3, 2008
Fachhochschule Mainz
Gesundheitszentrum Mainz

Fachhochschule Mainz
02.07.2008
Dr. rer. nat. Josef Schwarz
Gesundheitsbauten
Zeichnungen: Nemetschek Rhino Layout: InDesign
Die Aufgabenstellung des Diplomthemas im Sommersemester 2008 sah die Erfüllung eines umfangreichen und detaillierten Raumprogramms vor, mit dem zu bearbeitenden Grundstück und der Forderung nach dem angemessenen Schließen der existierenden Baulücke wurde der Bezug zu einer realen Bauaufgabe hergestellt.
Recherche:
In dieser praxisnahen und an Bedeutung stetig zunehmenden Forderung nach Planungen innerstädtischer Baulücken wurde ein Schwerpunkt festgemacht, den es in der Phase der Recherche noch zu vertiefen galt. Nachforschungen bei dem Stadtplanungsamt Mainz, der Stadtfeuerwehr Mainz und dem Stadtarchiv Mainz ergaben weitere Planungsvorschriften. So zeigte sich, dass zwar kein Bebauungsplan für die zu beplanenden Flurstücke existiert, Neubauten jedoch in ihrem Maß und ihrer Gestalt den direkten Nachbarn zu folgen haben. Bezogen auf die Diplomgrundstücke waren die Höhen der Nachbarbebauungen daher zwingend einzuhalten in Traufe und First, die Ausformung als Satteldach (Dachneigungen unter 20 Grad gar als extensiv begrünt), die Gestaltung einer schlichten Lochfassade, weder Loggien im Dach noch Balkone zur Rheinstraße!
Nachbarschaft:
Historisches Plan- und Bildmaterial und Auskünfte des Stadtarchivs wiesen nach, dass die Fluren 122 und 123 noch nie vollständig überbaut waren und gaben Aufschlüsse darüber, dass stets die Materialien Sandstein und Ziegelsichtmauerwerk im Reichsformat Anwendung fanden. In vergangenen Jahren wurden zwar einige Gebäude verputzt, aber der Charakter des Quartiers ist unverwechselbar erhalten.
Form:
Aus diesen Rahmenbedingungen setzten sich die Zwänge zusammen und der präsentierte Entwurf zeigt eine überzeugende Lösung auf:
Die Verlängerung beider Nachbarn von Norden und von Süden resultiert im wichtigsten und intensivsten Punkt, dem Aufeinandertreffen beider Massen. Die finale Überlagerung erzeugt eine in der Fassade ablesbare Dreiteilung des Baukörpers, der die Kleinteiligkeit der Umgebung aufnimmt und zudem eine funktionale Ablesbarkeit der inneren Abläufe nach außen trägt.
Konstruktion:
Aufgrund der beidseitigen Einfahrten und der aus der Ausnutzung der Abstandsregelungen resultierenden Auskragung in den Hof wurde das statische System als Schottenbau aus Stahlbeton geplant. Das massive Treppenhaus wirkt zudem als aussteifender Kern. Querspannung über den Einfahrten und Längsspannung im Mittelbau nutzen die jeweiligen Vorteile aus: nahezu gleiche Spannweiten von sechs Metern minimieren den Materialeinsatz und gewährleisten einen einheitlichen Deckenaufbau, Stützen sind im Hof nicht notwendig, Grundrisse können dem gegebenen Raumprogramm optimal angepasst werden durch den Einsatz von variablen, nicht tragenden Trockenbauwänden, auch spätere Veränderungen der Raumzuordnungen sind leicht zu verwirklichen, ein Aspekt der Nachhaltigkeit.
Tiefgarage und Erweiterbarkeit:
Im Süden wird konstruktiv ein Abstand von der Bestandswand gehalten, da eine Unterfangung einen erhöhten Aufwand darstellen würde und dieser Teil im UG ohnehin nicht unterbaut ist. So kann mit einem Fundament auf Höhe des Nachbarn die tragende Außenwand abgetragen werden.
Im Norden wird die Fundamentsohle des Nachbarn nur im Bereich des Autoaufzugs um 1,75m unterschritten, so dass eine Abfangung mit einer Länge von sechs Metern ausgebildet wird.
