Nächstes Projekt 05/24  

3, 2009

Technische Universität Braunschweig

Nahtstelle Berlin

von Said Fahim Mohammadi

Hochschule:

Technische Universität Braunschweig

Präsentation:

10.07.09

Lehrstuhl:

Prof. Berthold Penkhues

Rubrik:

Verkauf und Präsentation

Software:

Der Entwurf ist komplett virtuell entstanden. Per Screenshots ist der Entstehungsprozess in einem Buch dokumentiert, welches als pdf vorliegt. Nach zunächst ortsgebunden, programmatischen Ausrichtungen und Anordnungen des Raumgefüges nach Raumprgramm folgte eine eher skulpturale Weiterbearbeitung der entstandenen Kubatur. Zur Überprüfung von raumeindruck und Verhältnismässigkeiten am realen Modell bediente ich mich der rapid-prototyping technologie (Gipsplotter) und 2D Laserschnitt-Modellen.

Grundgedanke
In den Jahrzehnten nach der Wiedervereinigung hat sich am ehemaligen Verlauf der „Berliner Mauer“, zwischen Friedrichshain und Kreuzberg, die Stadt in einer kreativ fruchtbaren Nahtstelle wieder zusammengefügt. Hier an der Spree, rund um die Oberbaumbrücke entstanden und entstehen bis heute jene kleinen, unabhängigen und unverwechselbaren Cafés, Restaurants, Plattenläden, Mode- und Möbelgeschäfte, Designstudios und Schneidereien, die für Berlin typisch sind. So ist es kaum verwunderlich, dass auch die großen Medienkonzerne wie MTV und Universal, die sich ebenso in einer unkonventionellen, kreativen Atmosphäre entwickelt haben, die Nähe zu diesem Schmelztiegel der Ideen suchen. Um in dieser Vielzahl an Angeboten Fuß zu fassen, bedarf es jedoch Geduld und Ausdauer. Eine nach außen erkennbare Identität und eine Präsentationsplattform müssen geschaffen werden.
Eine solche Plattform bietet der neu entstandene Ort des Schaffens auf dem Grundstück an der Kreuzung von Cuvrystraße und Schlesischer Straße. In diesem neuen Zentrum der Modeszene Berlins stehen Ateliers für elf junge Talente bereit, die gleichzeitig die Möglichkeit bieten, die Entwürfe zu produzieren und zu präsentieren.

Gebäude
Wie die Brücke eines Schiffs liegen die Ateliers über der Manufaktur. Diese in Form und Materialität reduziert gehaltenen Künstlerwerkstätten bieten den Modeschöpfern die Freiheit, sich individuell einzurichten und ihren eigenen Stil, ihre „Labelästhetik“ in das Gebäude zu integrieren. Auf diese Weise können die Entwürfe in einer variablen und auf den Designer angepassten Umgebung gestaltet werden.
Zwischen Ateliers und Manufaktur liegt eine Raumzone, in der die Entwürfe der Modedesigner für die Produktion vorbereitet werden. Dieser Zwischenbereich ist geprägt von digitalen Arbeitsplätzen, die in vernetzten Arbeitsgruppen um den Bereich des Zuschnitts angeordnet sind. Je nach Anforderungen an das Kleidungsstück können hier unterschiedliche Funktionsgruppen zur Bearbeitung herangezogen werden.
Die Produktionsbereiche hingegen sind linear strukturiert. Hier durchlaufen die digital vorbereiteten Entwürfe alle notwendigen Arbeitsschritte bis hin zu Verpackung und Versand. Alle Arbeitsplätze haben ihre jeweils spezifische Funktion, um eine effiziente Produktion der Modeartikel zu gewährleisten. Das „File-to-Factory“-Verfahren erlaubt eine präzise Umsetzung der Entwürfe und eine Gestaltung des Herstellungsprozesses durch den digital entwerfenden Designer.
Präsentiert wird die so erzeugte Mode in dem Veranstaltungsbereich des neuen Zentrums. Der Saal kann nach den Anforderungen des Modeschaffenden konfiguriert und gestaltet werden, wodurch ein labelorientiertes Präsentieren der Ware ermöglicht wird. Der Besucher und potenzielle Kunde durchschreitet das Gebäude über einen inszenierten Weg, der ihn – ähnlich wie ein Laufsteg – aus der Umgebung heraushebt und über eine repräsentative Treppe mit Spreeblick und freier Aussicht in den Himmel zum Veranstaltungssaal leitet.

Platzgestaltung
Den Rahmen für diesen Ort des Schaffens und Entstehens bildet der „Platz der Mode“, der auf dem Grundstück an der Spree entsteht. Durch die heterogene Umgebung stellen sich verschiedene Anforderungen an den Platz und das Gebäude. Die vier an das Gelände angrenzenden Stadtquartiere unterscheiden sich in ihrer Nutzung und damit in ihrer Bedeutung für das Modezentrum. Das gegenüberliegende Spreeufer mit den Firmenzentralen von MTV, VIVA und Universal in solitären Baukörpern bildet eine repräsentative Schauseite des neuen Medienviertels. Die zur Ostseite hin gelegenen Blockrandbebauungen mit den kleinteiligen Gewerbehöfen stehen für ein fabrikatives Umfeld. Die südlich vorbeiführende Schlesische Straße mit ihren Altbauten, in denen sich Wohnungen, Restaurants und Läden befinden, repräsentiert den Lifestyle der Szene und hat eine inspirierende Wirkung auf das neu entstehende Modezentrum. Der nach Westen hin gelegene, ehemalige Korn- und Getreidespeicher wird teils als Wohn-, teils als Veranstaltungsraum für Ausstellungen, Konzerte und sonstige kulturelle Ereignisse genutzt. Er kann vom neuen Modezentrum mitgenutzt werden, wodurch er nicht nur inspirierend wirkt, sondern auch programmatisch integriert wird.
Das neu entstehende Gebäude und der Platz reagieren mit der Ausrichtung ihrer Programmbereiche auf die vier angrenzenden Quartiere, indem sie Ruhe- und Nutzungszeiten, Privatsphäre und öffentlichen Raum berücksichtigen. Die unterschiedlichen Atmosphären der umgebenden Bereiche werden durch das neue Bauensemble genutzt und gleichzeitig verdichtet.

