Mai / Juni 2013
HafenCity Universität Hamburg
Krematorium Ahrenshoop
Ort der Wandlung

HafenCity Universität Hamburg
Master
14.03.2013
Prof. Gesine Weinmiller
Kulturbauten
Vwx, Psd, 3ds
HISTORIE
Die Feuerbestattung ist einer der ältesten Bestattungsformen der Menschheit (ca. 1200-1800 v. Chr.). Im Römischen Reich galt die Leichenverbrennung wegen ihrer hohen Holzkosten als soziales Privileg. Vorchristliche Leichenverbrennungen fanden auf einem offenen Scheiterhaufen statt.
Auch gehört die Kremierung bekanntlich zu den Traditionen verschiedener außereuropäischer Kulturen und Gesellschaften. Mit dem Buddhismus beispielsweise breitete sie sich von Indien über den asiatischen Kontinent aus. In der ethnologischen Literatur werden verschiedene Gründe für die Feuerbestattung angeführt.: „Die Brandbestattung, also die Vernichtung des Leichnams, kann zunächst den Sinn haben, entweder der Seele die Möglichkeit zu geben, den Körper schnellst möglichst zu verlassen, oder der Seele den alten Wohnsitz zu zerstören und ihr damit den Anreiz zur Wiederkehr zu nehmen.“
Die Bevorzugung von Körperbestattung oder Leichenverbrennung hängt eng mit den Jenseitsvorstellungen zusammen.
Der Islam kennt nur die Körperbestattung. Auch das Christentum mit seiner Lehre von der körperlichen Auferstehung des Fleisches propagierte die Erdbestattung. Mit der Ausbreitung der christlichen Glaubensvorstellung wurde die Verbrennung verdrängt und nur das Begraben des Leichnams anerkannt, Einäscherungen hingegen als „heidnisch“ verdammt und verfolgt. Zu Zeiten des Mittelalters wurde die Kremierung schließlich verboten.
Zu Zeiten der Aufklärung schaffte die moderne Feuerbestattung schließlich ihren Durchbruch im späten 19. Jahrhundert, dem Zeitalter von Hochindustrialisierung und Urbanisierung. Der allgemeine Säkularisierungsprozess einerseits, die Verwissenschaftlichung des Denkens andererseits taten ein Übriges, um die Bestattungsform zu publizieren. Vor allem Mediziner und Hygieniker propagierten die Feuerbestattung nun immer stärker als fortschrittliche Alternative gegenüber dem Erdgrab. Aufgrund des rapiden Bevölkerungswachstums, das sich im Zuge der rasch fortschreitenden Industrialisierung entfaltete, kam es vielerorts auf städtischen Begräbnisplätzen zu Raum-, zuweilen auch zu hygienischen Problemen.
Ursachen waren unter anderem die Überbelegung und Bestattung in Massengruben. Ein zeitgenössischer Kritiker schrieb noch in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts: „So lange sich die Kirchhöfe noch im Innern der Städte befanden, fühlte auch das Publikum recht wohl die Nachtheile der Wohnungen in deren nächster Umgebung. In Hamburg waren im Anfang dieses Jahrhunderts wegen der von den Kirchhöfen aus sich verbreitenden verpesteten Luft die in deren Nähe befindlichen Wohnungen um die Hälfte wohlfeiler als in anderen Gegenden der Stadt.“
Zwar kam es in den Jahrzehnten um 1800 zur Schließung vieler innerstädtischer Begräbnisplätze und zu einer regelrechten Welle von Friedhofsverlegungen vor die Tore der Städte. Aber das starke Bevölkerungswachstum des späten 19. Jahrhunderts ließ diese Maßnahmen vielerorts wieder als überholt erscheinen und nach Alternativen suchen.Hier bot sich mit der Feuerbestattung eine platzsparende und hygienisch einwandfreie Lösung an.