Im Osten wird der bestehende Hof unterbaut, nahezu die Masse, die im Süden unter der Durchfahrt eingespart wurde. Da diese Wand keine weitere Auflast erfährt, ist eine Erweiterung nach Osten ohne Probleme realisierbar. Der Aufzugsschacht wurde diese mögliche zweite Phase berücksichtigend positioniert.
Nutzungsschema:
Bei allen geforderten Nutzungen und den damit verbundenen Geschossen ist eine Trennung von öffentlichen und privaten Nutzergruppen auszumachen, eine Übergangszone markiert die Transitionsbereiche, z.B. Patient – Arzt mit Übergang Assistent.
Dieses Schema wird zuerst in eine Grundrissorganisation übersetzt: Erschließung/Patient/Besucher im nördlichen Teil, Arzt/Aufwachraum/Schlafzimmer im Süden und als Mittelkörper die Bereiche der sich überschneidenden Nutzer, der flächenmäßig betrachtet den größten Teil für sich beansprucht.
Fassade:
Die Gestaltung der Fassade ist eine Symbiose aus den beiden genannten Prinzipien – der Überlagerung aus dem Ineinanderschieben beider Baumassen und der internen Zweieinhalbteilung: Der öffentliche Bereich im Norden soll mit seiner Transparenten Wärmedämmung die größte Wechselwirkung mit der Umgebung eingehen, der südliche Teil ist mit seiner Privatheit abzuschirmen, es kommt der bekannte Ziegel im Reichsformat zum Einsatz und strahlt Massivität aus, die es benötigt um die lediglich Dreigeschossigkeit auszugleichen. Im verbindenden Teil schiebt sich die TWD vor den Ziegel und wirkt als filigrane und leichte Hülle der dahinter noch ablesbaren Masse.
Technisch, gestalterisch und auch energetisch ist diese Fassade optimal: Während in den Aufenthaltsräumen und dem Wartebereich das System der Direktgewinnung zum Einsatz kommt und die höchste Durchlässigkeit die Transparenz und Offenheit des Ärztehauses verkörpert, stellt der mittlere Bereich eine Kombination aus Direktgewinnung mit Trombéwand dar. Sie wird als vereinfachtes konvektiv entwärmtes System mit kontrollierter Raumlüftung (Zwangslüftung) kombiniert. Vorteile sind vor allem, dass weder außen liegender Sonnenschutz noch Sichtschutz eingeplant werden muss, dennoch eine optimierte Ausleuchtung erreicht wird, durch kontrolliertes Ausspülen mittels Ventilatoren die zu warme Luft dem Raum entzogen wird und keine Beeinträchtigung durch den hohen Lärmpegel der Rheinstraße entsteht, den geöffnete Fenster zwangsläufig brächten, abgesehen von der Problematik eines sterilen Ablaufs!
Die konventionelle Ziegelfassade im südlichen Teil kann neben der Massivität die notwendigen Assoziationen beim Besucher hervorrufen: Seriosität und Vertrauen.
Im Erdgeschoss wird das Raster der Lochfassade in ein alternierendes Vitrinen- und Belichtungssystem verfeinert. Nach gleichem Prinzip kann so ein ablesbarer Sockel mit erhöhter Schwere ausgebildet werden, der die besonders kleinen Abmessungen der Auslage akzentuiert und nachts wie rhythmisierende Beleuchtungskörper ins Raster eingliedert.
Hervorzuheben ist eben diese unterschiedliche Wirkung von Tag- und Nachterscheinung. Während bei Tageslicht die Wahl des vertikal ausgerichteten Fensterformats ähnlich der TWD dazu beiträgt, dass entferntere Bereiche geschlossen wirken und nur Einblicke senkrecht zur Fassade möglich sind, noch verstärkt durch die Orientierung nah der Straße, die sowohl Richtung als auch Geschwindigkeit symbolisieren, entfaltet das Gebäude nachts mit seiner Hinterleuchtung eine enorme Leichtigkeit, analog zur Schwerelosigkeit eines Heißluftballons. So kann sich das Gebäude sowohl optimal in den Bestand integrieren, als auch gleichzeitig eine unverwechselbare Adresse ausbilden mit hohem Wiedererkennungswert, der der Vermarktung und Rechtfertigung des Hauses zu Gute kommt.
