungseinrichtung.

In der Anfangsphase wird der Ertrag des Gewächshauses die hohen Kosten der Erstellung kaum decken. Es ist jedoch zu bedenken, dass das Gemüse frei von Pestiziden und Herbiziden ist und umweltverträglich lokal hergestellt wird. Darüber hinaus fördert der Entwurf den Umwandlungsprozess der Stadt in ein autarkes, nachhaltiges Ökosystem und trägt zur Schonung der schwindenden Landflächen und natürlichen Ressourcen bei.

Wichtig ist es, diese Typologie weiter zu erforschen und die Probleme, die sich durch die Entwicklung der Weltbevölkerung, die Urbanisierung und den Klimawandel ergeben, anzugehen. Dieser Prototyp ist konzipiert als ein erster innovativer Schritt auf diesem Weg.