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Juni / Juli 2010

Universität Stuttgart

Alcanzando un sueño

von Agnes Dransfeld, Antonella Pasquale

Hochschule:

Universität Stuttgart

Lehrstuhl:

Prof. Markus Allmann und Prof. Eckhart Ribbeck

Rubrik:

Wohnbauten

Die Diplomarbeit “Alcanzando un sueño“ ist das Ergebnis einer Zusammenarbeit zwischen den Architekturstudentinnen Antonella Pasquale und Agnes Dransfeld.
Sie behandelt das Thema Sozialwohnungsbau in Chile. Die Arbeit besteht aus einer Dokumentation der Recherche vor Ort und dem darauf basierenden Entwurf einer Sozialsiedlung.
Um einen Einstieg in das Thema zu finden und so nah wie möglich an der Realität zu sein, reisten wir im Frühjahr 2009 wir für einen zweimonatigen Rechercheaufenthalt nach Chile. In Santiago, Valparaíso und Temuco im Süden Chiles haben wir verschiedene Sozialsiedlungen besichtigt und mit den Bewohnern gesprochen. Wir hatten engen Kontakt zur Hilfsorganisation “Un techo para Chile“, deren Mitarbeiter wir bei ihrer Arbeit begleiten durften. Zusätzlich führten wir Gespräche mit Arbeitern der Hilfsorganisation “Habitat para la Humanidad“, mit Architekten chilenischen Architekturbüros ELEMENTAL und mit Vertretern des chilenischen Wohnbauministeriums. Die wichtigsten Erkenntnisse zogen wir jedoch aus Gesprächen mit einer Gruppe von Bedürftigen, die sich um einen Sozialwohnungsbau beworben hatten. Wir konnten diese Gruppe über die Dauer unseres Aufenthaltes in dem Prozess der Bewerbung und der Auseinandersetzung mit der Zukunft in einem neuen, legalen Heim begleiten. Noch wichtiger als die Gespräche waren die Tage, die wir im campamento verbrachten, in dem der Großteil der Gruppe “Alcanzando un sueño“, die unsere Musterbauherren wurden, lebt. Den Alltag der Menschen dort zu teilen und am eigenen Leib zu erfahren, wie das Leben im campamento ist, hat uns geholfen, Bedürfnisse dieser Menschen zu verstehen.
 
Obwohl Chile ein kontinuierliches wirtschaftliches Wachstum aufweisen kann, leben dort noch immer über 28.000 Familien in campamentos, wie informelle Siedlungen dort genannt werden. Vor etwa zehn Jahren hat der chilenische Staat seine bisherige Sozialwohnungspolitik überarbeitet und ein engagiertes Bauprogramm ins Leben gerufen. Seither werden für die Bewohner der campamentos überwiegend auf Staatskosten Häuser und Wohnungen gebaut, die für einen symbolischen Kaufpreis in den Besitz der Bedürftigen übergehen.
Das von uns gewählte Projektgrundstück liegt an einer Klippe über dem Pazifik in einem Randgebiet der Stadt Valparaíso. Neben der extrem steilen Neigung des Grundstücks erschwerte das knappe Budget für Sozialwohnungsbauten, an dem wir uns orientierten, die eigentliche Aufgabe:
Für 150 Familien ein flexibles und würdiges Zuhause zu schaffen, diese Wohneinheiten sinnvoll in einer Siedlung zu organisieren, zusätzlich ein Sozialzentrum mit Bibliothek an die Siedlung anzugliedern und den ganzen Komplex so intelligent in die bisherigen Strukturen zu integrieren, dass diese eine Aufwertung erfahren.
Auf dem Projektgrundstück wird momentan tatsächlich eine Sozialsiedlung gebaut. Bisher gibt es jedoch keine Bestrebungen, die Qualitäten der exklusiven Lage direkt am Meer zu nutzen. Der von uns geplante, an die Siedlung angegliederte Stadtteilpark verbindet die vorhandenen Strukturen mit einem Küstenspazierpfad, der in einer Aussichtsplattform endet. Der Park, der am Sozialzentrum beginnt, kann von allen Bewohnern des Stadtteils genutzt werden und ist ein Ort der Begegnung für alte und neue Bewohner.
Drei parallel zum Hang verlaufende Stichstraßen erschließen die Siedlung und garantieren die Versorgung. Die übrige Durchwegung der Siedlung ist fußläufig und zieht sich wie ein Netz aus Treppen und Stegen durch das Gebiet. An diesem Netz liegen Plattformen, auf denen sich die Wohneinheiten befinden. Auf einer Plattform befinden sich immer hangseitig ein zwei- oder dreigeschossiges Wohnhaus mit zwei Wohneinheiten pro Geschoss und, zum Meer hin, zwei Splitlevelhäuser mit jeweils zwei Wohnungen. So teilen sich immer acht, auf den obersten Plattformen zehn Familien eine Plattform zur Erschließung ihrer Wohneinheiten. Durch die Zusammenfassung zu kleinen Einheiten wird der Kontakt unter den Familien gefördert und ein hohes Maß an Selbstorganisation und -verwaltung ermöglicht.
In der bisherigen Praxis des chilenischen Sozialwohnungsbaus ist vorgesehen, nur einen Wohntypus für die Bewerber einer Sozialsiedlung zu entwerfen. Auch wenn in der Arbeit ansonsten an alle Regeln und Normen für chilenischen Sozialwohnungsbau berücksichtigt wurden, haben wir mit dieser Praxis gebrochen und verschiedene Typologien entwickelt. Aus den Familienzusammensetzungen unserer Musterbaugruppe haben wir zusammenfassend fünf verschiedene Familiensituationen definiert und für diese Situationen unterschiedlich große und flexible Wohneinheiten entworfen.
In Valparaíso, einer Stadt, die auf 42 Hügeln erbaut wurde,  werden Häuser traditionell aufgeständert. Auch wir haben uns für diese Lösung entschieden, um das Grundstück möglichst wenig verändern zu müssen. Aufgrund der extremen Hanglage des Grundstücks ist der Einsatz schwerer Baumaschinen kompliziert und teuer. Die Holzkonstruktion ermöglicht es, das Haus aus vielen kleinen Teilen zusammenzusetzen. Diese Teile können von den Arbeitern mit ihrer Muskelkraft zur Baustelle getragen werden. Die Fassade besteht aus einer Holzdeckelschalung, wobei das vordere, breitere Brett vergraut und somit den Lauf der Zeit sichtbar macht, während das hintere Brett farbig lackiert ist und mit zunehmender Vergrauung des vorderen immer mehr leuchtet.
Das Sozialzentrum markiert sowohl den Eingang zur Siedlung als auch jenen zum Park. Es passt sich in Materialität und äußerer Form der Siedlung an, ist jedoch durch seine Dimension und Positionierung deutlich als Sonderbaustein erkennbar.