Erdgeschoss:
Um die Adresse des Gebäudes noch stärker zu akzentuieren, wird die straßenseitige Außenwand des Erdgeschosses um 3,9 Grad gegen die Straßenflucht eingedreht, dem Winkel, der aus der Verbindung beider Gebäudetiefen resultiert. Diese zweite Richtung und die als Vordach auskragende Decke leiten den Besucher zum markanten Haupteingang, schaffen jedoch gleichzeitig auch einen Verweilraum vor den Schaufenstern des Optikers. Leuchtkästen hinter der Fassadenverglasung stärken die Adressen des Ärztehauses ohne die schlicht und homogene Fassadengestaltung zu beeinträchtigen.
Innenräume:
In den Innenräumen soll eine Klarheit überzeugen, die durch optimierte Wege, Raumbeziehungen, Materialien und Oberflächen das sehr komplexe Raumprogramm bei minimaler Fläche zu einer Selbstverständlichkeit der Raumarrangements und –wirkungen steigert.
Raumhohe, in Wände integrierte Schranksysteme, homogene glatte Oberflächen und Schiebeelemente unterstreichen veränderbare Raumdispositionen, direktes Licht wird über die TWD in weitaus größere Raumtiefen geleitet, so dass dem Nutzer Raumgefüge erlebbar gemacht werden, aber vor allem nutzbar, da keine Reihung von Räumen existiert sondern eine Komposition mehrerer zu einem Großraum real wird.
Gerade im mittleren Flurbereich ist dieses Prinzip besonders eindrucksvoll ablesbar. Während er eine Vielzahl von Funktionen beherbergt –vom Empfang über Arbeitsplätze für Assistenten, Erschließung der Behandlungszimmer für Rollstuhlfahrer, Archiv bis zu Wartemöglichkeiten etc. - zeigt er gesteigerte Großzügigkeit, Ruhe, Überschaubarkeit und Eleganz. In diesem Herzstück der jeweiligen Etage unterstützt eine Lichtspanndecke die natürliche Belichtung und zeigt so seine Unverkennbarkeit.
Abläufe:
Ein wichtiger Ansatz ist die Teilbarkeit eines Geschosses, so kann eine Gemeinschaftspraxis oder sogar eine Kombination aus verschiedenen Einrichtungen in einem Geschoss betrieben werden. Ein System, bei dem sich Abläufe nicht überschneiden und das Schließen einer Nutzungseinheit zu keinerlei Beeinträchtigung der zweiten führt! So werden Erschließungsflächen und andienende Räume minimiert und die Fläche ökonomisch betrachtet optimal ausgenutzt!
Arzt/OP:
Die Geschosse des Ärztezentrums sind nach einem einheitlichen, der Nutzung angepassten Prinzip gestaltet. Nach dem Betreten kann der Patient direkt am Empfang aufgenommen werden und räumlich verwiesen werden. Das Gefühl des Aufgenommenen stellt sich ein. Im Wartebereich ist stets Blickbezug gewährleistet, da eine Art Vorhang aus schräg gestellten Lamellen Opak statt blickdicht wirkt. Je nach Untersuchungsgrad oder Eingriff muss der Patient später in die Praxis eintreten. Untersuchungen finden im Mittelteil statt, was insofern eine Angstschwelle nimmt, als dass dieser transluzent umhüllt ist und zu mehr Akzeptanz und Verständnis führt. Die Normalität und die Akzeptanz in der Gesellschaft nehmen zu, vergleichbar mit dem Durchscheinen in der Außenhaut. Private Gespräche können im massiven Teil geführt werden, was eine Sicherheit vermittelt.
Wohnen:
Dem schwebenden Charakter der Umhüllung und dem heutigen Trend des Wohnens in ausgebauten Speichern, Dächern und als Lofts über der Stadt entsprechend, werden die Wohnungen in den Dachgeschossen untergebracht. So entsteht eine Abschottung zum Publikumsverkehr des Ärztehauses mit Ausrichtung zur Hofseite über eine Art Wintergarten und über das TWD-Dach mit großflächigen Dachflächenfenstern. Analog zu den Raumbezügen der Regelgeschosse wird so eine Großzügigkeit mit spannungsreichen Raumzuordnungen erreicht.