Ende des 19. Jahrhunderts wurde ein praktikabler Verbrennungsofen entwickelt, der die traditionell ausgerichtete Bestattungskultur in Frage stellte. Es entwickelte sich eine Debatte zwischen den Anhängern der Feuerbestattung und ihren Gegnern, die vor allem in den beiden großen Kirchen und in konservativen Kreisen der Bevölkerung zu finden waren und sich für die Erdbestattung als traditionelle christliche Bestattungsform einsetzten. Vor diesem Hintergrund entwickelte sich die neue und bis dahin in der Architekturgeschichte nicht bekannte Bauaufgabe „Krematorium“ und der Umgang in diesem Zusammenhang mit der Trauer.
TRAUER
In den westlichen Industrieländern ist die Trauer um den Verlust eines Menschen einsam, privat, innen und meist ohne Form. Die Berührungsängste mit dem Thema Tod entstehen zum einen durch die große Distanz. Es wird kein Raum für Stillstand und Trauer gegeben. Der Mensch muss funktionieren. Sterbende werden in Heime oder Krankenhäuser abgeschoben. Der Prozess des Sterbens findet in unserem Bewusstsein oft gar nicht statt sondern passiert. Der plötzliche Verlust und der dadurch entstandene Schmerz findet keinen angemessenen Ausdruck in dem äußeren (konventionellen) Ritual. Die Unfähigkeit zu Trauern birgt ewiges Unbehagen am Tod in sich.
RITUAL
„Trauerriten führen zur Realität des Todes, liefern Verhaltenshilfen und spenden Trost. Sie geben Möglichkeiten und Grenzen an, Gefühle Ausdruck zu verleihen. Sie ermöglichen es, das Gefühlspotential wieder soziale Beziehungen zuzuführen und erleichtern auf diese Weise den Wiedereintritt in das soziale Leben.“ Schäfer. Tod und Trauerrituale
Konservative Begräbnisse verlieren bei der jüngeren Generation immer mehr an Bedeutung. Die christlichen Rituale sind meist starr in einem Rahmen gefasst, der kaum Raum für Persönliches gibt. Der Ablauf ist stark geprägt von religiösen Regularien. Die Kirch spielt eine immer geringer werdende Rolle auf dem Bestattungsmarkt neben sogenannten Ritualdesignern oder professionellen Trauerbegleitern. Zudem bietet das Christentum im Vergleich zu anderen Religionen relativ „haltlose“ Rituale. Ziel ist es, ein Ritual zu schaffen, das den Trauernden über mehrere Emotionsstufen begleitet und stützt.
KONZEPT
Eine große, vertikale Klammer greift um eine gewunden Wand, die seitlich in die Klammer fasst. Die schutzbietende Klammer symbolisiert den Kreislauf der Toten, gerichtet in die Weite des Meeres. Starr und mit absoluter Gewissheit liegt sie geöffnet zur Zukunft und verschlossen gegenüber der Vergangenheit. Die stützende Wand der Lebenden windet sich durch den umfassten Raum. Stark und massiv bietet sie halt und leitet den Lebenden durch die Begegnung mit dem Tod. Die klare Abwicklung der Wand schafft deutliche Sichtbezüge bei stetigem Fortschreiten. Durchgänge oder Öffnung fallen in das Blickfeld und weisen die Richtung. Der gezielte vertikale Lichteinfall unterstützt und stärkt das Abschreiten des Rituals.
Jede Raumsituation, in der Verbindung mit der derzeitigen Emotion, erlebt der Trauernde einmalig. Der Blick ist nach vorn gerichtet und die Vergangenheit rückt in den Hintergrund. Das geschaffene Ritual holt den Trauernden aus dem Alltäglichen ab und führt langsam in die bevorstehende Begegnung.
ORT
Die Natur um dem Ostseebad Ahrenshoop, einer kleinen Gemeinde an der Ostseeküste zwischen der Hansestadt Rostock und der Insel Rügen, mit der Halbinsel Ibenhorst strahlt eine besondere Stimmung von Sinnlichkeit, Ruhe und Tiefe aus. Der dichte Kiefernwald verläuft sich in den Dünen, die zu dem breiten und weitläufigen Sandstrand abfallen. Diese Gegebenheit birgt viele Inspirationen und Emotionen in sich. Die Beziehung zum umgebenden, dichten Wald und der endlosen Weite des Meeres lässt eine eigene Atmosphäre entwickeln und bietet einen unmittelbaren Bezug zur Natur. Das Krematorium steht als Mittler zwischen Wald und Meer. Diese Stimmung schafft einen entsprechenden Rahmen zum Nachdenken, Realisieren und der Verarbeitung gemeinsamer entstandener Erinnerungen, eingebettet zwischen Wald und Wasser.