Städtebau
Ursprünglich bildete das Gelände den östlichen Eingang zum historischen Innenstadtbereich und war mit Gewerbe und Hafeneinrichtungen besetzt. Zahlreiche Fabrik- und Speicherbauten, die zum Teil aufwändig saniert und umgenutzt werden, prägen das Bild des Bezirks. Inmitten dieser Umgebung präsentiert sich das neue Bauwerk als Solitär. Durch seine Positionierung fügt es sich in das städtische Gefüge ein und ergänzt es um einen Baukörper, der die bislang vernachlässigte Verbindung zwischen Kreuzberg und dem Spreeufer aktiviert. Die vergangene Bebauung der Gegend, wie die Altbauten und Gewerbehöfe mit Büros und Agenturen sowie Bars und Clubs, riegeln die Stadt zur Spree hin ab. Der solitäre Baukörper hingegen nimmt in seiner Gestalt Bezug auf das Wasser und eröffnet durch seine Positionierung den Zugang zum Wasser. Darüber hinaus fördert der neu eingerichtete Platz die Zugänglichkeit des Spreeufers. Während die parallel zur Spree verlaufende Schlesische Straße bisher eine Grenze darstellte, von der aus man nur selten bis ans Wasser vorstoßen konnte, stärkt der neu entstandene Platz die Nord-Süd-Achse zwischen Spree und Wrangelkiez und bietet einen zentralen öffentlichen Raum an.
Doch auch für die unmittelbar angrenzenden Gebäude ist der Platz von Vorteil. Das neue Modeforum ist so ausgerichtet, dass es den Bezug des Platzes zu seiner Umgebung und insbesondere zu dem ehemaligen Kornspeicher stärkt. Dieser wird dadurch Teil der Platzgestaltung und somit aktiv in das kreative Milieu eingebunden.
Der Platz selbst wird gegliedert von fünf Shops sowie dem Zugang zum Museum. Vor dem Hintergrund der Wasserlandschaft wurde eine bauliche Topografie entwickelt, die sich zwischen diesen Fixpunkten aufspannt und den Besucher einerseits auf einem Laufsteg zum Gebäude hinleitet, andererseits auf sanft absteigenden Plateaus zur Spree hinunterführt.

Formensprache
Das Modezentrum ist ein formal reduzierter, solitärer Baukörper, der von einer freien Form umschlossen wird. Diese Form beinhaltet die öffentlichen Hauptbereiche, wie etwa die Veranstaltungssäle, und akzentuiert diese nach außen. Gegliedert wird die Form nach dem Prinzip der Tesselation. Bei der Tesselation werden polygonale Flächen durch verschiedene Techniken in primitive Flächen – Dreiecke oder Vierecke – zerlegt. Auf diese Weise können die Volumen des Gebäudes umhüllt und anschließend modifiziert oder durchstoßen werden. Eine Analogie in der Art der Bearbeitung dieser umhüllenden Flächen offenbart die so genannte „Landsknechtsmode“ des 15. Jahrhunderts. Söldner, denen ihre Kleidung zu eng war, schnitten diese an den Gelenken auf, um mehr Bewegungsfreiheit zu erlangen. Auf diese Weise wurden darunterliegende Schichten der Kleidung sichtbar. Der so genannte „zerhauene“ Stil wurde von fast allen Bevölkerungsschichten aufgenommen und gilt als Vorreiter der Punk- und Deskonstruktivismus-Bewegung in der Mode.
Gesteuert wird die architektonische Tesselation durch die Einflüsse der Nutzungen der Umgebung. So ist die Fassade auf der fabrikativen Seite in Richtung der Gewerbehöfe fraktal tesseliert, in Anlehnung an die stark fragmentierten Hofbebauungen. Die Fassade zur inspirativen Seite ist ordnend, ebenso wie der Platz eine ordnende Größe in der Vielfalt der Schlesischen Straße darstellt. Die inspirativ-koordinierende Fassade in Richtung des alten Kornspeichers hat ein gerichtetes Erscheinungsbild: Der Kornspeicher wird mitsamt seines Vorplatzes eingebunden in die Konzeption des Gebäudes und des Platzes, und die zur Spree hin gelegene, repräsentative Fassade ist einteilig gehalten, in Analogie zu den Solitären auf der gegenüberliegenden Spreeseite.

Epilog
Auf vielfältige Art und Weise integriert sich die neue Plattform für elf Modeschaffende in den Kreuzberger Kiez. Eine unkonventionelle Anlaufstelle für die Kreativen Berlins hat sich mit einer eigenen, aus der Umgebung und der Mode abgeleiteten Formensprache manifestiert und behauptet sich selbstbewusst und mit eigenem Charakter in der Umgebung, ohne diese zu schwächen. Im Gegenteil bieten sowohl Gebäude als auch Platz den Bewohnern, Besuchern und Nutzern des Stadtteils und des Gebäudes die nötige Vielfalt an Möglichkeiten, sich selbst, den eigenen Stil und den Charme Kreuzbergs zu integrieren, zu präsentieren und zu stärken.