Erschlossen wird das Gebiet über kleine Zuwegungen. Unauffällig betten diese sich in die Natur ein. Die Anlieferung erfolgt fern ab der Trauernden über einen Waldweg.
ANKUNFT
Der erste Blick von der Zufahrt aus trifft auf einen von Mauern umhüllten Platz, um das Alltäglich schon frühzeitig auszublenden und sich in eine andere Sphäre begeben zu können. Die Parkplätze sind um den Platz, hinter den Mauern angeordnet und rücken in den Hintergrund sobald der Platz betreten wird. Die Sicht fällt auf eine geschlossene Fassade und eine massive, freistehende Wand, die in das Gebäude führt. Entlang der Wand wird der Trauernde in das Gebäude geleitet. Zuerst gelangt er in das Foyer. Ein heller, durch zwei Oberlichter belichteter Raum zur Zusammenkunft der Trauernden, die die Gemeinschaft suchen oder sich zurück ziehen wollen. Durch illuminierte Oberflächen bzw. Funktionen sind die Sichtbezüge klar gelegt.
KONZEPT
Die Wand als massives klar geformtes Element hat wenige Öffnungen. Glatte Oberflächen bringen Klarheit und Ruhe in das Raumgefüge. Die unterschiedlichen Nutzungseinheiten sind nur durch verengte Zugänge voneinander getrennt ohne weitere Schließvorrichtungen. Alle Nutzungen sind in der Wandfläche untergebracht. Die Belichtung erfolgt über großzügige Dachöffnungen. An zwei Stellen weitet sich bzw. unterbricht die Wandabwicklung und bringt dadurch horizontale Sichtbezüge wie auch Licht in den Innenraum. Die illuminierten Wandflächen helfen dem Trauernden sich zu orientieren und sich auf das Wesentliche zu konzentrieren bzw. zu auch zu entlasten. Diese klare Abfolge ist auf das Ritual abgestimmt. Die Lichtführung endet final im Trauerraum mit der Wand der Toten. Diese führt den Leichnam von der lebendigen Welt in den Kreislauf der Toten. Die Reise der Gestorbenen beginnt. Die Lebenden biegen symbolisch zuvor ab und begeben sich auf einen anderen Weg. Diese führt in eine Richtung und niemals zurück in die Vergangenheit. Teil und Aufgabe des Rituals ist es auch, dem Toten einen würdevollen Abschied zu bieten indem die Angehörigen am selben Tag die Urne nach der Kremation zu dem Kolumbarium oder zur Übergabe in das Meer begleiten. Gerade für die Trauernden ist es wichtig, dass ein runder Kreislauf entsteht um Halt und Trost zu spenden.
Der funktionale Teil des Krematoriums liegt im Untergeschoss. Es gibt keine Schnittstelle zwischen dieser und der oberen Ebene außer dem Kremationsraum. Hier können Angehörige bei dem Vorgang beiwohnen. Direkt hinter der Wand, durch die zuvor der Sarg in der Trauerhall hindurch geschoben wurde, ist der Abgang zu einem von dem technischen Teil abgetrennten Raum mit der Ofenzufahrt. Der Sarg wird über eine Plattform abgesenkt.
Die Zufahrt für die Anlieferung ist seitlich neben dem Gebäude und fällt nicht in das Blickfeld der Besucher. Unterirdisch können Särge wie auch Lebensmittel des Cateringservices angeliefert werden. Letzteres kann gelagert oder auch direkt in einem Aufzug in den Gemeinschaftsraum geliefert werden. Für die Bestatter gibt es eine 24h Anlieferung mit abgetrenntem Zugang zu einem Kühlraum und zu einem Toilettenraum.